Mein erstes Micky-Maus-Heft habe ich im März 1952 bekommen. Die deutsche Ausgabe der Comics von Walt Disney war sieben Monate vorher gestartet. Ich hatte sie im Zeitungshandel entdeckt. Die bunten Bilder – vor allem von der Ente Donald – hatten Drogen-Wirkung. Ich quengelte, bis mir meine Oma so ein Heft schenkte. Es kostete 75 Pfennige – damals viel Geld. Lesen konnte ich kaum, ich ging ja noch gar nicht zur Schule. Aber ich ließ mir das Heft immer wieder vorlesen und blätterte mit überquellenden Augen durch die fantastischen Geschichten.
Wäre ich gierig oder ein Geschäftemacher, würde ich mein kindliches Handeln heute bedauern. Denn irgendwann ging das Heft als heftig gebrauchter Lebensbegleiter den Weg alles Irdischen. Es bekam Risse und Knicke. Und in der Chronologie elterlicher Umzüge ist es schließlich ganz verschwunden. Dumm gelaufen! (?) Denn heute könnte es sein, dass ich für ein »jungfräuliches« Exemplar der »Micky Maus« 3/1952 rund 700 Euro bekäme.
Tatsächlich: Alte Comics – jahrelang als Schundhefte diskriminiert, von Jugendschützern in den 1950er Jahren gar auf Scheiterhaufen verbrannt – sind für Liebhaber teuer geworden. In den letzten Jahren hat sich ein explodierender Sammler-Markt entwickelt. Auf dem ist man bereit, für einzelne Exemplare Millionen zu bezahlen, allerdings bisher nur für Raritäten amerikanischer Superhelden-Serien. Die bislang ertragreichste Originalzeichnung für einen Comic stammt dagegen aus Europa. Für den Cover-Entwurf des »Tim und Struppi«-Abenteuers »Der blaue Lotos« aus dem Jahr 1934 wurden bei einer Auktion 3,2 Millionen Euro geboten. Der belgische Künstler Hergé konnte nicht mehr davon profitieren. Er ist 1983 gestorben. Da gab es den Hype mit den Comics als Wertanlage noch gar nicht.
Millionen für Superman Nr. 1
Er ist ja auch ein bisschen merkwürdig. Billiges Papier (Pulp nannte man das dereinst in den USA), hohe Druckauflagen, schlichte Storys und teilweise ungelenke Grafik: Trotzdem sollen für ein Exemplar des Heftes »Superman Nr. 1« aus dem Jahr 1939 5,3 Millionen Dollar bezahlt worden sein. Wer immer diese Nummer mit Schutzhandschuhen aus dem Drucker gezogen, sofort luftdicht in Folie verpackt und jahrzehntelang abgelagert haben mag: Er wurde reich. Denn nur darum geht es beim Sammler-Wahn: absolute Unberührtheit. Das ist anders als bei den Reliquien von Elvis oder anderen Stars. Die werden erst durch den Schweiß oder den Lippenstiftabdruck der Angebeteten zu wertvollen Waren.
Es ist also nicht so einfach mit den Comics bei »Bares für Rares«. Mal eben in den Keller steigen und in fast vergessenen Heft-Haufen wühlen, garantiert keineswegs den Millionärs-Status. Allerdings wurden vor einigen Monaten an einem Nürnberger Antiquitäten-Stand ziemlich stark nach Keller riechende und dazu noch rauchgeschwängerte Paperbacks mit Marvel-Superhelden aus dem Condor Verlag (letzte Jahre des 20. Jahrhunderts) erstaunlich teuer verkauft; aber keineswegs für Rekord-Preise. Zwölf Euro haben einige gekostet.
Es ist der irrationale Herzschlag der Fans, der sie veranlasst, tief in die Geldbörse zu greifen. Deshalb zahlen manche für Piccolo-Streifen aus der Feder des Massen-Zeichners Hansrudi Wäscher (Akim, Sigurd, Nick) in Erstauflage einige tausend Euro. Es schadet Fans allerdings nicht, wenn sie sich mit Muße auf den Angebots-Plattformen im Internet tummeln. Da sind wahrscheinlich auch günstigere Angebote zu finden.
Das Analoge stirbt aus
Außerdem scheint es heikel zu sein, auf die Wertsteigerung von Comics zu spekulieren. Der Schweizer Experte Cuno Affolter warnt davor. Der Hype könne jäh enden. Denn außerhalb einer zahlungsfähigen Fan-Gemeinde, die willig ist, Unsummen für Tablebook-Formate mit seinen Lieblings-Heroen hinzulegen, werden analoge Comics immer weniger gelesen – wie das halt in der digitalen Epoche so üblich ist. Mit den Fans, die sich an die Haptik beim Umblättern der Seiten erinnern, sterben die Preise.
Ich erinnere mich daran. Aber ich hätte ja meine Micky-Maus-Hefte gar nicht berühren dürfen, um sie jetzt teuer zu verkaufen. Die allererste Nummer aus dem September 1951 soll auf einer Auktion tatsächlich 27.000 Euro erzielt haben (im Netz grassieren freilich einige Legenden). Mein Reichtum ist anderer Art: Es sind die vielen Stunden glücklicher Augen-Abenteuer, die ich bei der papierschädigenden Lektüre mit meinen Lieblingsfiguren verbracht habe. Trotzdem darf jedermann und jedefrau nach Schätzen in alten Comic-Stapeln graben. Womöglich sorgen sie für Profit auf dem Markt. In jedem Fall erwärmen sie das älter gewordene Herz mit ihren bunten Bildern.
Text: Herbert Heinzelmann/Foto: Wolfgang Gillitzer