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Antifaltenmittel wächst im Kräutergarten

Es geht schon wieder los. Kaum tauchen im September die ersten Lebkuchen in den Geschäften auf, muss man sich mit dem Thema Weihnachten auseinandersetzen, obwohl der Sommer noch nicht zu Ende ist. Wer allerdings glaubt, dass dies ein Phänomen des schnelllebigen 21. Jahrhunderts ist, irrt.

Für Jutta Satorius ist von Frühjahr bis Herbst Erntezeit, denn in ihrem Garten wachsen 150 verschiedene Kräuter. Foto: Mile Cindric
Für Jutta Satorius ist von Frühjahr bis Herbst Erntezeit, denn in ihrem Garten wachsen 150 verschiedene Kräuter. Foto: Mile Cindric

Es geht schon wieder los. Kaum tauchen im September die ersten Lebkuchen in den Geschäften auf, muss man sich mit dem Thema Weihnachten auseinandersetzen, obwohl der Sommer noch nicht zu Ende ist. Wer allerdings glaubt, dass dies ein Phänomen des schnelllebigen 21. Jahrhunderts ist, irrt.
Zu Großmutters und Urgroßmutters Zeiten fing man meist schon im Juli an, sich auf die Festtage im Winter vorzubereiten. Die Frauen sammelten Beifuß, der früher an keinem Gänse- oder Entenbraten fehlen durfte. Die verdauungsfördernden Eigenschaften des Krautes, das fettes Essen bekömmlicher macht, ist nur eine seiner vielen positiven Eigenschaften.
Aber wer weiß das heute noch? Die meisten Menschen können Beifuß am Wegesrand kaum mehr einwandfrei identifizieren. Jutta Satorius kann es. Und nicht nur das. Die Nürnbergerin erkennt Spitzwegerich und Breitwegerich, Brenn- oder Taubnessel, Schafgarbe, Ringelblume, Gundermann, Knoblauchsrauke, Johanniskraut oder Wiesenlabkraut. Vor allem aber weiß sie auch um deren heilsame Wirkung und ebenso, was sich daraus zaubern lässt.
In ihrem Garten im Nürnberger Knoblauchsland finden sich gut 150 verschiedene Kräuter. Von Frühjahr bis Herbst ist Erntezeit – irgendetwas hat immer Saison. Erst die jungen Triebe und Blätter, dann die Pflanzenblüten, während mit dem beginnenden Herbst vor allem die Wurzeln wie die des Beinwells ihre Zeit haben. Darauf kommt es bei den Pflanzen vor allem an: auf den richtigen Zeitpunkt der Ernte. Denn mit beginnender Blüte etwa werden Pflanzen nicht nur bitterer, sondern verlieren auch an Kraft. Die wird in den »Nachwuchs« investiert.
Duftende Limonaden
Jutta Satorius ist zertifizierte Kräuterpädagogin. Früher wäre sie das gewesen, was man eine Kräuterfrau nannte. Den Begriff Kräuterhexe mag sie weniger. »Das klingt irgendwie ein bisschen zickig«, findet die 50-Jährige mit den dunklen Haaren. Schon als Kind beschäftigte sie sich mit Kräutern und Pflanzen – in der Natur ebenso wie in der Gärtnerei ihrer Eltern im Nürnberger Stadtteil Kraftshof. Sie lernte »grüne Berufe«: erst Gärtnerin, dann Floristin. Dort, wo die Familie früher den Mähdrescher in der Scheune parkte, betreibt sie heute mit ihrem Mann Leonhard die »Wellness-Scheune«. Hier vermittelt sie Pflanzenwissen und zeigt, was sich daraus alles herstellen lässt – Limonaden, Öle, Tinkturen, Salben.
»Die Nachfrage steigt von Jahr zu Jahr«, berichtet sie. Denn immer mehr Menschen interessieren sich dafür, wie man gegen kleine Wehwehchen oder gar handfeste Beschwerden mit Mitteln aus der Natur vorgeht. »Das Ganzheitliche steht dabei wieder im Mittelpunkt.«
Über Jahrtausende hinweg wurden Kräuterkundige bei Schmerzen und Unwohlsein um Rat gefragt. In Europa war dieses Wissen lange Zeit ein Privileg der Klöster. Hier gab es große Heil- und Küchenkräutergärten. Die wohl bekannteste Vertreterin der klösterlichen Kräuterheilkunde ist Hildegard von Bingen, deren Rezepturen aus dem zwölften Jahrhundert in den vergangenen Jahren eine Renaissance erlebten. Mit ihrer Heiligsprechung im vergangenen Jahr und der damit verbundenen Popularität erhielt die Nachfrage nach pflanzlicher Medizin noch mal einen kräftigen Schub.
Der breiten Masse bekannt wurde die Kräuterkunde allerdings erst im 15. Jahrhundert – mit der Erfindung des Buchdrucks. Vielen Menschen wurde die »Kräuterfibel« fast ebenso wichtig wie die Bibel. Doch als im 19. Jahrhundert die Wissenschaft in die Medizin Einzug hielt und nicht zuletzt, als mit der Entdeckung des Penicillins Anfang des
