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Katharina Tucher lädt in ihr Schloss

Immer sonntags um 14 Uhr führt Inge Bickel durch das Tucherschloss und den Hirsvogelsaal, der hier zu sehen ist.

Als sich die Besuchergruppe nach der zweistündigen Führung durch das Tucherschloss von Inge Bickel alias Hausherrin Katharina Tucher verabschiedet, ergreift ein Zuhörer das Wort: »Vielen, vielen Dank, das war so lebendig, überhaupt nicht mechanisch auswendig gelernt, sondern der Text kam aus dir selbst. Das war großartig«, lobt der Mann, der mit seiner Frau und Tochter den Rundgang durch den Nürnberger Patriziersitz mitgemacht hat.

Es ist kein gewöhnlicher Zuhörer, sondern ein Mann vom Fach: Nürnbergs scheidender Schauspieldirektor Jan-Philipp Gloger. Er weiß genau, worauf es beim Theaterspiel ankommt, welche Wirkung ein Schauspieler mit einem Blick, einer Geste oder einem Satz ausstrahlen kann. Inge Bickel hat ihn als stolze Patrizierfrau aus dem 16. Jahrhundert überzeugt. Gloger kennt die Wahl-Nürnbergerin von der Bühne im Schauspielhaus. Im Staatstheater ist sie seit Jahrzehnten als Statistin aktiv und tritt dort außerdem mit dem Seniorentheater »Tempo 100« auch in größeren Rollen auf. »Inge ist der gute Geist des Theaters, sie ist so aktiv«, meint Gloger und macht noch rasch ein Foto von seiner Tochter mit Katharina Tucher.

Inge Bickel schlüpft regelmäßig in die Rolle der Nürnberger Patrizierin

Immer sonntags um 14 Uhr empfängt Ilse Bickel im Patriziergewand die Museumsbesucher und bringt ihnen in 120 Minuten das Leben einer Frau aus Nürnbergs Oberschicht im 16. Jahrhundert nahe – und das seit über 20 Jahren. Katharina Straub (1501-1549) war für Lorenz Tucher eine gute Partie: Ihre Mitgift machte ihn durch die Hochzeit zu einem äußerst reichen Mann – und sie wusste um ihren – nicht nur finanziellen – Wert: Die Kaufmannstochter war gebildet und beherrschte die doppelte Buchführung mit Konto und Gegenkonto. So führte sie die Geschäfte, wenn Lorenz Tucher auf Handelsreisen war.

Allerdings ist über das Leben der Katharina Tucher nicht viel bekannt. Ein – wenig schmeichelhaftes – Bild des Malers Hans Schäufelein zeigt sie als 33-Jährige mit Haube als Zeichen einer verheirateten Frau. Auch Inge Bickel trägt bei ihren Rundgängen eine derartige Kopfbedeckung, dazu ein Gewand aus üppigem, weinrotem Stoff und einen Pelzkragen – das Signal an ihre Umgebung in der frühen Neuzeit: »Schaut her, ich gehöre zur Upper Class.« Dass an jedem Finger ein Ring steckt und eine Perlenkette ihren Hals ziert, muss man fast nicht erwähnen.

An Zimtstangen schnuppern

Den Text für ihre Rolle als Katharina Tucher hat Inge Bickel selbst recherchiert.

Die Darstellerin hat im Stadtarchiv und in Büchern nach Spuren ihres Alter Ego gesucht. Die gelernte Großhandelskauffrau Bickel hat den Text für ihre Rolle selbst recherchiert und geschrieben: »Das muss aus mir selbst kommen, sonst kann ich es nicht glaubhaft herüberbringen«, sagt die begeisterte Schauspielerin, die ein feines Gespür dafür hat, wenn die Konzentration ihrer Gruppe nachlässt. Dann weckt sie die Aufmerksamkeit wieder, indem sie die Zuhörer an Zimtstangen schnuppern lässt – und berichtet über den Fernhandel, den die Tuchers einst sehr erfolgreich betrieben haben.

