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Krisenmanager für Menschen in Not

Mit einem Fischkutter des Regensburger Vereins Sea-Eye kreuzte Stadler durch das Mittelmeer und rettete Flüchtlinge. Foto: privat

Seine Laufbahn als Unternehmensberater ist beendet. Seit dem Beginn der größten Migrationswelle nach Deutschland 2015 steht Klaus Stadler statt dessen Flüchtlingen bei, zeitweise sogar als Kapitän eines Schiffs zur Seenotrettung. Nürnberger Kulturförderer ist er obendrein. Kein Wunder also, dass der heute 70-Jährige sich mit Krisen in vielen gesellschaftlichen Bereichen auskennt – auch hierzulande und jenseits der Pandemie.

Die problematische Lage der Menschen, die in diesen Zeiten an den unterschiedlichsten Fronten mit existienziellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, ist ihm bewusst und macht ihm zu schaffen. Daher macht er es sich in seinem Ruhestand nicht gemütlich. Denn er weiß: Berufstätige, die Jahrzehnte lang im Betrieb ihren festen Platz hatten und auf einmal gekündigt werden, geraten oft in eine tiefe Krise. »Die jüngere Generation ist den häufigen Wechsel eher gewohnt«, sagt Stadler. »Aber wenn es jemanden in den Mittfünfzigern trifft, frisst das am Selbstwertgefühl und stellt die eigene Identität in Frage.«

Unterwegs zum beruflichen Spurwechsel

Was hilft, ist – neben den generellen Angeboten für Arbeitslose – ganz viel mit Freunden über die prekäre Lage zu reden und so die Last zu teilen. »Also genau das Gegenteil von jenen Entlassenen, die ihre Kündigung geheim halten.« Unterwegs zum beruflichen Spurwechsel lohne es sich vielleicht, das Engagement »gemeinnützig zu parken«. Und sich bei einer individuellen Kündigung zu fragen: Worin besteht mein eigener Anteil am Jobverlust? Angenehm sei diese Selbstbeleuchtung nicht, dafür umso lehrreicher. Aber: Hauptsache nicht aufgeben.

Dem ehemaligen Unternehmensberater ist klar: Wer den Neuanfang schafft, muss mitunter Kröten schlucken, etwa bei einer viel schlechteren Bezahlung. Was zu der Frage führt, warum in Deutschland der relative Niedriglohnsektor im Europavergleich ungefähr so riesig ist wie in Bulgarien. Und warum in unserem reichen Land niemand dagegen auf die Straße geht, statt dessen Menschenmassen gegen Corona-Maßnahmen demonstrieren. 

»Empathie allein reicht nicht«

In dem vergleichsweise luxuriösen Zustand des von allen beruflichen Fesseln Befreiten bleibt Klaus Stadler nicht untätig. Mit großem Einsatz betätigt sich der Unruheständler in zahlreichen, höchst unterschiedlichen Ehrenämtern. Nachdem er ab 2015 seine Beratungstätigkeit zurückgefahren hatte, engagierte er sich im Helferkreis in der Nürnberger Solgerstrasse/Rosenau. »Empathie allein reicht nicht. Deshalb habe ich das getan, was ich gut kann.« Geübt im Umgang mit Behörden, stand er Geflüchteten etwa in Anhörungen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bei. Was er dort erlebte, empfand er zum Teil als haarsträubend. »Da ist viel Bockmist passiert.«

Als Erster Vorsitzender von »Contemporaries e.V.« (Kunsthalle Nürnberg) und als Unterstützer des Kammermusikfestivals »Bridging Arts« hat er Einblick in die Künstlerszene. »Die Freischaffenden sind enttäuscht von der öffentlichen Hand, da kommt im dritten Corona-Jahr zu wenig Hilfe. Manche haben sich einen neuen Lebensunterhalt gesucht, hoffentlich nur vorübergehend.« Die eine Seite ist, dass Kunstschaffende leiden, weil sie seltener auftreten dürfen. Die andere Seite sieht Stadler in der »Ermüdungskrise des Publikums«, wenn Veranstalter erneut aufschieben müssen. Und tatsächlich hört man überall den Satz: »Wahrscheinlich wird auch das wieder ins Wasser fallen.«

Ein Filmspot gab den Anstoß

Sein mutigster und spektakulärster ehrenamtlicher Einsatz fand auf hoher See statt und bewegt ihn bis heute menschlich am intensivsten. Ein makaberer Filmspot in Nürnbergs Südstadtkino Casablanca, der auf das Schicksal der übers Meer Flüchtenden aufmerksam machte, hatte den Ausschlag gegeben. Darin sehen Erwachsene vom Beckenrand im Hallenbad aus zu, wie ein Kleinkind zu ertrinken droht, und machen nichts als dumme Sprüche, als langsam die Luft aus den Schwimmflügelchen entweicht. Das Video gab dem passionierten Hochseesegler Stadler den letzten Anstoß, selbst anzupacken. Mit dem knallroten Fischkutter »Seefuchs« des Regensburger Vereins Sea-Eye kreuzte er durch das Mittelmeer. 2017/18 zog die Mannschaft bei weiteren Einsätzen 120 Menschen aus den Fluten. Es hätten sehr, sehr viele Menschen mehr sein können, hätten Regierungen und Behörden das nicht verhindert. In Vorträgen berichtet Stadler immer wieder von diesen Tragödien, die anscheinend kein Ende nehmen, und versucht, seine Mitmenschen zu Engagement und Hilfe zu ermuntern.

Er selbst empfindet seine Ehrenämter als sinnstiftend und erfüllend. Als früherer Unternehmensberater ist er an rationales Denken und Handeln gewöhnt. Und das Älterwerden ist für ihn offenbar auch kein vernünftiger Grund, sich zuzückzuziehen. Da ist noch viel Power.

Text: Angela Giese
Foto: privat

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