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Urte Modlich vertont Biografien

Urte Modlich bringt ihre Erfahrung als Hörfunkredakteurin bei irher Biografiearbeit ein. Foto: privat

Jede Lebensgeschichte ist spannend, weil dahinter ein Mensch mit seinen Lebenserfahrungen steckt.« Wer wüsste das nicht besser als Urte Modlich, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, auf Wunsch ganz persönliche Erzählungen aufzuzeichnen. Sie gestaltet daraus ein individuelles Hörstück oder ein Video als Geschenk für sich und andere, zum Anhören, Anschauen und Miterleben. Die 49-jährige ehemalige Hörfunkredakteurin hatte schon in ihrem Beruf, den sie zwei Jahrzehnte ausgeübt hatte, »mit viel Freude über Menschen, Geschichten und Ereignisse berichtet«. Wie sie das nun in Hörbiogafien umsetzt, erläutert sie im Interview mit dem Magazin sechs+sechzig

Frau Modlich, wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, Hörbiografien zu verfassen?

Sie entstand aus der Kombination meines Berufs als Hörfunkredakteurin und dem Interesse an Geschichten. Das fing vor Jahren im familiären Umfeld an. Meine Großmutter war 97. Ich hatte noch viele Fragen an sie und wusste wegen ihres Alters, dass ich diese jetzt stellen muss. Ihre Geschichte, so weit sie sie noch erzählen konnte, habe ich im Hörformat festgehalten. Nicht nur, weil ich Hörfunkredakteurin bin, sondern weil ich mit Menschen auch Stimmen verbinde. Die Geschichten sind das eine, die Stimme und die Art des Erzählens sind das andere. Das geht verloren, wenn Geschichten vielleicht nur noch von Verwandten zusammengetragen werden können.

Ihre Oma war die erste Interviewpartnerin, wie ging es weiter?

Das hat sich schnell ausgeweitet. Zunächst meldeten sich andere Verwandte, und dann kamen immer mehr Anfragen von außen. Allerdings habe ich 15 Jahre gebraucht, ehe ich Anfang 2022 sagte: »Jetzt mache ich mal einen Schnitt, betreibe das intensiver, auch mit Video, und biete das der breiten Öffentlichkeit an.«

Wie viele Audio- und Video-Biografien haben sie bisher schon produziert?

Es sind jetzt ungefähr 20. Bis Anfang dieses Jahres habe ich das ja nur nebenbei gemacht.

Wer seine Biografie von Ihnen haben möchte, kommt entweder zu Ihnen nach Lüneburg oder Sie kommen zu ihm oder ihr. Sie sind im Nordosten von Niedersachsen zu Hause, wir hier unten in Franken, würde das klappen?

Das ist grundsätzlich kein Problem. Zunächst würde ich mit den Menschen telefonieren, damit wir uns kennenlernen und ein Gespür füreinander entwickeln. Die Chemie muss stimmen, schließlich erzählen mir die Personen sehr persönliche Inhalte. Stimmt das Bauchgefühl, komme ich sehr gerne vorbei. Damit das Interview nicht zum Marathon wird, sondern ganz entspannt läuft, beraumen wir in der Regel zwei Tage an, jeweils etwa drei Stunden. Bei Übernachtungen bin ich dank meines Wohnmobils flexibel.

Kommt der Anstoß für eine Hörbiografie eher von Familienangehörigen, die mehr über Eltern oder Großeltern wissen und eine bleibende Erinnerung haben wollen, oder von den Menschen selbst, die ihre Geschichte erzählen, aber kein Buch schreiben möchten?

Fast alle Auftraggeber waren bisher Verwandte, die von Vater oder Mutter, Oma oder Opa etwas festgehalten wissen wollten. Bisher hatte ich nur zwei, die gesagt hatten: »Ich will meine Lebensgeschichte erzählen, weil ich meinen Kindern etwas mitgeben möchte.« Vielleicht denken viele: »Wer will denn meine Geschichte schon hören?« Sie unterschätzen total, dass gerade die für Verwandte sehr interessant sein könnte.

Auf diese Weise kann viel verloren gehen.

Ja, es entsteht ein gewisses Vakuum, weil keiner richtig äußert, was er überhaupt will. Die Verwandten sagen nicht, wie sehr sie das Leben von Eltern oder Großeltern interessiert, und die wiederum halten ihre Geschichte für nicht erzählenswert.

