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Schluss mit dem Schlingerkurs

Beim Verkehrsgang lernen Senioren den praktischen Umgang mit ihrem Rollator. Foto: Kat Pfeiffer

Es ist nur eine kleine Schwelle, doch sie stoppt den Spaziergang abrupt. Die beiden vorderen Räder des Rollators wollen einfach nicht über die Bordsteinkante rollen, erst mit kräftigem Druck auf die Griffe lassen sie sich anheben – und der Ausflug kann weitergehen. Der sperrigen Gehhilfe fehlt eine Kipphilfe, und deshalb ist der Umgang damit nicht frei von Tücken.

Das ist ein Grund von vielen, warum die Verkehrspolizei Nürnberg seit einem Jahr ein Rollator-Training für Senioren anbietet. »Wir haben festgestellt, dass die Leute meistens nur eine relativ schlechte Einweisung im Umgang mit den Geräten bekommen«, sagt Polizeihauptmeisterin Silvia Schumacher, die den Kurs gemeinsam mit ihrer Kollegin Ina Beck organisiert. Oft gibt es sogar überhaupt keine Einweisung: Rollatoren werden mittlerweile auch von Discountern verkauft, manchmal bringen wohlmeinende Kinder oder Enkel den (Groß-)Eltern ein Gerät mit nach Hause. »Und dann weiß keiner, wie es funktioniert«, sagt Beck. Pro Jahr werden in Deutschland 500.000 Geräte verkauft. Mehr als zwei Millionen Menschen sind mit der Gehhilfe unterwegs. Eine ordentliche Einweisung haben meist nur diejenigen bekommen, denen die Krankenkasse den Rollator verordnet hat.

»Der Straßenverkehr wird mit zunehmendem Alter ohnehin eine immer größere Herausforderung«, sagt Schumacher. Wenn Gehtempo, Reaktionsfähigkeit und vielleicht noch das Sehvermögen nachlassen, dann kann es gefährlich werden. Zwar sind über 65-Jährige im Vergleich zu ihrem Anteil an der Bevölkerung in Mittelfranken weniger oft an Unfällen beteiligt und sind auch nur seltener die Hauptverursacher von Karambolagen. Aber sie sind überdurchschnittlich oft die Opfer von Verkehrsunfällen. Im vergangenen Jahr waren in Mittelfranken 28 Prozent der bei Unfällen getöteten Senioren, obwohl ihr Anteil an der Bevölkerung nur bei 20 Prozent liegt. »Auch das ist für uns ein Grund, uns mit dem Thema zu beschäftigen«, sagt Beck.

Allgemeine Empfehlungen zum Verhalten im Straßenverkehr sind deshalb schon länger Thema eines Vortrags, den die Verkehrspolizei speziell für Ältere im Angebot hat. Doch das reichte Silvia Schumacher und Ina Beck nicht mehr aus. Im Mai 2018 starteten sie das Rollator-Training als Pilotprojekt. Seitdem bieten sie den Kurs immer wieder in Seniorenheimen, Clubs oder bei Veranstaltungen an. »Die Resonanz ist sehr gut«, betont Schumacher. Das Besondere an dem neuen Programm: Die beiden Polizistinnen beschränken sich nicht auf einen theoretischen Vortrag, sondern üben mit den Teilnehmern ganz praktisch den Umgang mit den Geräten im Straßenverkehr.

Stolpersteine meiden
»Verkehrsgang« nennen die beiden Fachfrauen diesen Part, bei dem sie jede Menge Tipps an den Mann oder die Frau bringen. Ein Thema ist zum Beispiel das Slalomfahren, das leichter funktioniert, wenn man nur eine der beiden Bremsen betätigt. Kurven oder Schrägen lassen sich dann einfacher bewältigen. Das Aufstehen von einer Bank wiederum gelingt besser, wenn man die Bremsen feststellt und sie erst im Stehen löst – andernfalls setzt sich der Rollator womöglich zu früh in Bewegung. In Gullydeckeln können schmale Reifen hängen bleiben, hohe Bordsteine werden zum Hindernis, erst recht, wenn das Gerät keine Kipphilfe hat. Deshalb empfehlen die beiden Polizeihauptmeisterinnen den Teilnehmern, bei ihren Ausflügen solche Stolpersteine nach Möglichkeit zu meiden.

Nicht immer sei der kürzere Weg auch der Bessere, betont Beck. Und vor dem Lkw noch mal schnell die Straße zu überqueren, das sei erst recht keine gute Idee. »Mit dem Alter wird man immer langsamer, die Reflexe werden schlechter, Hören und Sehvermögen lassen nach.« Der Rollator könne die Beeinträchtigungen zum Teil kompensieren, doch komme es eben auf den adäquaten Umgang damit an. Schumacher: »Das ist wie Fahrradfahren, man muss es erst üben.«

Helle Kleidung und Signalfarben schützen
Deshalb stehen auch noch Gymnastik, Sturzprophylaxe und ein Verkehrsquiz auf dem Programm, das die beiden Frauen zusammengestellt haben. Und als kleines Mitbringsel verteilen sie reflektierende Bänder, denn wichtig sei es auch, im Straßenverkehr stets gut sichtbar zu sein. »Wir raten zu heller Kleidung oder zu Signalfarben.« Bei ihrem »Verkehrsgang« zeigen die Beamtinnen dann noch, dass der Rollator besser auf glattem Untergrund rollt und man Kopfsteinpflaster ebenso wie hohe Bordsteine meidet, wenn es möglich ist.

Doch was macht man mit einem Rollator, wenn man damit nicht gerade unterwegs ist? Dieter Barth, Sprecher der städtischen Wohnbaugesellschaft wbg betont, dass man den Gehwagen in engen Treppenhäusern nicht einfach parken dürfe, weil die Fluchtwege frei bleiben müssen. »Aber in der Nische eines großen Treppenhauses geht das schon«, sagt Barth. Besser sei es jedoch, die Geräte, wenn möglich, mit in die eigene Wohnung zu nehmen. »Ich vermute mal, dass das die meisten Senioren auch machen.« Beschwerden wegen abgestellter Gehhilfen habe er jedenfalls noch nicht bekommen, sagt Barth. »Kinderwägen dagegen sind öfter ein Thema.« Auch beim Evangelischen Siedlungswerk sind keine Probleme mit Rollatoren bekannt. Ähnlich ist es in der Gastronomie, in der die Wirte zwar eine Zunahme dieser Gefährte registrieren, bislang damit aber gut zurechtkommen. Dafür sei immer noch irgendwo Platz, sagt stellvertretend für die Branche Rico Schiemann, Betriebsleiter des Bratwurst Röslein in Nürnberg. »Kinderwägen bringen die Leute ja auch mit.«

Silke Roennefahrt

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