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Ganz schön cool, die neuen Alten

Abgesehen vom Faktor Gesundheit ist Alter möglicherweise nur ein soziales Konstrukt. Zumindest bespringt einen dieser Gedanke, wenn man es wieder einmal mit einem früh vergreisten Teenager zu tun hatte. Es gibt Menschen, die sind noch keine 30 und bereits steinalt oder gar innerlich tot. Und es gibt Menschen, die sind weit über 90 und sprühen nur so vor Vitalität, Neugier, Intellekt und Lebensfreude.

Nicht aus den Augen lassen darf man eine Entwicklung, von der nicht sicher ist, inwieweit man sie wissentlich beeinflussen kann. Wem ein längeres Leben vergönnt ist, der wird sich entscheiden müssen, in welche Richtung er sein Leben lenkt: Altersmilde und Altersweisheit auf der einen Seite oder  ­Altersstarrsinn und Verbitterung – wohin geht die Reise? Vielleicht lässt sich das aber auch gar nicht groß steuern, sondern passiert einfach von ganz allein, massiv beeinflusst von dem, was einem unterwegs so alles widerfahren ist – und wie die Gesundheit mitspielt. 

Man weiß mehr im Alter, auch das steht fest. Aber ob das immer von Vorteil ist, ist die nächste Frage. Und dann ist da noch der Aspekt »Freiheit«, den viele Menschen im späten Lebensalter spüren – im Idealfall, sollte man hinzufügen, weil auch hier wieder die Faktoren Gesundheit, materielle Sicherheit und Sorgenfreiheit mit hineinspielen. Sagen wir so: Die Sache ist – wie überhaupt das ganze Leben – heikel. Das zeigt sich besonders in Krisenzeiten wie diesen. »Gut, dass ich schon so alt bin!« – diese Aussage haben wir selbstverständlich mit einem Augenzwinkern versehen.

Karin Noventa, 74, Lehrerin im Ruhestand (Mathematik, Geografie und Informatik an der Realschule). Arbeitet als Tutorin im Computer Club Nürnberg 50 plus e. V.

Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich gesund und guten Mutes bin, eine Familie an meiner Seite und keine materiellen Sorgen habe. Auch viele meiner Freundinnen sind noch fit und haben im Alter Humor, guten Willen und eine hohe Lebensqualität. Insoweit bin ich glücklich.

Ich genieße es sehr, dass ich den Tag langsam angehen lassen kann. Mein ganzes Leben lang bin ich um sechs Uhr morgens aufgestanden, habe mich aufgebrezelt und musste los. Heute bin ich Herrin über meine Zeit. Als ich noch im Dienst war, hatte ich keinen privaten Terminkalender. Seit ich im Ruhestand bin, bin ich ohne verratzt. Ich bin nicht der Typ, der jeden Mittwoch zum Einkaufen geht und jeden Donnerstag Karten spielt, sondern lebe lieber spontan. Jetzt gleich fahren wir nach Ansbach in die Landesausstellung – das haben wir heute morgen am Küchentisch beschlossen. So eine spontane Entscheidung genieße ich sehr.

Meine Enkel sagen, ich sei heute viel geduldiger. Ich erlebe mich selbst auch so. Wenn der Stress wegfällt, kann man das Leben gelassener angehen. Sehr schön ist auch, dass ich nicht mehr jede Mode mitmachen muss und mich kleiden kann, wie ich will. Als ich noch im Lehrdienst war, war auch das anders.

Ich bin froh, dass ich schon so alt bin und mein Leben mit all seinen Höhen und Tiefen genießen konnte. Aber ich habe auch ein schlechtes Gewissen den jungen Leuten gegenüber, die unsere Rente bezahlen sollen und mit unseren Fehlern bezüglich der Umwelt, der Energie und der Finanzen leben müssen. Angst vor der fernen Zukunft brauche ich ja nicht zu haben. 

Dan Reeder, 67, Musiker, Maler und Künstler aus Nürnberg

Dan Reeder akzeptiert, dass sein Leben durch den Tod begrenzt ist.

Ein großer Vorteil des Älterwerdens ist: Ich kann jetzt ruhig sitzen. Ich weiß noch, wie ich als Kind alte Männer gesehen habe, die auf ihren Gehstock gelehnt und einfach da waren. Wie zum Teufel machen die das? Jetzt kann ich das auch.

Ansonsten bin ich seit fast einem Jahr in Rente und mache eigentlich genau das, was ich immer gemacht habe. Alt sein ist dann schön, wenn man noch gesund ist – und das bin ich. Ich erlebe mich ein bisschen stabiler als früher, vor allem psychisch. Ich bilde mir ein, dass ich heute eine breitere Sicht habe. Und ich weiß, dass Zustände, wie sie aktuell herrschen, nicht zwingend immer so bleiben müssen. Dinge ändern sich tatsächlich, das sehe ich jetzt.