Wie können Sie solche Hürden überwinden?

Den wichtigsten Schritt, um diese Hürden zu überwinden, haben die Verwandten bereits in dem Moment getan, wenn sie die Hörbiografie in Auftrag geben. Denn damit zeigen sie den Eltern oder Großeltern ganz deutlich: »Euer Leben ist für mich so spannend, dass ich es festhalten möchte.« Ich selbst bin immer total gefesselt von den Erzählungen, und das spüren auch die Interviewpartner. Und so kommt es ganz ungezwungen zu sehr schönen Gesprächen. Nicht zuletzt habe ich als Hörfunkredakteurin gelernt, die richtigen Fragen zu stellen und Inhalte herauszuarbeiten. Dabei kommen so manches Mal auch Erlebnisse an die Oberfläche, die die Verwandten so vielleicht noch nicht kannten.

Kann es auf der anderen Seite auch vorkommen, dass Enkel etwas über die Oma erfahren wollen, und die sagt, nein, meine Lebensgeschichte erzähle ich nicht?

Das klärt sich schon im Vorgespräch. Ich bitte die Enkel, das alles ganz in Ruhe mit den Großeltern zu besprechen und ihnen zu sagen, wie so ein Interview abläuft. Außerdem spreche ich auch selbst mit den betreffenden Personen. Fühlen die sich mit der Idee nicht wohl, dann ist das für die Verwandten vielleicht bedauerlich. Aber ein Interview kann es unter diesen Voraussetzungen nicht geben. Denn für mich ist es am wichtigsten, dass bei den interviewten Personen ein gutes Gefühl zurückbleibt.

Gibt es umgekehrt auch Fälle, bei denen jemand erzählen will, aber die Biografie absolut unspannend ist und nichts hergibt?

Nein, jede Lebensgeschichte ist spannend, weil dahinter immer ein Mensch mit seinen Erfahrungen steckt. Spannend darf man nicht so definieren: Hat die Geschichte das Zeug zum Bestseller? Sondern: Wie betrachtet eine mir vertraute Person ihr eigenes Leben?

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Ich habe eine Frau interviewt, die ihr ganzes Leben lang in ihrem Heimatort geblieben ist. Rein objektiv lässt das eine weniger spannende Lebensgeschichte erwarten. Aber darum ging es nicht: Die Frau war zum Zeitpunkt des Interviews sterbenskrank und blickte trotzdem mit einer Wärme, Freude und Dankbarkeit auf ihr bisheriges Leben zurück. Außerdem war es für die Kinder schön zu hören, wie ihre Mutter in Jugendjahren war. Schließlich war sie früher auch einmal verliebt, hatte Streiche gemacht oder Dinge erlebt, die den Nachkommen bis dahin verborgen geblieben waren.

Sie betten die Lebensgeschichten historisch ein. Wie machen Sie das?

Bleiben wir bei dem Beispiel. Der Ehemann dieser Frau war zeitweise in einem Heim für Geflüchtete untergebracht, aber niemand wusste mehr, in welchem. Also habe ich beim Heimatverein und im Stadtarchiv recherchiert und dort uralte Fotos von dem Heim ausgegraben. Außerdem versuche ich immer, die Lebensgeschichte in einen größeren historischen und geografischen Kontext zu stellen, um bei jüngeren Leuten ein Verständnis für frühere Lebenssituationen zu wecken.

Da steckt viel Arbeit drin. Wie lange dauert es, bis die Audio- oder Videoversion fertig ist?

Anfangs dachte ich, zwei Wochen würden genügen, aber vier sind es meistens. Ich texte ja auch noch, um die Menschen und ihr Lebensumfeld vorzustellen und Zusammenhänge zu erläutern. Oft sind Fotos nicht aufzutreiben, es kommt aber auch vor, dass Gesprächspartner erkranken und eine Pause einlegen müssen.

Und was kostet so eine Biografie?

Das hängt von Format und Länge ab. Das reine Hörstück kostet in der kürzesten 30-Minuten-Version etwa 1000 Euro. Die mit Bildern erweiterte Audio-Video-Kombination in zirka 45-minütiger Länge liegt bei rund 2000 Euro.

Interview: Herbert Fuehr

Fotos: privat; Wolfgang Gillitzer

Mehr Informationen unter

www.einstueckvonmir.de

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