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Was von Alice Schwarzer blieb

Darunter die erste Ausgabe der »Emma« von 1973.

80 Jahre und kein bisschen leise: Gerade 2022 hat die Feministin und »Emma«-Gründerin Alice Schwarzer mit ihren Ansichten und Äußerungen etwa zu Transmenschen oder zu Waffenlieferungen an die Ukraine wieder für Aufregung gesorgt. Das hat sie schon immer getan. Man denke an ihre Äußerungen bei der Kampagne rund um Paragraf 218 oder zu Frauen in der Bundeswehr. Kurz vor ihrem runden Geburtstag – Alice Schwarzer kam am 3. Dezember 1942 in Wuppertal zur Welt – lief im Herbst zudem eine Kino-Dokumentation der österreichischen Regisseurin Sabine Derflinger über das Leben der streitbaren Vorkämpferin an. Doch wie sehen emanzipierte und engagierte Frauen die prominente Publizistin heute, wie groß war ihr Einfluss früher und welche Rolle spielt eigentlich (noch) die »Emma«? Drei Frauen berichten. 

Anna-Maria Rufer, 74, ehemalige Abteilungsleiterin für den Bereich Politik und Gesellschaft am Nürnberger Bildungszentrum und unter anderem frühere Vorstandsvorsitzende des bayerischen Landesverbands von Pro Familia sowie Trägerin des Bundesverdienstkreuzes:

Anna-Maria Rufer war früher von Alice Schwarzer sehr angetan.

Für mich war Alice Schwarzer immer eine große Kämpferin für die Frauenrechte. Ihre Rolle in den 1970ern darf man überhaupt nicht vergessen, auch wenn man heute große Kritik an ihr haben mag. Sie hat total viel für die Abschaffung des Paragrafen 218 gemacht: viele Bücher, viele Demos, diese riesige »Ich habe abgetrieben«-Aktion 1971 im »Stern«. Die Paragraf-218-Debatte hat auch mich sehr geprägt, ich habe dann gemeinsam mit anderen Frauen den Nürnberger Ortsverband der Schwangerschafts- und Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle Pro Familia gegründet, war auf verschiedenen Ebenen für den Verein tätig und engagiere mich auf diesem Feld bis heute.

Das Eintreten für selbstbestimmte Sexualität hat mich ein Leben lang begleitet. Da hat mich Alice Schwarzer sozusagen angestoßen und mitgenommen. Damals fand ich sie uneingeschränkt toll, ich wusste: Da ist eine tolle Frau, die den Mund aufmacht und laut und deutlich sagt, was sie denkt. Ich habe die »Emma« jahrelang gelesen, hatte das Heft auch abonniert. Ich erinnere mich, dass ich bei anderen Frauen für die Lektüre geworben habe: Das müsst Ihr lesen, da bekommt man Kontakte zu Frauen und Kenntnis von interessanten Frauen. Später habe ich mich bei der »Emma«-Lektüre gelangweilt. Ich habe sie dann auch nicht mehr gelesen und irgendwann abbestellt. Jetzt habe ich bemerkt, dass es sie auch kaum mehr zu kaufen gibt.

Mein Hauptkritikpunkt an Alice Schwarzer heute: Sie ist islamophob und übergriffig in ihrer Einstellung, dass alle Frauen, die ein Kopftuch tragen, unterdrückt und dazu gezwungen werden. In manchen strengen Emiraten wird es so sein, aber es gibt auch Frauen, die wollen es so. Das kann man nicht alles undifferenziert über einen Kamm scheren. In dieser Hinsicht kritisiere ich Alice Schwarzer sehr und wünschte mir, sie hätte da ein bisschen einen anderen Blick. Im öffentlichen Ansehen brach ihr dann wohl ihre Steuergeschichte das Genick. Danach wurde sie auch nicht mehr in Talkshows eingeladen. Den Film möchte ich aber schon sehen: Er spiegelt ja 50 Jahre Frauenbewegung wider und damit meine eigene Geschichte. 

Andrea Kuhn, 51, Leiterin des Nürnberger Menschenrechtsfilmfestivals: 

Andrea Kuhn beurteilt die Rolle von Alice Schwarzer für den Feminismus gegenwärtig eher negativ.

Für mich ist Alice Schwarzer keine Heldin, gerade in den vergangenen Jahren mit ihren sehr unkritischen islamophoben und transfeindlichen Positionen hat sie sehr viel kaputt gemacht. Ihr Bild vom Feminismus ist ein sehr eingeschränktes und sehr angestaubtes. Dazu kommt: Das schadet Menschen, was Feminismus aber nie macht oder machen sollte.

