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Sehnsucht nach Enkeln und heiler Familie

Großeltern und Enkel profitieren beide von der gemeinsam verbrachten Zeit. Für beide ist es meist schmerzhaft, wenn sie sich nicht mehr sehen dürfen. Foto: Kampus Production / pexels

Ihre Enkelkinder nicht mehr sehen zu dürfen, gehört zu den schlimmsten Erfahrungen, die Großeltern machen können. Das passiert meist, wenn Eltern nach Trennung oder Scheidung oder nach dem Tod eines Elternteils den Kontakt zu Oma und Opa verbieten. Zwar gibt es ein gesetzliches Umgangsrecht für Großeltern, aber das ist nicht uneingeschränkt. Im Streitfall kann es zwar erkämpft werden, aber das hinterlässt bei allen Beteiligten Wunden, wie auch immer die Auseinandersetzung ausgeht.

Jährlich verlieren in Deutschland etwa 50.000 Kinder den Kontakt zu einem Elternteil und zugleich zu den Großeltern, schätzt Aybike Soybaba. Sie hat es als »ausgegrenzte Großmutter«, wie sie sich selbst nennt, persönlich erlebt und eine schmerzliche Niederlage erlitten. Deshalb schloss sich die Bambergerin vor zehn Jahren der Bundesinitiative Großeltern (BIGE) an und ist inzwischen deren bayerische Landesvorsitzende. »Viele sind so naiv wie ich damals war und verlassen sich darauf, dass es für Großeltern ein gesetzliches Umgangsrecht gibt«, sagt die 68-Jährige. Doch der entsprechende Paragraph 1685 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) knüpft das grundsätzliche Recht an die Bedingung, dass der Umgang »dem Wohl des Kindes dient«. Das ist ein sehr dehnbarer Begriff – wenn Eltern und Großeltern sich darüber nicht einig werden, müssen zumeist Jugendämter oder Familienrichter entscheiden. 

Beim Familiengericht landen die strittigen Fälle

Das weiß auch die Nürnberger Familienanwältin Silvia Schöttner, die schon viele Eltern und Großeltern beraten und zu Ämtern und Justizbehörden begleitet hat. »Wenn Großeltern zu mir kommen und sagen, sie hätten gerne mehr Kontakt zu ihren Enkelkindern, aber die Eltern oder ein Elternteil würden das nicht gestatten«, dann erläutere sie, welche Möglichkeiten es gibt, um den Umgang zu realisieren. Wenn die Eltern mitmachen, könne sie auch als Mediatorin tätig werden, dafür ist sie ausgebildet. Sie tritt dann allerdings nicht als Anwältin einer Seite auf, sondern als neutrale Vermittlerin. Für Fragen des Umgangs, räumt sie ein, sei eine psychosoziale Mediation, die man über das Jugendamt bekommen könne, »eher zu empfehlen als eine Anwalts-Mediation«. Wenn das nichts helfe, würde sie raten, sich eher an das Jugendamt als ans Familiengericht zu wenden. Dort landen in der Regel nur die strittigen Fälle – also solche, in denen sich die Beteiligten nicht selbst einigen können. Es seien insgesamt nicht allzu viele, heißt es bei den Jugendämtern in Nürnberg und Erlangen. Aber jeder einzelne ist für die Beteiligten sehr schmerzhaft.

Die BIGE wird eher niedrigschwellig aktiv, deshalb hat sie mit sehr viel mehr Betroffenen zu tun. Sie arbeitet wie Selbsthilfegruppen – die aber bei diesem Problem im Mittelfranken äußerst rar sind. Aybike Soybaba erklärt das so: »Wir gehören ja alle noch einer Generation an, die damit etwas verschämt umgeht. So etwas spricht sich in der Nachbarschaft schnell herum.« Selbst in der Stadt wolle niemand, dass Bekannte oder gar Geschäftspartner von Familienproblemen erfahren, die bislang verborgen geblieben sind oder allenfalls Anlass zu Gerüchten gegeben haben. Dennoch hält es Soybaba für »ungemein wichtig, darüber zu reden, sonst macht einen das wirklich krank«.