20. Jahrhunderts immer mehr chemische Wirkstoffe den Markt eroberten, geriet das Pflanzenwissen zunehmend in Vergessenheit.
Immer mehr Männer kommen vorbei
In die Kräuterseminare und zu den Kräuterwanderungen von Jutta Satorius kommen vor allem Frauen, aber auch immer mehr Männer – und zwar nicht im Schlepptau ihrer Ehefrauen, sondern aus freien Stücken. An vielen Wanderungen nehmen auch Großeltern mit ihren Enkeln teil. »Das gibt ihnen die Möglichkeiten, ihr Wissen an die Kleinen weiterzugeben. Kinder sind da sehr aufgeschlossen«, weiß die Kräuterpädagogin. Ihr reicht schon ein Mückenstich, um zu zeigen, was Pflanzen können. »Ich lasse die Kinder Spitzwegerich zerreiben und es auf den Stich legen. Wenn sie sehen, wie schnell er verschwunden ist, sind sie beeindruckt.«
Ein Anliegen sei aber vielen Großeltern auch, Werte zu vermitteln und ein gewisses Umweltbewusstsein bei den Enkeln zu schaffen. Und natürlich soll auch der Spaß nicht zu kurz kommen, beispielsweise, indem zum Abschluss gemeinsam Kräutermuffins, Smoothies oder Limonaden hergestellt werden, denn: »Es muss nicht immer Tee sein.«
Für ihre Getränkemischungen verwendet Satorius gern Mädesüß. »Das riecht nach Mandel und Vanille.« Die filigranen Blüten der Pflanze setzt sie mit einem Drittel Apfelsaft an und füllt die Mischung zwei Stunden später mit zwei Dritteln Wasser auf. Fertig ist eine Limonade, die auch gegen Kopfschmerzen helfen kann. Gut kommt auch »Butter schütteln« an. Dazu werden Kräuter und frischer Rahm in ein Glas mit Schraubverschluss gefüllt, dieses wird kräftig geschüttelt, und übrig bleiben Butterstein und Buttermilch.
Spitzwegerich, Schafgarbe, Sauerampfer – das sind Pflanzen, die Jungen und Mädchen schnell erkennen. Für die Großeltern ist vor allem auch deren Wirkung interessant. Sauerampfer enthält viel Vitamin C, ist erfrischend, soll die Abwehrkräfte stärken und gegen Frühjahrsmüdigkeit helfen. Die Schafgarbe gilt als blutreinigend und -stillend, zudem krampflösend, weshalb die Pflanze in der Kräuterheilkunde gern bei Beschwerden der Verdauung oder bei Frauenleiden eingesetzt wird. Auch Spitzwegerich besitzt blutreinigende und -stillende Eigenschaften, er ist zudem antibakteriell, entzündungshemmend und schleimlösend, was ihn zu einem wichtigen Husten- oder auch Wundheilmittel macht. Und er eigne sich sogar als Antifaltenmittel, sagt die Expertin. »Wildkräuter enthalten etwa acht bis zehn Mal so viele Vitamine und Mineralstoffe wie Kräuter aus dem Gewächshaus.«
Der Giersch, vielen als Unkraut ein Dorn im Auge, ist besonders gut. Er enthält viel Vitamin A. Früher wurde er in der Volksheilkunde auch eingesetzt, um Gicht und Rheuma zu Leibe zu rücken. Bei Problemen mit der Haut setzt Jutta Satorius gern auf Leber reinigende Pflanzen wie Löwenzahn, Thymian oder Mariendistel; Borretsch gilt als straffend.
Die Funktionen der Pflanzen nutzen auch die Hersteller von Naturkosmetik, vor allem jene, die ihre Wurzeln in der Anthroposophie haben. Da setzt man beispielsweise auf die filigranen und zugleich kratzigen Eigenschaften des Ackerschachtelhalms, der der Haut Festigkeit und Struktur verleihen soll.
Doch nicht zu äußerer, sondern auch zu innerer Schönheit sollen Pflanzen verhelfen können. Zu den »Gedächtnispflanzen« zählt für Satorius der Gingko. Und vor allem Jiaogulan, was übersetzt »Kraut der Unsterblichkeit« heißt. Längst hat die südchinesische Hängepflanze den Weg auch in die Gärten und auf die Balkons Deutschlands gefunden. In der Heimatregion des Jiaogulan, in Guizhou, soll es überdurchschnittlich viele über 100-Jährige geben.
Jutta Satorius’ Lieblingspflanze ist aber ein weit verbreitetes, vor allem aber wohl einem jeden bekanntes regionales Kraut: die Brennessel. »Das ist die Pflanze mit den meisten Vitaminen und Mineralien.« Zudem sei sie überaus vielseitig. Je nach Erntezeit kann sie entgiftend und entschlackend wirken oder stärkend und vitalisierend. Und sie ist so wohlschmeckend, dass sie sogar in der Gourmetküche zum Einsatz kommt. »Die weiblichen Samen lassen sich etwa anrösten und in einer Stockrosenblüte servieren.«
Anja Kummerow

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