Mit mir selbst bin ich im Reinen, nur was meine Arbeit angeht, befinde ich mich immer noch in einem steten Wechselbad der Gefühle. Manchmal schaue ich mir an, was ich gemacht habe, und denke mir »Right on, Dan – super! Das ist genau das, was die Welt gebraucht hat!« Ein paar Tage später schaue ich mir dasselbe an und denke mir: »Oh mein Gott, das ist doch alles total fucking bullshit! Ich habe mein Leben weggeschmissen!« 

Eine positive Seite hat das Älterwerden: Das klingt jetzt total albern und idiotisch, aber ich habe gemerkt, dass ein Leben einen Anfang und ein Ende hat. Und dass das okay ist, weil es nur so eine Einheit bildet. Selbst der letzte Idiot schafft es, zu sterben – das ist sehr tröstlich. Und jetzt kommt das vielleicht Wichtigste, was ich als jüngerer Mensch nicht kapiert habe: Die Gelassenheit, dass man eigentlich gar nicht ewig leben will, dass ein Ende notwendig ist und man dieses Ende auch haben will – weil das, was dazwischen liegt, dein Leben ist. 

Michael Matejka, 62, Fotograf, Fotojournalist und Segler

Michael Matejka denkt an nachfolgende Generationen.

Ich hab’ mir das früher oft gedacht, wenn es beruflich gehakt hat: »Mensch, der Kollege hat es gut, dass er bald raus und in Rente ist!« Aber das ist nicht der Ansatz.

»Wie gut, dass ich schon so alt bin«, in diesem Satz steckt ein bisschen Egoismus drin, so von wegen: »Nach mir die Sintflut!« Aber das kann ja nicht sein. Meine Generation und die Generation davor, wir haben auf Kosten der nächsten Generationen gelebt – und ganz schön was in Schieflage gebracht. Und das müssen die Jungen nun reparieren oder ausbaden. Das ist nicht richtig. Schlimm ist auch, dass meine Generation immer noch ignoriert, dass wir etwas ändern müssen. Dass wir nicht weiter auf Pump leben können. Denn bei wem pumpen wir uns denn das? Bei der Generation, der wir das nicht mehr zurückzahlen können. Das ist nicht gut.

Aber wann habe ich denn überhaupt angefangen, mir übers Älterwerden Gedanken zu machen? Die meisten Kontakte hat man nun mal im Berufsleben, und da passiert es, dass irgendwann einer zu dir kommt und fragt: »Wie lange hast Du denn eigentlich noch?« Und dann erschrickt man, von wegen: »Sieht man mir wohl an, dass ich schon so alt bin? Ich fühl mich doch gar nicht so!« Von da an bist du auf Empfang, hörst um dich herum immer wieder das Argument: »Ja, wenn ich erst mal in Rente bin …« – aber auch das ist falsch. Du musst jeden Tag so nehmen, wie er ist. Und leben! Nicht davon träumen, dass du irgendwann mal irgendwas machst. Weil eh‘ alles anders kommt, als man es plant. Mit einem einzigen Besuch beim Hausarzt kann alles ganz anders sein.

Jo Niklaus, 80, Malerin aus Nürnberg (Phantastischer Realismus: Trompe-l’œil, Portraits, Illusionen). Anfang des Jahres widmete das Albrecht-Dürer-Haus ihr die Einzelausstellung »Reflexionen zu Dürer«.

Jo Niklaus ist an manchen Tagen gefühlte 30 Jahre, an anderen 105.

Als ich noch ein Teenager war, meinte meine Oma: »Nach 80 kommt nichts mehr.« Bei ihr stimmte es – sie starb einfach. Jetzt selbst mit 80 kann ich nur sagen: Man sollte das Alter einfach abschaffen und sich je nach Zustand und Gefühlslage so alt fühlen, wie man meint – manchmal 30 und manchmal auch 105.

Als Malerin freue ich mich jeden Tag auf meine Arbeit. Ich durchlebe die Tage so, als gäbe es noch unendlich viele davon. Für mich persönlich heißt »Gut, dass ich schon so alt bin«, dass ich endlich meine Meinung äußern kann, ohne auf jemanden Rücksicht zu nehmen. Sehe ich hochgelobte Schmierereien in der Bildenden Kunst, habe ich seit Jahren keine Scheu, diese auch so zu benennen. Geburtstagsfeiern, große wie kleine, sind abgeschafft. Treffen gibt es nur noch mit Freunden und Leuten, die ich mag. Es ist schön, dass man im Alter so manches ganz zwanglos tun kann.

