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Kommissar stolpert über Leichen

Rund 30 Aktive führen durch die Ausstellung im Fürther Kriminalmuseum - Im Keller des Fürther Rathauses liegt eine Leiche in ihrem Blut, seit vier Jahren schon. Auf einem Schreibtisch steht noch ein Aschenbecher mit Zigarettenresten des Opfers. Ein Glas ist umgefallen.

Wilfried Dietsch ist einer der Initiatoren des vor vier Jahren eröffneten Kriminalmuseums im Fürther Rathaus. Foto: Michael Matejka
Wilfried Dietsch ist einer der Initiatoren des vor vier Jahren eröffneten Kriminalmuseums
im Fürther Rathaus. Foto: Michael Matejka

von Günter Dehn
Rund 30 Aktive führen durch die Ausstellung im Fürther Kriminalmuseum – Im Keller des Fürther Rathauses liegt eine Leiche in ihrem Blut, seit vier Jahren schon. Auf einem Schreibtisch steht noch ein Aschenbecher mit Zigarettenresten des Opfers. Ein Glas ist umgefallen.
Daneben befindet sich ein Tresor, dem man ansieht, dass sich der Täter daran zu schaffen gemacht hat, ihn aber nicht aufschweißen konnte. Die kleinen, schwarzen Nummerntafeln der Spurensicherung erinnern an Tatort-Sendungen im Fernsehen. Der erste Eindruck täuscht: Das Blut ist »Theaterblut« und die gekrümmte Haltung des Opfers hat eine Visagistin des Fürther Theaters einer Schaufensterpuppe verliehen. »Der Tresor«, sagt Wilfried Dietsch, »stammt aber von einem echten Einbruch.« Alles andere hat die Fürther Mordkommission liebevoll arrangiert und in Szene gesetzt.
Wir befinden uns im Fürther Kriminalmuseum, dem einzigen dieser Art in der Metropolregion. Dietsch, der 68-jährige ehemalige Leiter der Fürther Polizeidirektion, gehört zu den Initiatoren dieses Ausstellungshauses. Im September 2010 eröffnet, beleuchtet es auf 200 Quadratmetern Fläche zwei Jahrhunderte Kriminal-, aber auch Polizeigeschichte der Kleeblattstadt. Der Besucher begegnet hier noch dem Schutzmann mit der Pickelhaube, die auf der Stirnseite ein Kleeblatt ziert. Im Eingang steht die nach dem Zweiten Weltkrieg in Betrieb genommene Telefonanlage mit Wählscheibe und diversen Druckknöpfen zur Vermittlung der Gespräche. Junge Besucher, die beispielsweise mit ihrer Schulklasse kommen und einen Touchscreen gewohnt sind, stehen oft hilflos vor der unbekannten Wählscheibe, hat Dietsch beobachtet. Also heißt es, ausprobieren und sich dabei über eine Zeit informieren, die so lange noch gar nicht zurückliegt.
Die Ausstellung berührt auch die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Alle Polizisten wurden von den Amerikanern damals erst einmal verhaftet. 1945 stellten sie dann die ersten Polizisten ein, 398 an der Zahl. In Zivilkleidung, ausgestattet mit einer weißen Armbinde und einem Holzknüppel. 174 von ihnen entließ man nach kurzer Zeit wieder. Sie waren als NSDAP-Mitglieder »enttarnt« worden. Die Rolle der Polizei im Dritten Reich wird ansonsten ausgespart. Sie unterstand zwar der Reichsführung in Berlin, gleichwohl weiß man, dass beispielsweise der damalige Polizeipräsident von Nürnberg-Fürth, Benno Martin, NSDAP-Mitglied und SS-Mann, mitverantwortlich war für die Deportation fränkischer Juden.
Schon rund 11.000 Besucher
Wichtig ist den Betreibern des Museums der pädagogische Ansatz der Ausstellung. Rund 30 ehrenamtlich tätige Polizisten und ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Polizeidienst führen die jungen und älteren Besucher durch die Schau. Zu sehen ist beispielsweise eine Vitrine mit Emblemen von Neo-Nazis.
Mehr als 11.000 Interessierte haben die kleine Ausstellung seit ihrer Eröffnung besucht. »Vor allem jungen Besucherinnen und Besuchern soll vor Augen geführt werden, dass sich Kriminalität nicht lohnt und Drogen oder Alkohol keine Probleme lösen«, sagt Dietsch. Dabei bedient man sich auch moderner audiovisueller Mittel. Man kann aber auch durch ein einfaches Guckloch in einer Holztüre einen Blick in ein eigens vom Fürther Drogenkommissariat eingerichtetes Drogen-Labor werfen – bestückt mit (künstlichen) Cannabispflanzen und Kolbengefäßen, in denen die Aufbereitung von Heroin simuliert wird. Texttafeln informieren, an der Wand daneben zeigt ein Monitor den körperlichen Verfall eines heroinsüchtigen Mädchens.
Älteren Besuchern mag ein installierter Geldautomat als Warnung dienen. Eine versteckt angebrachte Kamera überträgt die Eingabe der PIN-Zahlen auf einen Monitor. »Die Betrüger bekommen die entdeckten Zahlenkombinationen auf einen Bildschirm in ihrem Auto übertragen, und schon haben sie die Möglichkeit, fremde Konten zu plündern«, erläutert Dietsch die Arbeitsweise von Ganoven. Sein Rat: Das Zahlenfeld grundsätzlich mit der Hand abdecken!
»Die Frau in Ordnung halten«
Ältestes Exponat ist übrigens eine Polizeiuniform aus dem Jahr 1910. Nachlesen kann man aber auch auf einer Schautafel die 20 Dienstpflichten eines Gendarmen im Jahr 1810. Unter Numero 18 heißt es da beispielsweise: »Der verheiratete Gendarm muss auf gute Kinderzucht sehen und seine Frau in Ordnung halten.«
Schwerpunkt der Ausstellung ist freilich die Kriminalgeschichte Fürths. Geschichten von Mord und Gewalt. Auf acht Tafeln sind Mord-, aber auch Suizidfälle aufgeführt, wie der einer Mutter von zwei Kindern, deren Ehemann, ein Mechaniker, sie der Untreue bezichtigte. Die zu Unrecht beschuldigte Frau »hatte sich ihre beiden Kinder um den Leib gebunden und war mit den Kindern, die noch ihr Trompetchen krampfhaft in der Hand hielten«, ins Wasser des Ludwigkanals gegangen. Das Ganze geschah am 6. Oktober 1909.
Oder der Vatermord in Poppenreuth von 1925: Der Sohn erdrosselte den gewalttätigen Vater, der 23 Jahre die Familie terrorisiert hatte. Er schleifte den Ermordeten über den Hof, um ihn dann in der Scheune aufzuhängen und so einen Selbstmord vorzutäuschen. Doch die Abschürfungen im Gesicht des Toten überführten den Täter. 1926 wurde er in der JVA Nürnberg mit der Guillotine hingerichtet. Sein Wunsch, in gestärktem Hemd, Smoking und Lackschuhen unters Fallbeil zu kommen, wurde erfüllt.
Wilfried Dietsch hat sich über den Scharfrichter, einen gewissen Reichhardt, kundig gemacht. Der Mann stammte aus einer 150 Jahre alten Scharfrichter-Dynastie. Über 3000 Hinrichtungen hatte er in ganz Deutschland und sogar in Österreich vollzogen. Nach dem Krieg weigerte er sich standhaft, Todesurteile zu vollstrecken und wurde zu einem entschiedenen Gegner der Todesstrafe. Erst 1949 hat man in der Bundesrepublik die Todesstrafe abgeschafft.
Dem Besucher begegnen indes nicht nur Mord und Totschlag, sondern auch Fürther Krawallszenarien und kleine Geschichten von Einbrechern und Betrügern. Ein Beispiel aus dem Jahr 1928: Der Buchhalter eines kleinen Fürther Geschäfts war des Betruges angeklagt. Er hatte liefern lassen und nicht bezahlt. Die Firma ging pleite; das Verfahren gegen den Buchhalter wurde jedoch eingestellt. Der Richter »schenkte seiner Einlassung Glauben und sprach ihn frei, weil er persönlich einen sehr guten und vertrauenswürdigen Eindruck gemacht habe«. Der Angeklagte wurde später Wirtschaftsminister und dann Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland: Ludwig Erhard.
Das Fürther Kriminalmuseum im Rathaus ist von April bis September jeden Sonntag von 13 bis 18 Uhr und von Oktober bis März sonntags von 13 bis 17 Uhr geöffnet. Gruppenführungen können auch außerhalb dieser Zeiten über die Touristinformation Fürth,Telefon 0911/239587-0, gebucht werden.

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