Was ich hingegen immer anerkennen werde, ist, dass ihre Generation von Feministinnen uns den Weg bereitet hat. Allen daran Beteiligten, inklusive Alice Schwarzer, gebührt die Ehre dafür, was sie für uns alle erkämpft und erstritten haben. Das kann man nicht hoch genug bewerten. Alice Schwarzer brachte sich damals in die sichtbarste Position, sie hat sich als Alphatierchen immer schön nach vorne gebracht, aber das ist in Ordnung. Es hat ein Gesicht gebraucht für den Feminismus. Ich würde mich auch nicht allein auf Alice Schwarzer berufen, sondern auf all die anderen, die gekämpft haben. Wie zum Beispiel die feministische Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch oder all die anderen Frauen, die etwa Frauenhäuser und Notrufe mit aufgebaut sowie an den unterschiedlichsten Stellen aktiv mitgekämpft haben. 

Die »Emma« habe ich auch gelesen, als ich jünger war. Ich wollte in das Thema tiefer eintauchen, wurde aber in der Zeitschrift nicht mehr fündig. Ich hatte das Gefühl: Das ist vor allem ein Jubelblatt für Alice Schwarzer. Als dann in einem Artikel Leni Riefelstahl, die oberste Verhetzerin von den Nazis, ohne die geringste Distanz als feministische Ikone dargestellt wurde, habe ich meinen Augen nicht mehr getraut. Den Artikel hatte Alice Schwarzer auch noch selbst geschrieben.

Den Film werde ich mir wohl noch anschauen, ich finde solche Werke auch wichtig, denn sie zeigen ein Stück Frauengeschichte. Es gibt ja schon Tendenzen, Errungenschaften wieder zurückzunehmen, wie Corona gezeigt hat, als plötzlich die Frauen wieder alleine auf die Kinder aufpassen mussten oder ihren Job verloren haben. Ein Film, wie der jetzt über Alice Schwarzer, kann auch bewusst machen, dass das, was wir heute haben, nicht selbstverständlich ist, sondern dass es harte Kämpfe geben musste, um uns das zu ermöglichen.

Gudrun Bußmann, 72, frühere Mitarbeiterin des Autonomen Frauenhauses in Erlangen und ehemalige Stadträtin der ­Grünen Liste:

Gudrun Bußmann nahm sich Alice Schwarzer zum Vorbild. Sie schätzt bis heute die Eloquenz der Feministin.

Alice Schwarzer war für mich auf jeden Fall ein Vorbild, und das schon vor Gründung der »Emma« im Jahr 1977. Schwarzer war ja schon vorher aktiv und in der Öffentlichkeit präsent. Vor daher bekamen wir Frauen, die sich damals getroffen und über Veränderungen gesprochen haben, die Vorstellung, dass unsere Ideen doch nicht so abwegig sind, sondern eine sehr kompetente und bekannte Frau ganz ähnlich oder sogar noch radikaler denkt. Wir wollten ja das System verändern, und haben dabei unter anderem die Ehe abgelehnt.

Uns war natürlich sehr bewusst, dass da jemand für uns in der Öffentlichkeit gedanklich eine Vorreiterrolle übernommen hatte. Besonders toll fand und finde ich es bis heute, wenn jemand gut formulieren, schreiben und sprechen kann. Und das kann Alice Schwarzer ja wirklich über alle Maßen sehr gut. In der »Emma«, die ich sehr gerne gelesen habe, wurden auch Themen wie Arbeitsbedingungen und Lohn von Frauen oder auch sexueller Missbrauch und häusliche Gewalt einem größerem Publikum erstmals dargestellt. Themen also, mit denen ich auch bei meiner damaligen Arbeit im Autonomen Frauenhaus in Erlangen konfrontiert war.

Auch in meiner politischen Arbeit habe ich mich dann, natürlich neben anderen, für Frauenpolitik und -belange eingesetzt. Die Themen zogen sich wie ein roter Faden durch mein Leben und alles, was ich gemacht habe. Die Bedeutung von Alice Schwarzer für mich und meine Generation war damit schon sehr groß. Aber alles, was wir gedacht und gemacht haben, haben wir nicht wegen Alice Schwarzer gedacht und gemacht, sondern weil wir die Notwendigkeit von Veränderungen gesehen haben, vor allem bei unserer Arbeit im Frauenhaus. Den Dokumentarfilm über Alice Schwarzer werde ich mir deshalb natürlich angucken. Immer wenn ich im Fernsehprogramm sehe, dass sie dabei ist, schaue ich mir die Sendung an und genieße die starke Frau, die noch immer alle und alles niederbügelt und immer mit ganz gekonnten Formulierungen ihre Meinung hochhält. 

Protokolle: Sharon Chaffin
Fotos: Mile Cindric (3)/Verleih

Homepage: Szene aus dem Film »Alice Schwarzer«.

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