Bevor sie sich mit der Nürnberger Patrizierfamilie beschäftigte, war Bickel allerdings schon viele Jahre als »Ehefrau von Albrecht Dürer« im Dürer-Haus unterwegs. Sie war die erste Agnes-Darstellerin und gab den Besuchern viele Eindrücke aus dem Leben des bedeutendsten Nürnberger Künstlers mit. Besonders hilfreich für sie waren die Hinweise und Tipps der Regisseurin Tamara Kafka vom Seniorentheater »Tempo 100«. Mit deren professioneller Unterstützung hat sie sich in die Rolle der Agnes hineingearbeitet.

Fast ein Familienmitglied

Was witzig ist: Die echte Agnes Dürer und Katharina Tucher kannten sich sogar. Das Künstlerpaar war nämlich zur Hochzeit der Tuchers eingeladen. Für kurze Zeit trat Inge Bickel sogar in beiden Rollen auf: Sonntags zuerst im Dürer-Haus und anschließend ging es hinüber ins Tucherschloss. Doch das war auf Dauer nicht durchzuhalten, sie entschied sich schließlich für Katharina.

 Zumal die zierliche Frau fast schon so etwas wie ein Familienmitglied der heute über die ganze Welt verstreuten Tucher-Nachfahren geworden ist. »Hermann von Tucher und seine Frau haben mich oft als ihre Cousine bezeichnet«, berichtet sie. Ein anderes Familienmitglied schickte ihr nach einer Führung einen üppigen Blumenstrauß. Bei Taufen und Hochzeiten trat sie als Katharina auf. Sie gilt fast als Repräsentantin der weit verzweigten Familie: »Ich fühle mich angenommen, das tut mir gut«, meint sie.

Großes Repertoire an Geschichten

Die Tuchers verdienen ihr Geld längst nicht mehr durch den Fernhandel mit Safran, Salz oder Pfeffer, sondern als Immobilienkaufleute, Cellobauer, Ingenieure und Ärzte. Bei den Rundgängen durch das Schlösschen in der Sebalder Altstadt lässt Inge Bickel die abwechslungsreiche Familiengeschichte durch die Jahrhunderte Revue passieren. Dabei klammert sie sich nicht an dem einmal festgelegten Text, sie variiert ihre Geschichten – schließlich hat sie im Lauf der letzten 23 Jahre viele Details zusammengetragen. Das macht ihren Vortrag lebendig, unterhaltsam und interessant.

Inge Bickel war schon als Kind vom Theaterspielen begeistert. Wenn in der Schule ein Stück aufgeführt werden sollte, meldete sie sich sofort. Eigentlich hätte sie als Mädchen gerne Ballettstunden besucht, aber die Flüchtlingsfamilie hatte in der Nachkriegszeit dafür kein Geld: »Ich habe mich damals auf die Zehenspitzen gestellt und getanzt«, erinnert sich die 79-Jährige. Das Schlüpfen in eine Rolle, das Sich-Hineinversetzen in einen anderen Charakter – dies hat von jeher einen großen Reiz auf die Seniorin ausgeübt: »Wenn ich auf der Bühne stehe, bin ich einfach glücklich. Ich spüre dann so eine Freude in mir.«

Lebenselixier ist ihre Familie und das Theater

Wichtig ist ihr, dass ihr Mann sie in ihrem Hobby unterstützt – denn geteilte Freude ist bekanntlich doppelte Freude. Als in Corona-Zeiten die Führungen ausfielen, bat sie ihren Mann, sie trotzdem einmal vom Wohnort Oberasbach in die Nürnberger Altstadt zu fahren. Das Tucherschloss war zwar wie alle Museen Pandemie-bedingt eine Zeitlang geschlossen. »Aber ich wollte es wenigstens von außen sehen. Ich hatte Sehnsucht«, berichtet sie.

Damals litt sie unter den Auswirkungen der Pandemie. Aber niederdrücken ließ sich die feinsinnige, energiegeladene Person nicht. Ihr Lebenselixier ist ihre Familie und das Theater. Wenn negative Gedanken sie bedrücken, dann sagt sie sich: »Ich bin stark, das Leben ist schön.« Mit diesem Mantra kehren Fröhlichkeit und Lebensfreude zurück.

Text: Hartmut Voigt
Fotos: Michael Matejka

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