Wissen, das über ein ganzes Berufsleben hinweg angesammelt wurde, sollte mit dem Eintritt in den Ruhestand nicht einfach verloren gehen. Besser ist es, wenn es dort zum Einsatz kommt, wo es dringend gebraucht wird. Zum Beispiel in einem Gesundheitszentrum in Uganda oder in einem kleinen Dorf in Nepal. Beide erfuhren Unterstützung durch die Hilfsorganisation »Ingenieure ohne Grenzen«.
»Ohne Grenzen« hat eine vielfältige Bedeutung: Für das, was möglich ist. Wo etwas nötig ist. Und auch dafür, dass für Hilfe keine Altersbeschränkung gilt. So gibt es inzwischen etliche Berufsgruppen, die nahezu grenzenlose Unterstützung anbieten. Ärzte und Anwälte etwa oder eben Ingenieure. Rund 3500 ehrenamtliche Mitglieder zählt der Verband deutschlandweit bereits. Eine der 34 Regionalgruppen, die Projekte anschieben und realisieren, hat ihren Sitz in Nürnberg.
Hier landete auch der Hilferuf der Berliner Zentrale von »Ingenieure ohne Grenzen«, nachdem im Frühjahr 2015 mehrere Erdbeben Nepal erschüttert und mehr als 8000 Menschen das Leben gekostet hatte. Unter Leitung von Christoph Volkmar, der in seinem »früheren Leben« als selbstständiger Architekt gearbeitet hatte, leistete ein fränkisches Team im nepalesischen Distrikt Kavre Wiederaufbauhilfe. Das Dorf, in dem sich die Franken engagieren, liegt rund 45 Kilometer südöstlich von Katmandu. Eines der Projekte hat das Ziel, die Wasserversorgung vor Ort zu verbessern; ein anderes, ein Dorf zu sanieren. Etwa 30 Familienhäuser und ein Lehrerhaus sind wieder aufzubauen – und zwar erdbebensicher. »Wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe«, sagt Volkmar. Elf Menschen flogen aus Deutschland nach Nepal, um das Dorf in Augenschein zu nehmen, um die Erdbebenschäden zu begutachten, Gebäude auf ihre statische Ertüchtigung zu prüfen und um überhaupt festzustellen, ob das Ganze als Projekt angelegt werden kann.
Flüge und Unterkunft zahlen die Helfer selbst
Die Kosten für Flüge und für Kost und Logis vor Ort zahlen die Helfer aus eigener Tasche. »Das würde sonst bereits einen zu großen Teil unseres Budgets verschlingen«, sagt Volkmar. Ohnehin gehört die Finanzierung eines solchen Projektes zu den größten Herausforderungen. Johann Schauer hat sich in der Nürnberger Regionalgruppe des Fundraisings angenommen. Keine leichte und schon gar keine dankbare Aufgabe. Wie viele Briefe er verschickt, wie viele Anrufe er tätigt, um an eine Spende zu kommen? »Sehr viele«, sagt Schauer und lacht.
Je nach Größe des Projekts sind 50 000 bis 120 000 Euro aufzubringen. Ein Teil des Geldes kommt aus der Zentrale der Hilfsorganisation in Berlin, die wiederum auch vom Bund Mittel erhält. Ein großer Teil muss aber erst noch eingesammelt werden. Willkommen ist jede Spende – die größere Überweisung von Firmen der Metropolregion ebenso wie der Geldschein in der Sammelbüchse. Viele der Ehrenamtlichen, so Schauers Erfahrung, wünschten sich zu ihren Geburtstagen nichts für sich, sondern für die Organisation.
Unterstützung bei seiner Arbeit erhält Schauer auch von Studenten der Technischen Hochschule Nürnberg und von Menschen, die noch recht frisch im Berufsleben stehen. Sie erhalten von ihm auch ein Coaching, bei dem sie lernen, wie man richtig an Unternehmen herantritt, die man um Spenden bitten möchte. Einmal im Monat trifft sich die Gruppe an der Hochschule. »Wir ergänzen uns alle gut«, so der frühere Sales Manager eines US-Unternehmens. Die jungen Leute wollten soziale Projekte unterstützen und würden damit zugleich Projektkompetenz erwerben – sowie die Arbeit in Teams und den Umgang mit anderen Kulturen einüben.
Den lernen auch die Senior-Experten noch einmal auf eine neue Art und Weise. Wenn sie früher im Auftrag ihrer Firmen unterwegs waren, lebten sie meist in schicken Hotels. »Heute wohnen wir bei und mit den Menschen vor Ort«, erzählt Volkmar. Über die Jahre war er insgesamt 14 Wochen in Nepal. In diesem Jahr soll das Projekt abgeschlossen werden. Die Häuser stehen wieder. Was aber noch wichtiger ist: Es gibt einige nepalesische Handwerker, die nun über das Know-how verfügen, erdbebensicher zu bauen. Wieder, muss man sagen. Es ist Wissen, das schon einmal da war. »Der dort lebende Volksstamm der Newari wusste das früher einmal«, hat Volkmar in Nepal gelernt. Jetzt sollen die von »Ingenieure ohne Grenzen« fit gemachten Nepalesen das Erlernte an andere Handwerker der Region weitergeben.
Flyer auf dem Afrika-Festival
Während der Wiederaufbau in Nepal fast abgeschlossen ist, steht ein Projekt noch ziemlich am Anfang, das am Nürnberger Afrika-Festival seinen Anfang genommen hat. Jennifer Kyewalyanga, eine aus Uganda stammende Ärztin, bekam auf dem Festival einen Flyer von »Ingenieure ohne Grenzen« in die Hände. Sogleich dachte sie an ein von ihrem Vater gegründetes Gesundheitszentrum in Kako im Süden Ugandas. Nach dem Tod der Vaters hatte sich ihr Bruder um das Zentrum gekümmert, aber seit auch er gestorben war, verfiel es. Jennifer Kyewalyanga möchte gerne mit ihrem Mann nach Afrika zurückgehen, um das Werk des Vaters fortzusetzen, aber ohne Unterstützung geht es nicht.
Diese fand sie bei »Ingenieure ohne Grenzen«. »Wir haben uns das angeschaut und beschlossen, aktiv zu werden«, sagt Jürgen Barfuß. Er kümmert sich nun mit einem Team um die Sanierung des Bauwerks, der Elektrotechnik, der Wasser- und Abwasseranlagen sowie um die Erneuerung medizinischer Geräte. »In der Gruppe beratschlagen wir aber nicht nur, ob wir die Ressourcen für so ein Projekt haben, sondern auch, welche Wirkung unser Eingreifen in dem jeweiligen Land hat«, erzählt der ehemalige Siemens-Manager. »Ob es nachhaltig sein kann und ob die Menschen vor Ort das überhaupt möchten. Das ist für uns sehr wichtig.«
Anja Kummerow; Fotos: privat
Christoph Volkmar beim Einmessen der Gesimsbalken für ein Lehrerhaus im nepalesischen Distrikt Kavre.
Seit dem Tod des Gründers verfällt das Gesundheitszentrum.
Das Gesundheitszentrum in Koka in Uganda wird mit fränkischer Unterstützung demnächst saniert.
Weitere Informationen zur Regionalgruppe gibt es unter:
www.ingenieure-ohne-grenzen.org/Regionalgruppen/Nuernberg