Mutmaßungen über schlimme Vorfälle

Die Zurückhaltung hat vielleicht auch damit zu tun, dass in solchen Fällen oft Mutmaßungen aufkommen, in der Familie müsse schon etwas Schlimmes vorangegangen sein, wenn es solch ein Zerwürfnis gebe. 

Aybike Soybaba will das nicht bestätigen. Wer Rat suche, finde bei der BIGE viel Verständnis, denn fast alle ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten ähnliche Erfahrungen gemacht. 

Für die Kinder spielen Oma und Opa ein unersetzliche Rolle. »Solange es funktioniert, sind Großeltern absolut wichtig und in Krisenzeiten gerade der verlässlichste Teil«, sagt Soybaba. Kinder spürten oft frühzeitig, wenn es bei den Eltern kriselt, und oft seien da die Großeltern diejenigen, »wo es Ruhe und Ordnung gibt«. Je enger die Bindung sei, desto härter treffe es beide Teile, wenn der Kontakt abgebrochen werden müsse, weil die Eltern das nicht mehr wollten.

In Gesprächen versucht man bei der BIGE, einvernehmliche Lösungen zu finden. Aber weil die meisten Betroffenen erst kommen, wenn schon zu viel Porzellan zerschlagen wurde, sind die Erfolgsaussichten gering. Der nächste Schritt würde dann zum Jugendamt führen. Wenn es auch dort keine Lösung gibt, bleibt der Gang vor Gericht mit anwaltlichem Beistand. Das sei vor allem eine Geldfrage. Tatsächlich kann eine mittlere bis hohe dreistellige Summe fällig werden, und wenn eine Vereinbarung getroffen wird, kostet das noch einmal etwa 300 Euro. Das müsse man sich leisten können, betont Soybaba. Sie kenne Fälle, da gingen Großeltern sogar bis vors Oberlandesgericht, zahlten viel Geld – und unterlagen am Ende doch. 

»Umgangsstreitigkeiten sind ein großer Teil unserer Arbeit«

Mit Behörden, Mediation und Familiengerichten hat Anwältin Silvia Schöttner genug Erfahrungen, gute und schlechte, geht »aber davon aus, dass das Jugendamt grundsätzlich das Wohl des Kindes im Sinn hat«. Allerdings gebe es für das Kindeswohl keine objektiven Kriterien, selbst entwicklungspsychologische Gutachten, die im Rahmen eines Verfahrens eingeholt würden, böten keine Garantie. 

»Umgangsstreitigkeiten sind ein großer Teil unserer Arbeit«, sagt Claudia Amm, die beim Jugendamt Nürnberg die Abteilung Allgemeine Sozialdienste leitet. »Natürlich versuchen wir zuerst, beide Seiten zusammenzubringen. Wir machen auch Mediation.« Aber überwiegend gehe es um die Eltern nach der Trennung, während ein Streit mit Großeltern über das Umgangsrecht eher selten vorkomme. Meist schwele der Konflikt »schon lange, bevor wir davon erfahren«. Und wenn, dann sei die Situation meist schon verfahren, »weil da auch immer die Trennungsprobleme der Eltern stehen«.

Das Jugendamt wird eingeschaltet

Familienanwältin Silvia Schöttner kann das bestätigen. Mediation werde angeboten, »wenn beide S

eiten das wollen«. Oft sei es aber so, dass gerade in »hochstrittigen Fällen« Eltern und Großeltern nicht mehr miteinander sprächen und nicht einmal im gleichen Raum sitzen wollten. Möglicherweise ziehen die Großeltern gleich vor Gericht – aber auch dann wird das Jugendamt automatisch eingeschaltet, um mit Eltern, Großeltern und Enkelkindern zu reden und dann für das Gericht eine Stellungnahme abzugeben. 

