Ins Nürnberger Polizeipräsidium kommt man als Bürger hauptsächlich, wenn man zum Verdächtigen geworden ist. Jeder weiß aus Kriminalromanen und -filmen, was dann passiert: Verhöre, Gegenüberstellungen, erkennungsdienstliche Behandlung. An einem heißen Samstagabend aber kamen gleich viele Nürnberger – eigentlich viel mehr Nürnbergerinnen – ins Präsidium: Sie hörten zwei Autoren fränkischer Kriminalromane zu. Und sie lauschten einer Diskussion mit diesen beiden, einem Verleger vom Bodensee und einem Krimi-Fachmann aus Berlin über dieses merkwürdige Erfolgs-Phänomen: den regionalen Kriminalroman, besonders in seiner Gestalt als Frankenkrimi.
Den Frankenkrimi gibt es ungefähr seit der Jahrtausendwende. Der Regionalkrimi ist etwa zehn Jahre älter. Die Franken springen eben nicht sofort auf jeden Zug auf. Aber nachdem in der Eifel, in Köln und im Allgäu einheimische Autoren in meist einheimischen Verlagen Geschichten von einheimischen Tätern und Ermittlern mit einheimischem Erfolg veröffentlicht haben, zogen auch die Franken mit großem Elan nach. Inzwischen findet sich in jeder renommierten Buchhandlung eine eigene Abteilung voller Kriminalromane mit Tatorten in Nürnberg, Bamberg, Bad Kissingen oder am Brombachsee.
Deswegen war der wenig gemütliche Raum im Polizeipräsidium, in dem sonst Einsatzbesprechungen stattfinden, an dem wunderschönen Abend brechend voll. Auch der Nürnberger Rundfunkjournalist Dirk Kruse, der nach »Tod im Augustinerhof« mit »Requiem« soeben seinen zweiten Frankenkrimi vorgelegt hat, mischte sich ins überwiegend weibliche und nicht mehr ganz junge Publikum. Er bestätigte: Ja, hier war die Klientel versammelt, die er von seinen öffentlichen Lesungen her kennt. Damen vor allem, Angehörige der Generationen, die noch gern Bücher verschlingen, gehobener Mittelstand, neugierig auf Spannungs-Szenarien in wohlbekannter Umgebung.
Wer aber sind die Menschen, die solche Neugier stillen? Wie kommt jemand auf die Idee, einen Krimihelden zu erfinden, der seiner detektivischen Arbeit nicht in New York oder Paris, sondern in Forchheim oder Ansbach nachgeht? Auf dem Podium im Präsidium saß Stefan Fröhling aus Bamberg. Lange hat er journalistisch gearbeitet, war (und ist) Verfasser von Sachbüchern und Hörfunk-Features. Sein Fachressort ist der Kirchenfunk, denn Fröhling hat einmal katholische Theologie studiert, Moraltheologie um genau zu sein. Priester ist er nicht geworden, sonst hätte er nicht geheiratet und einen Schwager bekommen, mit dem er einen Theologen als Detektiv entwickelt hat. Einen Moraltheologen, denn auch Andreas Reuß, der Schwager, hat dieses Fach studiert. Heute lehrt Reuß Religion und Deutsch am Gymnasium, wenn er nicht gerade an einem neuen Fall tüftelt. Soeben ist das vierte Buch mit dem schnüffelnden Akademiker »Dr. Philipp Laubmann« in Arbeit.
»Was liegt näher, als Kriminalgeschichten mit einem Moraltheologen zu erzählen?«, fragt Stefan Fröhling. »In seiner Disziplin geht es elementar um Gut und Böse. Und genau darum geht es im Krimi.« Fröhling sitzt mit Milchkaffee und Mandelhörnchen im Cafe Riffelmacher an der Oberen Brücke in Bamberg. Das ist der Ort, an dem in langen Gesprächen mit dem Ko-Autor, seinem Schwager, die »Laubmann«-Geschichten entstehen. Andreas Reuß macht gerade Ferien. Deswegen erzählt Fröhling allein, wie es zu der Detektiv-Figur gekommen ist.
Eigentlich wurde sie für eine Fernsehserie ausgedacht. Der Berliner Schaubühnen-Star Udo Samel sollte die Hauptrolle spielen. Exposés für 13 Folgen lagen vor. Aber dann hatte ein Literaturagent dem fränkischen Autoren-Duo empfohlen, den theologischen Detektiv erst einmal in Buchform zu etablieren. Denn er sollte auch Romanheld werden. Und: Verlage würden den Fernsehanstalten nicht so gern Rechte abkaufen. Umgekehrt ginge es leichter. Deshalb agiert »Philipp Laubmann« bisher auf Buchseiten und nicht auf der Mattscheibe.
In seinem letzten Abenteuer mit dem Titel »Teufelswasser« hat er Morde in den Bädern Kissingens geklärt. Das religiöse Thema dabei, sagt Fröhling, war das gesunde Leben. Im nächsten Buch soll es um feministische Theologie gehen. Schauplatz wird ein Priesterseminar im Steigerwald sein. Doch obwohl der Tatort stets in Franken liegt, haben sich die Autoren Fröhling und Reuß keine Gedanken um den Regionalkrimi gemacht, als im Jahr 2005 ihr erster Roman »Der zerrissene Rosenkranz« erschien. Erst nach ihnen hat mit Friederike Schmöe (unter anderem »Kirchweihmord«) eine weitere Bambergerin die Krimi-Szene betreten. Heute fühlt sich das Gespann Fröhling und Reuß ein wenig ins Regionalschema gezwängt. Doch immerhin verkauft es etwa zwei Drittel seiner Auflagen in der Gegend rings um Bamberg – sogar in evangelischen Gebieten, in denen man sich an Einblicken in die Abgründe des Katholizismus zu erfreuen hot.
Andere Verfasser von Frankenkrimis werden außerhalb der Region gar nicht gekauft. Diese Bücher sind an eine Leserschaft gebunden, die heimische Luft atmen, heimische Landschaften wieder entdecken und ab und zu heimische Mundart lesen möchte. Dafür nimmt sie manchmal sprachliche Schwächen oder erwartbare Spannungsdramaturgien in Kauf. Doch der Erfolg der Gattung hat sogar einen anspruchsvollen Schriftsteller wie Elmar Tannert (»Der Stadtvermesser«) zu kriminalistischen Fingerübungen verführt. Zusammen mit der Gostenhofer Musikerin und Textemacherin Petra Nacke hat der Nürnberger mit »Rache, Engel!« einen Krimi der etwas anderen Art auf den Markt gebracht.
Das ist kein Regionalkrimi mehr, sondern ein Stadtteilkrimi. Er spielt fast ausschließlich rund um die Eisenbahnunterführung an der Nürnberger Hessestraße. Es geht um Rache, aber es geht ebenso um Schicksal und Zufall. Tannert und Nacke wollen mit den Konventionen des Genres eher spielen, als sie zu erfüllen. Der Verlag hat es ihnen durchgehen lassen. Sonst werden Geschichten bevorzugt, die sich ohne große Herausforderungen an die Leser gut verkaufen lassen und für die das Markenzeichen Franken allein eine kleine Erfolgsgarantie bedeutet.
Herbert Heinzelmann