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Delir, das unterschätzte Risiko bei der OP

Verwirrtheitszustände nach einer Operation, auch Delir genannt, sin die Forschungsschwerpunkte von Dr. Thomas Klenk (links) und Prof. Dr. Roland Biber. Piktogramme, also Symbolschilder wie die im Bild gezeigten, sollen z.B. verwirrten Patienten die Orientierung im Krankenhaus erleichtern. Foto: Kat Pfeiffer

Eigentlich gelten Schlaganfälle und Herzinfarkte als typische Altersleiden. Doch Ärzte wie Prof. Dr. Roland Biber beobachten eine weitere Entwicklung mit Sorge: »Die Zahl der Sturzverletzungen bei Senioren steigt immens«, sagt der Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie an den Dr. Erler Kliniken in Nürnberg. Er und seine Kollegen behandeln immer mehr hüftgelenksnahe Frakturen und Brüche im Schulterbereich, an Handgelenken oder an der Wirbelsäule. Sie sind Folge von Stürzen, die bei jüngeren Menschen nicht zu einem Bruch führen würden, wie Biber betont. Doch bei älteren Menschen, die zudem häufig unter Osteoporose leiden, kann selbst eine kleine Unachtsamkeit gravierende Folgen haben.

Geistig verwirrt und gefährdet nach der Operation

Den Bruch als solchen können die Chirurgen meist gut behandeln. Dennoch kommt es oft zu Komplikationen. »Bei älteren Menschen tritt weitaus häufiger ein Delir auf«, so Biber. Bei einem Delir handelt es sich um einen Zustand geistiger Verwirrung als Folge einer Operation. Das klingt nicht allzu dramatisch, ist es aber, denn ein Delir kann tödlich sein. Noch ein Jahr danach ist die Sterblichkeitsrate deutlich erhöht. Wichtig sei es deshalb, das Delir möglichst schnell zu erkennen und zu behandeln, betont Biber. Auch deshalb bauen die Dr. Erler Kliniken eine Abteilung für Alterstraumatologie auf. »Damit können wir den Fokus auf alle Begleiterkrankungen richten«, sagt der Geriater Dr. Thomas Klenk, leitender Oberarzt des neuen Fachbereiches.

Das Krankenhaus hat seine älteren Patienten schon länger besonders im Blick. Bereits 2016 wurden Pflegekräfte und Mitarbeiter des ehrenamtlichen Besuchsdienstes im Umgang mit kognitiv beeinträchtigten Menschen speziell geschult. Zudem erleichtern Piktogramme betroffenen Patienten die Orientierung auf den Stationen. Mit Hilfe der Alterstraumatologie sollen diese Maßnahmen gebündelt, in einen größeren Zusammenhang gestellt und systematisch um weitere Bausteine ergänzt werden.

Jeder zweite Patient ist betroffen

Derzeit steht dabei die Delirprävention im Mittelpunkt. Schließlich ist rund jeder zweite Patient über 65 Jahre nach einer Operation davon betroffen. Bei geplanten Eingriffen ist die Rate etwas niedriger. Werden die Senioren als Folge eines Unfalls nicht sofort operiert, steigt die Gefahr eines Delirs jedoch an. Der Blutverlust, die Schmerzen und eine lange Phase der Nüchternheit zählen zu den Risikofaktoren, auch die ungewohnte Umgebung im Krankenhaus spielt eine Rolle. Sind die Patienten ohnehin schon kognitiv beeinträchtigt, etwa durch eine Demenzerkrankung, ist das Risiko ebenfalls erhöht.

Weil sich die Symptome beider Erkrankungen ähneln, ist ein Delir für Pflegepersonal und Ärzte nicht leicht zu erkennen. Außerdem gibt es nicht nur die »klassische« hyperaktive Form mit Symptomen wie Aggressivität, Halluzinationen und Angstzuständen, sondern auch eine sogenannte hypoaktive Variante, bei der sich die Patienten zurückziehen und eventuell sogar eine akute Depression entwickeln. »An eine Verdachtsdiagnose ›Delir‹ muss man deshalb strukturiert herangehen«, sagt Biber. Die Klinik hat deshalb Behandlungsstandards entwickelt. Wichtig sei der ganzheitliche Blick auf die Symptome, betont Klenk. Denn viele Faktoren können eine Rolle spielen, wenn es um das Risiko Delir geht. Mal ist es eine Nachblutung, mal eine Entzündung, mal eine übervolle Blase. »Man braucht deshalb einen Standard, der all diese Fälle berücksichtigt und kann dann systematisch alles durchgehen«, so Biber.

Die Suche nach dem Auslöser

Die beiden Ärzte haben zusammen mit den Anästhesisten eine Art Checkliste entwickelt, mit deren Hilfe auch jüngere und noch nicht so erfahrene Kollegen nach und nach die verschiedenen Ursachen finden oder ausschließen können. »Viele kleine Mosaiksteinchen wirken zusammen«, sagt Klenk. »Und wir müssen den Auslöser finden.« Dieser Auslöser wird dann behandelt, zudem helfen Mitarbeiter und Angehörige dem Patienten bei der Orientierung, etwa mit Uhren, Kalendern und der aktuellen Tageszeitung. Erst wenn beides nicht reicht, kommen Medikamente ins Spiel.

Wie erfolgreich das System sein wird, muss die Zukunft zeigen. Genaue Zahlen werden jetzt nach und nach erhoben. Doch Studien belegen, dass die Überlebenschancen durch eine Zusammenarbeit von Unfallchirurgen und Geriatern gerade bei den stärker erkrankten (»multimorbiden«) Senioren steigen, die eigentlich besonders gefährdet sind. »Und das«, sagen die beiden Mediziner, »motiviert uns sehr.«

Text: Silke Roennefahrt
Foto: Kat Pfeiffer

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