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„Dann macht’s schnapp im Hirn“

Martin Korte lehrt an der TU Braunschweig.

U-Bahn-Fahrer konnten vor einiger Zeit in Nürnberg Zitate des berühmten Dichters Bernhard Shaw lesen: »Das Alter hat zwei große Vorteile: Die Zähne tun nicht mehr weh, und man hört nicht mehr all das dumme Zeug, das ringsum gesagt wird.« Von einer dritten ersparten Plage konnte Shaw nichts wissen: Ältere leiden seltenst an Nomophobie. Das ist die englische Abkürzung für No-Mobile-Phone-Phobia, was so viel bedeutet wie: Angst davor, ohne Handy zu sein. Bei Jugendlichen dagegen ist das Phänomen verbreitet. Darüber sprach in Nürnberg Martin Korte, Neurobiologe von der Technischen Universität (TU) Braunschweig. Eingeladen hatte ihn Kortizes, das Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs in Nürnberg.

Kanadische Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass unentwegte Handynutzung Gehirnstrukturen negativ verändere, was besonders bei Heranwachsenden verheerende Folgen für die Denkfähigkeit habe, so Martin Korte »Allein die Anwesenheit eines Smartphones senkt die Aufmerksamkeit.« Mit der Augenbewegung zum Handy klinke sich der Nutzer aus seiner Umgebung aus. »Er bekommt nichts mehr mit, ist sich dessen aber nicht bewusst.« 17-Jährige von heute bewegten sich nie weiter als zwei Meter weg von ihrem Handy. Immer in der Erwartung, dass das Gerät die kurzfristigen Belohnungssysteme im Gehirn aktiviere.

Die Ergebnisse der kanadischen Studien über zehn Jahre seien so eindeutig, dass man sich wundern dürfe, dass das allgemeine Handyverbot an Schulen erst jetzt näher rücke – zumindest in Hessen und Baden-Württemberg. »Auf Schulhöfen haben Smartphones nichts zu suchen«, sagt Korte. Woanders sei man weiter. Ausgerechnet im Silicon Valley, der Wiege der High-Tech-Industrie, würden Handys an allen Schulen in Boxen verstaut und erst nach Unterrichtsschluss wieder ausgeteilt.

Enger Blick verengt Gedanken

Die Erkenntnisse der Hirnforscher lassen sich auch auf das Berufsleben übertragen. So haben Videokonferenzen unbestreitbare Vorteile, doch der fokussierte Blick auf Kacheln engt gewissermaßen auch die Gedanken ein. Weil zudem die Verbindung zu den Konferenzteilnehmern mit allen Sinnen nicht wirklich gegeben ist, kommen gute, weiterführende Ideen seltenerer, als wenn sich die Personen in einem Raum treffen.

Bei aller Kritik sieht Korte durchaus die Vorteile der Smartphone-Nutzung: Gerade für alleine lebende Ältere könne es das Tor zur Welt oder zumindest zu den Enkeln bedeuten. Und bei den öffentlichen Verwaltungen könne es gar nicht digital genug zugehen im Vergleich zum heutigen Stand. Doch individuell schade das Übermaß allen, bei Kindern könne man sogar von Körperverletzung durch Entwicklungsverzögerung sprechen.

Um Ideen und Kreativität dreht sich fast alles in Kortes neuem Buch »Gute Idee – In sieben Schritten kreativ denken lernen«. Darin stecken generelle Tipps wie »Wählen Sie das Gegenteil von Schema F«, »Überwinden Sie die Gewohnheit durch Originalität«. Wer für ein neues Problem einen Lösungsweg suche, könne dies nicht mit althergebrachten Ideen schaffen. Denn das tut das Gehirn: Es klopft das vorhandene Wissen ab, stößt auf Erfahrungen, die schon funktioniert haben. Das ist normal. Bei völlig neuen Fragestellungen allerdings führen die alten breiten Trampelpfade doch nur auf den Holzweg. Stattdessen, so der Neurobiologe Korte, heißt es, das Denken auf den Kopf zu stellen.

Tagträumen ist geboten

Das gelinge seiner Ansicht nach am besten durch Ausspannen: Tagträumen sei nicht nur förderlich, sondern geradezu geboten, egal ob in der Badewanne oder im Grünen. Professor Korte: »Dann machts schnapp im Hirn.«

Die Anleitung dazu heißt: Fokussieren auf ein Problem, dann wieder fröhlich loslassen, dem Druck ausweichen, einfach Pause machen, Gedanken schweifen lassen – kurzum, den Tag locker gestalten, damit Ideen auftauchen können. »Besonders kreative Menschen sind zwar sehr umtriebig, aber selten hektisch.«

Und welche Rolle spielt das Alter? Im Gegensatz zur Jugend verfügen Ältere bestenfalls über mehr Kompetenz und Weisheit, vorausgesetzt, der Stirnlappen bleibt permanent gut trainiert, denn dort sitzen unter anderem die Fähigkeiten zu Aufmerksamkeit, Nachdenken, Entscheidung und Planung.

Text: Angela Giese
Foto: Kortizes Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs

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