Anzeige

In Talkshows laufen alte Herren zu Hochform auf

Sie reden und reden und reden und reden: In Fernseh-Talkshows laufen die alten Herren zu Hochform auf: Hans-Olaf Henkel, Arnulf Baring, Heiner Geißler, Peter Scholl-Latour und selbstverständlich der Altkanzler, Helmut Schmidt. Manche verwechseln sie fast schon mit dem Mobiliar der Sendungen...

Frank Elstner (links) in seiner Talkshow »Menschen der Woche« im Gespräch mit Lukas Ammann, der vergangenes Jahr seinen 100. Geburtstag feierte. Foto: SWR/Jacqueline Krause-Burberg
Frank Elstner (links) in seiner Talkshow »Menschen der Woche« im Gespräch mit Lukas Ammann, der vergangenes Jahr seinen 100. Geburtstag feierte. Foto: SWR/Jacqueline Krause-Burberg
In alten Zeiten wurden die Alten hoch geehrt. Weisheit sagte man ihnen nach. Von Lebenserfahrung würde man heute sprechen, wenn man noch sprechen und nicht talken würde. In alten Zeiten hatten die Alten etwas zu sagen (und nicht zu talken). Sie waren eine Institution. Deswegen wurden sie institutionalisiert. Man richtete ihnen ein Gremium ein, in dem ihre Meinung Gewicht hatte und deswegen zum Machtfaktor werden konnte. Es wurde – bei den alten Römern – nach dem Greisenalter und den darin sich tummelnden Alten benannt: Senat.
Der Althumanist denkt da sofort an das Herkunftswort Senectus, das sowohl Greisentum wie auch Grämlichkeit bedeuten kann. Den Senat gibt es mancherorts immer noch. In den USA ist er eine parlamentarische Kammer. In Bayern dagegen wurde er abgeschafft. Das kann daran gelegen haben, dass man mit dem Mindesteintrittsalter von 40 Jahren nicht wirklich vergreist war. Oder daran, dass es heute – wie vielfach beklagt – keinen Respekt mehr gibt vor dem Alter. Oder es hat die Ursache darin – und das ist wahrscheinlich –, dass die Alten inzwischen ein wesentlich wirkungsmächtigeres Forum für die Vertretung ihrer Weisheit erobert haben: die Talkshow.
Die Talkshow ist eine merkwürdige Ausgeburt des Fernsehzeitalters. Sie macht das, was wir alle machen, wenn wir zusammensitzen oder zusammenstehen, zu einem gebühren- oder reklamefinanzierten Unterhaltungsprodukt: die Unterhaltung. Sobald wir mehr als eine oder einer sind, unterhalten wir uns – über das Wetter, die Befindlichkeit, den Fußball, die Politik. Über Jahrhunderte und Jahrtausende ist niemand auf die Idee gekommen, dass solche Unterhaltungen für Menschenmassen unterhaltsam sein könnten. Ja mehr noch, dass mit ihnen gutes Geld zu verdienen sei – für die Talker, für die Talkmaster und für die Talksender.
Unterhaltsame Unterhaltung
Aber dann kam das Fernsehen, und dann wurde aus einem alltäglichen Vorgang ein Format. Nun setzten sich Menschen vor Mattscheiben zusammen und hörten und schauten zu, wie andere Menschen sich unterhielten. Und womöglich unterhielten die Zuhörer und Zuschauer sich dann wieder über die Unterhaltung. So wurde Unterhaltung zu dem, was sie offensichtlich schon immer war: unterhaltsam. Nur dass diese Unterhaltsamkeit jetzt eine Ware auf dem Markt geworden war. Wie alles im kapitalistischen Dasein.
Auch die Alten, selbst wenn sie längst Rente oder Pension beziehen, sind Marktteilnehmer. Rentner verdienen sich gern etwas dazu, heißt es. Also begannen die Rentner, in die Talkshows zu drängen – und zwar auf der uralten Prämisse ihrer Weisheit aufgrund großer Lebenserfahrung.
Das verleiht ihren Beiträgen in den bezahlten Unterhaltungsrunden selbstverständlich ein höheres Gewicht als den Meinungen der unerfahrenen Jugend. Man konnte beobachten, wie die Greise wieder in ihren gebührenden Rang eingesetzt wurden. Die Talkshow ersetzt in vielen Fällen den Senat. Und Altersgrenzen für die Senatoren gibt es offensichtlich nicht.
Wir kennen sie alle, die großen alten Männer (weniger Frauen, doch Hildegard Hamm-Brücher, Rita Süssmuth und Barbara Rütting sollen keinesfalls vergessen werden) der Talkshows: Hans-Olaf Henkel, Arnulf Baring, Heiner Geißler, Peter Scholl-Latour und – über allen schwebend auf den ewigen Wolken des Zigarettenrauches – selbstverständlich der Altkanzler, Helmut Schmidt, Ausbund der politischen Gelehrtheit, der als einziger in diesem Land den Ehrentitel des nicht nur alten, sondern noch älteren Staatsmannes tragen darf: elder statesman. Das Orakel vor der Kamera. Das Schlusswort zu den Dingen.
Manche bezeichnen diese Herren als Mobiliar der Talkrunden. Alte Möbelstücke, mehr oder minder schön, mehr oder minder abgegriffen, die aufgeboten werden, wenn es um bestimmte Themen geht. Sollte ein Standpunkt zu den Diskursen vor 1968 gewünscht werden, kommt Arnulf Baring ins Spiel. Neoliberalismus wird noch hochgehalten vom Wirtschaftsfachmann Hans-Olaf Henkel (»Ich bin bei Amnesty International«). Den Nahen und Fernen Osten hat für sich kolonialisiert Peter Scholl-Latour, der heftige Kopfschüttler über alle anderen Mittalker und ihre Ahnungslosigkeiten. Und für Moral ist ausschließlich zuständig Heiner Geißler, dem alle Amoralitäten seiner Jahre als Generalsekretär der CDU gnädig vergeben worden sind. So möblieren sich die Talkshows mit den vertrauten Gesichtern und letztlich den vertrauten Ansichten. Das Publikum mag nämlich Überraschungen nicht.
Deswegen grassieren Gerüchte, es gebe längst Digitalprints der fraglichen Talk-Senatoren. Die könne man nach ihrem Ableben in Talkrunden einspielen. Wenn man ihnen dann noch einige gebräuchliche Versatzstücke ihrer Talk-Beiträge aus der Konserve in den Mund legt, können sie an jeder Show zu jedem Thema teilnehmen, bis in alle Ewigkeit. Altersweisheit, elektronisch geklont. Wir Talk-Einschalter können darauf nur mit der Ausschüttung von Glückshormonen reagieren.
Herbert Heinzelmann

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Skip to content