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Praktischer Lückenfüller

Was soll denn das Dings da? Cartoon: Sebastian Haug
Manche Wörter sind unverzichtbar. Beispielsweise Dings. Ohne Dings geht eigentlich gar nichts. »Gib mir doch mal das Dings da rüber!« – »Vorhin hab ich die Dings getroffen, weißt du, die aus dem Laden gegenüber.« – »Der Dings hat mir neulich erzählt, dass er aus dem Fußballverein ausgetreten ist.«
Dings ist so herrlich bequem, es erspart das lange Suchen nach dem richtigen Namen, der korrekten Bezeichnung, der genauen Angabe. Und komisch, meistens versteht einen der andere sogar, es scheint eine gemeinsame Dings-Wellenlänge zu geben. »Du, da hab ich ein tolles Buch gelesen, ach, der Titel fällt mir gerade nicht ein. Der Autor heißt irgendwie Dings, der hat ›Das blaue Hotel‹ geschrieben, das kennst du doch.« – Na klar, kennt sie, die Freundin, die aus dem Rheinland stammt und gern mal »Dingens« sagt, am liebsten »dat Dingens«. Sie hat Verwandte in Dingenskirchen – im Moment fällt ihr der Ortsname nicht ein. Eine halbe Stunde später weiß sie ihn wieder und teilt ihn mir mit, während wir schon über etwas ganz anderes sprechen. Eine sprachliche Schlamperei, dieses Dings, aber ganz so schlimm auch wieder nicht. Schließlich finden sich die Begriffe Dings, Dingsbums, Dingsda sogar im Duden und haben hier sogar eine Sonderstellung: alle drei Artikel sind für sie erlaubt. Ich freue mich! Der Dings, die Dings, das Dings, alles von höchster Stelle aus genehmigt.
Manchmal hilft das liebenswerte, praktische Wort ausgerechnet da nicht weiter, wo es am dringendsten gebraucht würde. Bei Namen zum Beispiel. Leidet doch gerade auf diesem Gebiet die halbe Welt an Gedächtnisschwäche. Wer weiß das nicht aus Erfahrung: Unvermutet begegnet man auf der Straße einem oder zwei Menschen, die man gut kennt. In den Sekunden vor dem Zusammentreffen rotiert das Gehirn: Wie heißen die noch, wie heißen die noch??? Und während man – peinlich, peinlich! – mit dem eigenen Namen begrüßt wird, bringt man selbst nur ein übertrieben euphorisches »Ah, Grüß Gott, wie geht es denn so?« über die Lippen. Während der folgenden Plauderei geht im Hinterkopf hektisch die Suche weiter – vergebens. So verabschiedet man sich unter Umgehung der Anrede, aber mit dem Versprechen »Wir müssen uns bald mal wieder treffen!« – Ja gern, aber mit wem? Zu Hause, beim Abendessen oder am nächsten Morgen unter der Dusche fällt es uns wieder ein: Das waren doch die Schulzes, die wir im Urlaub kennengelernt haben.
Nächste Variante, nicht weniger blamabel: Ich begegne unserer früheren Nachbarin, eine nette Person, über die ich mich immer wieder freue. Nur wie sie heißt, fällt mir im Moment partout nicht ein. Während wir reden, rekapituliere ich im Geist unsere ehemaligen Mitbewohner. Zwei Parteien hatten ausgefallene Namen, die einen hießen Seegrün, die anderen Spinnenhirn. Jawohl, das muss sie sein. Glücklich über meinen Geistesblitz verabschiede ich mich mit einem deutlichen „Auf Wiedersehen, Frau Spinnenhirn!“ Auf dem Weg nach Hause überfällt es mich siedendheiß: Das war nicht Frau Spinnenhirn, das war Frau Seegrün! – Wie schön wäre jetzt so ein freundliches, unverfängliches »Frau Dings« gewesen, wenn die Etikette es zuließe.
Eine Freundin von mir schwor bis vor Kurzem auf Gedächtnistraining und Brückenbauen. »Man muss verwandte Begriffe heranziehen, die einen zu dem bestimmten Wort zurückführen«, belehrte sie mich. Inzwischen ist sie sich nicht mehr ganz so sicher. »Eine Bekannte heißt Knörr«, beschrieb sie mir ihre Niederlage. »Ich merkte mir Knorr, dann Maggi und war sicher, damit wieder zurück zu Knörr zu kommen. Dann passierte es. Ich traf die Dame und was fiel mir ein? Nichts als Maggi, Maggi, Maggi!«
Brigitte Lemberger
Cartoon: Sebastian Haug

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