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Poesie und Paarbeziehung auf Argentinisch

vignetteFargelDear All, der Standesbeamte war recht jung; die Brautleute vor ihm gut zehn Jahre älter. Ganz schön mutig, dachte ich, als er die beiden fragte, ob er ihnen vor der Trauung noch einen Rat mit auf den Weg geben darf – in Form eines Gedichtes. Vom argentinischen Dichter Jorge Bucay:
Ich will, dass du mir zuhörst, ohne über mich zu urteilen.
Ich will, dass du deine Meinung sagst, ohne mir Ratschläge zu erteilen.
Ich will, dass du mir vertraust, ohne etwas zu erwarten.
Ich will, dass du mir hilfst, ohne für mich zu entscheiden.
Ich will, dass du für mich sorgst, ohne mich zu erdrücken.
Ich will, dass du mich siehst, ohne dich in mir zu sehen.
Ich will, dass du mich umarmst, ohne mir den Atem zu rauben.
Ich will, dass du mir Mut machst, ohne mich zu bedrängen.
Ich will, dass du mich hältst, ohne mich festzuhalten.
Ich will, dass du mich beschützt, ohne Schwindeleien.
Ich will, dass du dich näherst, doch nicht als Eindringling.
Ich will, dass du all das kennst, was dir an mir missfällt. Dass du es akzeptierst, ohne mich zu verändern wollen.
Ich will, dass du weißt … dass du heute auf mich zählen kannst. Bedingungslos.

Jorge Bucay, Jahrgang 1949, ist Internist, Psychoanalytiker und Psychiater. Seine Erfahrungen als Arzt verwundeter Seelen hat er auf besonders poetische Art verarbeitet. Mit seiner “Wunschliste” geleitet er junge Paare zum Liebesglück, reiferen Paaren bietet er einen Lackmustest zur Beziehungsqualität und Ideen zur Korrektur.
Ist das nur Zufall, dass so ein Text aus Buenos Aires kommt? Es ist die Hauptstadt des Tangos. Wie bei kaum einem anderen Tanz verschränken sich Körper und Leidenschaft so kunstvoll; ergänzen sich so elegant- wenn man es kann, wenn man es will. Wie in einer geglückten Beziehung, die Nähe und Grenzen zu dosieren gelernt hat. Voller Bewunderung für den poetischen Facharzt und den mutigen Standesbeamten (die Brautleute gaben sich wissend lächelnd das Ja-Wort).
Ihr Global Oldie
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*Aus Jorge Bucay: „Cuentos para pensar“ 1997. Auf Deutsch „Geschichten zum Nachdenken“ 2002″
“Yo quiero” ist im spanischen Originaltext zweideutig:es kann beides bedeuten “ich liebe” oder “ich will” – noch eleganter kann man die beiden Seiten einer Paarbeziehung gar nicht umschreiben!

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