
Erst seit wenigen Jahren wird in der breiten Öffentlichkeit über Künstliche Intelligenz diskutiert, und mittlerweile scheint es kaum mehr einen Lebensbereich zu geben, in den die lernenden Computersysteme noch nicht Einzug gehalten hätten. Auch die Medizin erhofft sich deutliche Fortschritte. Schon heute wird KI etwa bei der Auswertung von MRT-Bildern eingesetzt. An der Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler derzeit an Künstlicher Intelligenz, die an der Sprache des Patienten erkennen kann, ob sich bereits erste Anzeichen einer dementiellen Erkrankung zeigen. Wir sprachen mit Informatik-Professor Korbinian Riedhammer vom Zentrum für Künstliche Intelligenz (KIZ).
Wie läuft ein KI-gestützter Demenz-Test ab?
Riedhammer: Zunächst sollten wir den Begriff Demenz etwas genauer fassen. Umgangssprachlich meinen wir damit meist ein dementielles Syndrom, also den graduellen Abbau geistiger Fähigkeiten. Die Alzheimerdemenz ist hier die häufigste – und bis dato nicht heilbare – Form. Es kann aber auch andere – gegebenenfalls behandelbare – Ursachen für Gedächtnisschwierigkeiten geben, wie z.B. eine Depression oder Durchblutungsstörungen. Es gibt nun eine Reihe von Testverfahren, um eine differenzierte Diagnose zu stellen, diese reichen von invasiven Tests wie Lumbalpunktionen zur Liquoranalyse (Entnahme und Analyse von Hirnflüssigkeit, d. Red.) über bildgebende Verfahren hin zu den nicht-invasiven kognitiven Tests. Letztere zielen auf Gedächtnisleistung und Aufmerksamkeit ab. Hier gibt es etwa einen Wortflüssigkeitstest, bei dem man so viele verschiedene Tiere wie möglich nennen soll, einen Konfrontationstest, bei dem Bilder zu benennen sind, oder kombinierte Tests wie den Syndromkurztest (SKT), an dessen Automatisierung wir am Institut arbeiten. Wichtig ist aber: Gerade im frühen Stadium erfordert eine fundierte Diagnose eine ausführliche Anamnese sowie meist eine Vielzahl verschiedener Tests. In den Gedächtnissprechstunden der Kliniken nimmt man sich hier ein bis zwei Stunden Zeit, um alle Aspekte sorgfältig zu untersuchen.
Woran erkennt eine KI, ob ein Patient an einer beginnenden Demenz leidet?
Riedhammer: Gehen wir zunächst wieder einen Schritt zurück: Da es nicht die Demenz gibt, kann die KI das auch nicht ohne weiteres erkennen. Wir können sie aber dazu einsetzen, bestehende Testverfahren zu automatisieren und zu objektivieren. Der SKT eignet sich besonders um bereits leichte kognitive Einschränkungen (engl. mild cognitive impairment, MCI) zu erkennen; da er Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistung evaluiert, kann ein inhomogenes Testergebnis bereits bei der Differentialdiagnose z.B. zu einer depressiv bedingten Pseudodemenz helfen. Der SKT ist weitgehend sprachbasiert und besteht aus Aufgaben wie Gegenstände benennen und erinnern, Zahlen sortieren oder Auszählen. Die KI übernimmt hier die Rolle des Testleiters, führt den Test durch und wertet ihn aus.
Wie zuverlässig sind die Ergebnisse und wie konkret?
Riedhammer: Für den SKT konnten wir im Rahmen einer größeren Studie am Klinikum Nürnberg zeigen, dass die automatische Auswertung des bestehenden SKT sich zu 98 Prozent mit der von Experten deckt. Darüber hinaus verwenden wir nun Machine Learning, um etwaige Fehler in der automatischen Auswertung zu kompensieren. Aktuell arbeiten wir an einer App-basierten digitalen Variante des Tests, um so die Durchführung zu erleichtern.
Was geschieht nach der Diagnose; muss ein Arzt oder eine Ärztin diese bestätigen? Und wenn die KI heute schon in der Lage ist, derartig komplexe Erkrankungen zu diagnostizieren, was ist dann der nächste Schritt?
Riedhammer: Die Diagnose wird weiterhin eine qualifizierte Ärztin oder ein Psychologe stellen, aber eben unter Zuhilfenahme moderner KI-unterstützter Diagnostik, um den Prozess zu beschleunigen und zu objektivieren. In nächsten Schritten untersuchen wir nun, in welchen weiteren Elementen der Diagnostik KI unterstützen kann: Wir arbeiten an einer KI, die bereits während des Anamnesegesprächs diagnostische Informationen einsammelt, um gegebenenfalls unmittelbar weitere Tests vorschlagen zu können. Trotz aller Erfolge stehen wir hier jedoch noch ziemlich am Anfang.
Text: Georg Klietz
Foto: Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm