Tarzan – Sie erinnern sich? – das war dieser gelenkige junge Bursche, der im Urwald lebte und der menschlichen Sprache nicht mächtig war, weil er seine Kindheit unter Tieren verbracht hatte. Als die schöne Jane mitten im Dschungel seinen Weg kreuzt, möchten sich die beiden verständigen. Jane bringt ihm bei, wie man sich bekannt macht. Sie deutet auf ihn: »Ich Tarzan – du Jane.« Wie man inzwischen weiß, ergibt sich aus diesem etwas kargen Anfang eine ergreifende Liebesgeschichte. Was lernen wir daraus? Es braucht keine langen Sätze, um einander zu verstehen.
Irgendwie hat sich diese Erkenntnis durchgesetzt. Wer beherzigt noch die alte Grundschulregel, die besagt, dass man in ganzen Sätzen miteinander reden soll? Heute reicht im täglichen Umgang ein Minimal-Vokabular, es genügen einzelne, kurz hervorgestoßene Wörter. Vergegenwärtigen Sie sich mal Ihren letzten Besuch im Supermarkt. Sie stehen mit Ihren Einkäufen an der Kasse: »Hallo.« (Das ist die Begrüßung.) »Payback-Karte?« (Das ist die Frage, ob Sie eines dieser tollen Plastikkärtchen besitzen, dank deren Einsatz Sie garantiert den Überblick über Ihr Konto verlieren.) »Kassenbon?« (Damit möchte die Kassiererin wissen, ob Sie einen Einkaufsbeleg wünschen.) »Tüte?« (Das ist die höfliche Nachfrage, ob Sie selbst eine Einkaufstasche dabei haben oder gern eine Plastiktüte hätten.) Neueste Version: »Nix Tüten!« (Ein Zettel, unter der Theke angeklebt, der darüber informiert, dass eben keine Tüten zur Verfügung stehen.)
Wie anders im Internet! Aus meinem persönlichen Erfahrungsschatz kann ich zum Besten geben, dass ich, obwohl keineswegs Stammkundin, von »meinem Amazon« (so nennt es sich stets!) liebenswürdig und in kompletten Sätzen angeredet werde. Als Kundin bin ich eine VIP (Very Important Person) und werde nach meiner Meinung gefragt! Sogar bei ganz banalen Dingen wie neulich beim Kauf einer Staubsauger-Parkettdüse, die ich auf die Schnelle in keinem Laden kriegen konnte. Die Sache verlief zunächst höchst unspektakulär. Das Teil kam prompt per Post, das Geld wurde abgebucht. Aber dann ging ein paar Tage später eine Anfrage von »meinem Amazon« ein, ob ich bereit wäre, die Parkettdüse zu rezensieren! REZENSIEREN!!! – »Was soll ich schon über ein Staubsaugerzubehörteil sagen«, schrieb ich zurück. »Ich bin zufrieden, die Bürste funktioniert.«
Zu viel Hinwendung
Bald darauf wieder eine E-Mail: Ob ich »als Rezensent« einem Kunden helfen könne. Der Kunde hieß Werre und wollte wissen: »Hallo welche höhe hat die parketbürste vom rand bis zur mitte?« Dann fragte ein Mensch namens Esmer: »Mein Kopf den ich gekauft habe bei euch ist leider schon kaputt was kann ich tun?« – Daraufhin legte ich mein Rezensentenamt nieder: Ich bin empfindlich, wenn es um Rechtschreibung und Satzzeichen geht! Und überhaupt: Sooo viel Hinwendung zum Kunden könnte auf die Dauer auch ein bisschen mühsam werden! Stellen Sie sich vor, man bäte Sie nach jedem Kauf um Ihre persönliche Beurteilung und die Weitergabe Ihrer geschätzten Meinung an andere Menschen! Darüber freuten sich wohl nur passionierte Facebook-Nutzer, die ohnehin mit Leidenschaft alles »posten« und nun ihre Friends und Followers umgehend in Kenntnis setzten: »Habe gerade Staubsauger-Parkettdüse gekauft. Kann dir nähere Auskünfte geben. Supercoole Sache!« Oder so ähnlich.
Vielleicht liegt es an mir. Einfach zu alt für neuartige Kommunikationsformen und sowieso permanent am meckern! Denn natürlich geht es nicht überall so verkürzt zur Sache wie in meinem – und wahrscheinlich auch Ihrem? – Supermarkt. In der Bäckerei wünscht man mir stets »einen schönen Tag noch«, auch wenn ich bloß zwei Brötchen kaufe. »Einen schönen Tag noch« wünscht man einander seit einiger Zeit ja sowieso zu jeder Stunde, Uhrzeit und Gelegenheit, auch am Telefon. Sogar dann, wenn man zuvor ewig in der Warteschleife ausharren musste und einem der bis dahin »schöne Tag« schon ziemlich verleidet ist. Aber jetzt bin ich schon wieder am meckern …
Brigitte Lemberger