In manchen Fällen hat Schöttners Erfahrung nach auch das Familiengericht vor der Verhandlung eine Mediation durch extra ausgebildete Richter vorgeschlagen, um eine gütliche Einigung zu erreichen. Entscheidend sei auch immer der Wille der Kinder. Den herauszufinden, sei schwierig. Ist das Kind unbeeinflusst oder manipuliert? Sagt es, was es wirklich will oder was Mama oder Papa verlangen? Oft träten schwelende Probleme zwischen Eltern und Großeltern oder länger zurückliegende Verletzungen oder Vertrauensbrüche erst jetzt zutage. Haben sich vielleicht Großeltern über die Erziehungsmethoden der Eltern permanent hinweggesetzt? Die Beteiligten hätten das bisher nicht hinbekommen, meint Silvia Schöttner, »und nun soll ein Richter entscheiden, was das Beste für das Kind ist«.

Dabei müssen die Großeltern quasi als »Kläger« darlegen, wie bisher das Verhältnis war, erläutert Anwältin Schöttner, damit ersichtlich wird, »ob es gut und für die Entwicklung der Kinder förderlich ist, wenn sie weiterhin in Kontakt mit Oma und Opa bleiben«. 

Bei Trennungen sind Kinder oft nur Verhandlungsmasse

Ganz zufrieden wird keine Seite mit der Entscheidung sein, egal, ob der Kontakt bleiben oder endgültig abgebrochen werden soll. Die Familienanwältin und die Vertreterin der Bundesinitiative Großeltern sind sich jedenfalls in einem Punkt einig: Wäre die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen in Deutschland schon voll umgesetzt und wären die Kinderrechte im Grundgesetz verankert, könnten auch die Rechte von Enkelinnen und Enkeln und ihr eigener Wille im Streit um das Umgangsrecht besser berücksichtigt werden. »Gerade bei Trennungen sind Kinder oft nur Verhandlungsmasse«, kritisiert Silvia Schöttner.

Die BIGE will, dass der Begriff Kindeswohl im Gesetz ganz gestrichen und Großeltern auch in strittigen Fällen erlaubt wird, regelmäßig Kontakt zu Enkelkindern aufnehmen zu können. Noch ist es nicht so weit. Aybike Soybaba hat für sich selbst die Konsequenzen aus der verhängten »Kontaktsperre« gezogen: Sie wurde Tagesmutter in einer betrieblichen Kita. »Von mir als Ersatzoma bekommen nun dort alle Kinder das, was ich meinen Enkelkindern nicht geben durfte.«

Text: Herbert Fuehr
Foto: Kampus Production / pexels

Finden Sie Ihre Wunschenkel

Dass sich Großeltern und Enkelkinder gegenseitig guttun, ist unbestritten. Es gibt jedoch viele Gründe, warum die Generationen nicht zueinander finden. Der Verein »Großeltern stiften Zukunft« schafft hier Abhilfe. Er vermittelt Kontakte und hilft damit älteren Menschen ebenso wie den Familien. Rund 60 Wunschgroßeltern werden aktuell in Nürnberg gesucht. Dabei sind nicht nur Paare angesprochen, sondern auch Alleinstehende, die sich engagieren möchten. Über einen Kriterienkatalog, der auf der Homepage des Vereins zu finden ist, kann man seine Suche konkretisieren. Denn die Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten ist groß. Das Alter der Wunschenkelkinder reicht vom Baby oder Kleinkind bis zum Teenager.

Doch unabhängig davon erwartet der Verein, dass sich die Beziehung zwischen den Generationen über mehrere Jahre entwickeln kann. Wunschgroßeltern sind kein kurzfristiger Kinderbetreuungsdienst, sondern eine Aufgabe mit der Möglichkeit, zu Wahlverwandten zu werden. Interessenten wenden sich an Yasmin Chaudhri, Tel. 0911-214 2133, yasmin.chaudhri@elkb.de oder füllen das Kontaktformular aus, das unter Projekte bei www.grosseltern-stiften-zukunft.de zu finden ist. Hier gibt es auch das neu geschaffene Angebot einer Beratung für Großeltern, die ihre natürliche Rolle nicht leben dürfen. Zwei Seelsorger sind Ansprechpartner am Telefon und unterstützen in dieser schwierigen Situation.

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