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Sie kämpft seit 60 Jahren gegen Tierversuche

Margit Vollertsen-Diewerge mit HüŸndin Daisy.

Seit gut 60 Jahren protestiert sie gegen die sinnlose Quälerei, der Hunde, Affen, Mäuse und andere Geschöpfe in Laboren ausgesetzt werden, seit über zehn Jahren ist sie Mitglied der Organisation Ärzte gegen Tierversuche (ÄgT), deren bundesweit erste Arbeitsgruppe sie 2009 in ihrer Heimatstadt Erlangen gründete. 2011 erhielt sie den Bayerischen Tierschutzpreis, 2013 die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland: Margrit Vollertsen-Diewerge. Sie hat sich auf den Lorbeeren nicht ausgeruht und ist heute noch hochaktiv. Mit ihren 87 Jahren gibt sie ein gutes Beispiel ab für leidenschaftliche ehrenamtliche Tätigkeit.

Der Auslöser, aktiv zu werden, war ein Skandal an der Universität Erlangen-Nürnberg: In einem baufälligen Holzschuppen in Kirchröttenbach bei Schnaittach im Kreis Nürnberger Land wurden im Oktober 1987 acht Welpen entdeckt, Versuchshunde der chirurgischen Klinik der Universität, die unter erbärmlichen Bedingungen untergebracht waren. Die Uni-Pressestelle mauerte und bestätigte lediglich, dass die Hunde der Klinik gehören, Tierschützer erstatteten Anzeige, ihr Anwalt bekam keine Einsicht in die Ermittlungsakten, da er, wie Vollertsen-Diewerge sagt, »das konkrete wissenschaftliche Interesse nicht nachgewiesen hat«. Das Verfahren wurde eingestellt. Doch für die streitbare Tierfreundin und -schützerin, die selbst einen Hund hat und sich seit Jahren auch ehrenamtlich für das Erlanger Tierheim engagiert, ging der Einsatz gegen Tierversuche erst richtig los. Das Thema hatte Vollertsen-Diewerge schon lange zuvor beschäftigt. Allerdings sah sie 1959 noch einen Fortschritt, als eine neue Methode eingeführt wurde, die Vivisektionen überflüssig machte: Bis dahin wurden, wie sie erzählt, beispielsweise Tiere noch lebendig auf Bretter genagelt. Doch diese Maßnahme sei längst veraltet, die Tierversuche aber gehen trotzdem weiter. Ebenso wie das Engagement der streitbaren Seniorin.

Berufswunsch Ärztin ließ sie fallen

Der Vorfall mit den Versuchshunden der Uni war dann für sie der Anlass, mit Artikeln und Aktionen die Öffentlichkeit auf grausame Tierversuche aufmerksam zu machen. Worte wurden ihr dabei bei ihrem Kampf schnell zur Waffe. Denn ihr ursprüngliches Ziel, Ärztin zu werden, ließ sie schon nach einigen wenigen, in den 1950er Jahren begonnenen, Medizinsemestern fallen. »Ich merkte schnell, dass das nichts für mich ist, auch nicht Veterinärmedizin, ich kann keine Spritze geben, das ist nicht mein Ding.« Die Ärzte gegen Tierversuche nahmen sie Anfang der 2000er dennoch offiziell in ihre Reihen auf, für nicht promovierte Mediziner eher eine Seltenheit. Die Tierliebhaberin und überzeugte Vegetarierin fand ihre Berufung stattdessen im Journalismus. Nach einer Tätigkeit bei Siemens studierte sie später Literatur und arbeitete als freie Mitarbeiterin unter anderem für die Erlanger Nachrichten, das war ihr Traum, als junge Frau sei ihr das nicht möglich gewesen, berichtet sie. Dass die Frauen-Wohltätigkeitsorganisation Soroptimistinnen sie Jahre später für ihre investigativen Berichte mit einem Preis auszeichnete, freut sie daher besonders. »Das war eine ganz große Ehre, weil ich es wirklich gewagt habe, als das noch keiner gemacht hat, schwierige Themen anzugehen.« Dabei setzte und setzt sie immer auf die Überzeugung durch Argumente. Themen findet und fand sie genug. Es gab viel anzuprangern. So etwa, als die Erlanger Uni bestritt, 22 Makaken im Gebäude der Anatomie zu halten. Doch die Affen wurden zufällig entdeckt – und an eine Pharmafirma weitergegeben. Oder, als die miserable Unterbringung von Versuchskaninchen und -meerschweinchen aufgedeckt wurde.

7.000 Unterschriften gesammelt

Im Dezember 2002 brachte es die Tierversuchsgegnerin fertig, dass eine hochkarätige Gesprächsrunde im Senatssaal des Erlanger Schlosses sich mit dem Thema befasste. Mit dem Ergebnis, dass die Hochschule keinen Cent für tierversuchsfreie Forschung ausgibt, wie Vollertsen-Diewerge beklagt. Dafür wurde ein Jahr darauf an einem neu errichteten Lehrstuhl für Tier- und Verbraucherschutz mit Schmerzversuchen an Tieren begonnen. Als das neue Tierversuchszentrum in Erlangen gebaut werden sollte, gehörte Vollertsen-Diewerge zu den ersten, die eine Unterschriftenaktion initiierten, an der sich schließlich knapp 7000 Bürgerinnen und Bürger beteiligten, darunter namhafte Persönlichkeiten. Doch nichts half, auch keine Fahrrad-Demos, Infostände und Gesprächsrunden: Im Juni 2005 war das 27 Millionen Euro teure, mit öffentlichen Mitteln finanzierte »Franz-Penzoldt-Zentrum« für Tierversuche bezugsfertig und rühmte sich, die Versuchstiere würden besser gehalten als manches Haustier.

Seitdem halten Vollertsen-Diewerge und viele Mitstreiter – seit 2009 auch die Erlanger ÄgT-Arbeitsgruppe – dagegen. Mit Ausstellungen, Artikeln, Gesprächen und Protestaktionen wollen sie darauf aufmerksam machen, dass Tierversuche ihrer Ansicht nach unnötiges Leid verursachen, ohne medizinischen Erkenntnisgewinn sind und leicht durch andere Testmethoden ersetzt werden könnten. Selbst heute steht sie in Corona-Zeiten unter Einhaltung aller Schutz- und Hygienemaßnahmen mit Flugblättern bei Mahnwachen und Kundgebungen in vorderster Reihe.

Ans Aufhören denkt die dreifache Mutter, sechsfache Großmutter und auch Urgroßmutter noch lange nicht. Auch wenn sich inzwischen bei weiten Teilen der Bevölkerung doch ein Bewusstseinswandel vollzogen hat: Inzwischen gehören Tierschutz und Tierwohl für viele zum »Common Sense«. Gerade auch Jüngere achten etwa bei Kosmetika und Reinigungsmitteln darauf, dass zur Produktentwicklung keine Tierversuche gemacht wurden. Macht das die langjährige Kämpferin nicht ein bisschen stolz? »Ich bilde mir nichts darauf ein«, antwortet sie, »sondern bin nur erleichtert, dass inzwischen eine Zeit gekommen ist, in der man öffentlich sagen kann, Tierversuche sind unwissenschaftlich.«

Doch Vollertsen-Diewerge wäre nicht sie selbst, hätte sie nicht noch ein Ziel: »Mein größter Wunsch ist der Ausstieg aus Tierversuchen und zwar jetzt. Wenn ich das noch erlebe, wäre das großartig.«

Text: Sharon Chaffin; Foto: Mile Cindric

 

 

 

 

 

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