Hello All,
habt Ihr dieses Jahr schon die Koffer gepackt für eine Reise? Ich schon, aber es zwickten mich diesmal, neben Kreuzschmerzen, einige Bedenken. Nach Spanien jetten. Zum Schwimmen im Meer und zum Schwelgen in Erinnerungen an meine Jugendjahre dort. Einfach so, zum Vergnügen – darf man das noch? Schwimmbäder und Seen gibt’s auch hier in der Nähe; spanische Tapas in der Innenstadt, spanische Bücher kommen per Amazon und E-Reader ins Haus und Fotos aus verflossenen Jahrzehnten harren in der Schublade daheim. Gleichzeitig geht Spaniens Mittelmeerküste das Trinkwasser und das Dienstleistungspersonal aus; die populären Städte ächzen unter dem Over-Tourismus.
Da beißt es zu, das böse „T“- Wort: Tourist. „Ich doch nicht! Ich bin kein Tourist“, erbost sich in mir eine Stimme. „Wenn ich nach Spanien reise, dann bitte in der Rolle des verlorenen Sohnes, als dankbarer Rückkehrer, als wissbegieriger Suchender auf verwaschenen Spuren“. „So, so“, spottet die andere Stimme in mir. „Wie nennt man denn jemanden, der zum Vergnügen verreist, in einen Urlauberflieger steigt, eine Woche lang in einem Ferienhotel an der Küste wohnt, und die Zeit mit Plantschen und Sightseeing verbringt? Tourist!!!“
Ich bin vom Fach. Klar erkennbare Rollen beschreiben das soziale Sein, nicht das trügerische Selbstbewusstsein. Wer unter einem Strohhut auf Sandalen und in kurzen Hosen mit Trinkflasche in der Hand unterwegs ist, trägt Insignien der Freizeit, und so dieser jemand mehrtägig angereist ist, ohne weitere Ziele als Genießen, so spielt er die Rolle des Touristen; soziologisch eindeutig.
Zum klärenden Kontrast: Als einst ernsthafter Reisender trug ich Aktentasche, saß mit Jackett, langen Hosen und gepflegtem Schuhwerk in einem Linienflieger. Ich nahm unterwegs Taxi auf Spesen anstatt zuckelnden Linienbus. Das Mobiltelefon nutzte ich tatsächlich zum Telefonieren, anstatt wie heute, zum Fotografieren. Ich eilte von einem Stadthotel ins nächste und besuchte Marktforschungsbüros anstatt Fisch- und Gemüsemärkte. Das waren seriöse Geschäftsreisen, um mit Informationsbeschaffung Geld zu verdienen.
Die kleine Schwester der zweckgebundenen Geschäftsreise nenne ich Dienstreise. Sie dient letztlich dem Ziel, bewilligte Jahresbudgets auszuschöpfen und angemeldete Reisepläne einzuhalten. Ihr wisst schon, das ist was die anderen in der Firma oder Behörde unterwegs so machen. Aber immer noch eine Reise mit Agenda, Protokoll und Abrechnung. Kein Tourismus.
Die Krönung aller Reisen stellt die Forschungsreise dar: Mehrjährig, kostspielig und wagemutig; am besten mit Veröffentlichung und bahnbrechender Entdeckung. Ihr exzellenter Ruf adelt die gesamte Reisebranche, über Jahrhunderte hinweg. James Cook, Charles Darwin und Alexander von Humboldt wirken nach: Nur was für die Harten. Später paarte sich die Forschungsreise mit dem Geschäftssinn und gebar als arrogante Tochter die Bildungsreise. Auch teuer, bisweilen erkenntniserweiternd und garantiert seniorentauglich, der Hauptzielgruppe. Kein Tourismus.
Bliebe noch die Pilgerreise. Sie ist, im Idealfall, ebenfalls von hehren Zielen angetrieben, beschwerlich wie eine Forschungsreise, zeit- und kräfteraubend und erhellend. Selbst wenn man heute Pauschalarrangements für Pilgerfahrten mit vorausgebuchter Unterkunft und Führung buchen kann, scheinen „El Camino“ (nach Santiago) und Hadsch-Pilger nach Mekka immun gegen den Anwurf „Tourist“ zu sein.
Gibt es keinen moralischen Rettungsring für Alte mit Lust auf Mittelmeer & More? Zum Glück brachen gerade die Großen unter den Kulturschaffenden den Reiselustigen immer wieder eine Lanze: „Einmal im Jahr solltest Du einen Ort besuchen, an dem Du noch nie warst“, gab der weise Dalai Lama aus. Er wird nicht das Frankfurter Bahnhofsviertel gemeint haben. Ein türkisches Sprichwort sagt: „Nicht wer alt ist, weiß viel, sondern wer viel herumgekommen ist“. Kein geringerer als Alexander von Humboldt schickt die Leute ans Koffer packen mit seiner Einsicht:“ Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung der Leute, die die Welt nicht angeschaut haben.“ Emile Zola war überzeugt „Nichts entwickelt die Intelligenz wie das Reisen“.
Also, Reisen bildet; egal vom Ziel, Zweck und Mittel. Mark Twain, ein herausragender Reiseschriftsteller kam, wohl nach schmerzvollen Erfahrungen zum Schluss: “Es gibt kein sichereres Mittel festzustellen, ob man einen Menschen mag oder hasst, als mit ihm auf Reisen zu gehen“. Die Tuareg, Nomaden in Mauretanien, stoßen in ein ähnliches Horn mit ihrem Spruch „Wer nicht reist, wird nicht den Wert der Menschen kennen lernen.“ Übrigens eine Beobachtung, die die klassische Hochzeitsreise in der üblichen Reihenfolge „Heiraten, danach Reise“ in Frage stellt und die Sequenz „Reisen und erst danach Heiratsantrag“ nahelegt.
Laut Dalai Lama, Emile Zola und Mark Twain würde sogar eine Touristenreise einen kognitiven Mehrwert schaffen. Neben dem Kohlen- und Wasserstoff-Fußabdruck. Ich halte es mit Wilhelm Busch „Drum o Mensch, sei weise, pack´ die Koffer und verreise“.
In diesem Sinne Euer
Global Oldie