Alt werden ohne alt zu sein ist ein guter Zustand und zur Nachahmung empfohlen. Die Neugier auf Neues zu behalten hilft. Allerdings gibt es Typen, die sind schon mit 20 uralt und bleiben es auch lebenslang – schade eigentlich. Doch auch die können dann immer sagen »Gut, dass ich schon so alt bin«.

Manfred Schreiner, 78, langjähriger Leiter des Schulamtes der Stadt Nürnberg und Vorsitzender der Hermann-Kesten-Gesellschaft. Eben ist im Iatros Verlag sein neues Buch »Aus der Schule geplaudert. Anekdoten, Glossen, Zwischenrufe und Nachdenkliches« erschienen.

Manfred Schreiner lebt nach dem Prinzip, ein Termin pro Tag reicht.

Das Alter kann man genießen. Man ist frei vom Leistungsdruck der früheren Jahre und kann endlich seine Termine selbst bestimmen. Erst im Alter wird man zum Herrn seiner Zeit. Kein Chef kann einem mehr Terminvorgaben oder Verhaltensweisen vorschreiben. Endlich kann man lesen, was man lesen will.

Es gibt keine Pflichttermine mehr, seine Gesprächspartner kann man sich selbst aussuchen und alle und alles vermeiden, was einem nicht gut tut. Man ist frei von Zeitstress, weil man mit dem Prinzip »ein Termin pro Tag« gut leben kann. Wenn ich am Dienstag einen Friseurtermin habe, mache ich am gleichen Tag keinen Arzttermin – so kann man im Alter Zeitstress vermeiden und stattdessen Muße und Musen pflegen, etwa ohne Leistungsdruck Italienisch lernen oder stressfrei ein Buch schreiben. 

Man muss nicht mehr wie früher im Berufsleben zu Menschen gut sein, die man nicht leiden kann. Man muss nicht mehr erfolgreich sein, man darf auch mal Fehler machen und mit Altersmilde die Fehler anderer verzeihen. Mit der Gelassenheit des Alters kommt man zur Ruhe, weil man durch Lebenserfahrung gelernt hat, dass nichts so heiß gegessen wird wie es gekocht wurde. So kann man auch im Alter Optimist und Realist sein. Das Alter wird zum Genuss, weil man keine Altersweisheit erwerben muss. Im Gegenteil: Es gehört für mich zu den schlimmsten Formen der Altersverblödung, wenn man sich im Alter für weise hält. Mit der Maxime, möglichst lange »oben licht und unten dicht« zu sein, kann man sein Leben im Alter sicher nicht verlängern, aber vertiefen. Und man muss wissen: Man braucht mehr Zeit und hat mehr Zeit, und die Zeit läuft ab.

Peter Bloß, 69, Veranstalter und Mitbegründer des »Blues Will Eat«-Festivals in Nürnberg

Peter Bloß ist es nicht mehr so wichtig, was andere über ihn denken.

Ich erlebe mich als viel ruhiger und gelassener, steigere mich nicht mehr in Kleinigkeiten rein. Und: Ich stehe mehr zu meiner Meinung. Früher war es mir wichtig, was andere über mich denken, keine Ahnung warum. Vielleicht habe ich mich nicht getraut, meine Meinung zu sagen. Heute nehme ich die Dinge, wie sie sind.

Wirklich schön ist, dass man nicht mehr das Gefühl hat, etwas zu versäumen. Ich gehe immer noch total gerne auf Konzerte und Festivals, aber wenn heute mal nix zusammengeht, dann ist das nicht schlimm. Und das hat wirklich etwas: Dass man nicht mehr überall dabei sein muss …

Auch mache ich mir im Alter mehr Gedanken übers Essen und Trinken und über Gesundheit im Allgemeinen. Über Massentierhaltung, Billigfleisch, und wo das alles herkommt, habe ich mir früher keinen Kopf gemacht. Heute ist das anders.

Und dann hat man als Rentner einfach mehr Zeit. Eine Stunde oder zwei auf der Terrasse hocken und lesen oder Musik hören, das genieße ich sehr. Ich habe rund 6000 Schallplatten und CDs im Schrank stehen, alphabetisch sortiert. Diese Sammlung höre ich gerade nochmal von vorne bis hinten durch, was richtig Spaß macht. Aber auch, dass ich mehr Zeit habe, das »Blues Will Eat«-Festival in aller Ruhe zu organisieren, ist schön.

Irgendwo habe ich mal den Satz gelesen »Mit drei ist es toll, allein aufs Töpfchen gehen zu können, und mit 93 ist das auch wieder so.« Im Ernst: Ich lebe schon lange nach dem Motto »Steigendes Alter heißt nicht sinkende Lebensfreude«. Man soll einfach zufrieden sein, wenn auch im Alter immer noch was geht – und nicht alles so eng sehen.

Umgehört hat sich Stefan Gnad
Fotos: Michael Matejka

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