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Karate macht glücklich – auch im höheren Alter

Dojo Leiter der Abteilung Karate beim SC Obermichelbach Walter Dienstbier beim Karate Training. Foto: Mile Cindric
Dojo Leiter der Abteilung Karate beim SC Obermichelbach Walter Dienstbier beim Karate Training. Foto: Mile Cindric
Normalerweise wird barfuß und im schlichten, weißen Anzug, dem Gi trainiert. Doch bei der Gruppe des SC Obermichelbach im Landkreis Fürth ist das keine Pflicht. Auch der Kampfschrei »Kijai« ertönt hier nicht. Hier ist manches ein bisschen anders als in üblichen Karate-Kursen. In den kurzen Verschnaufpausen wird umso öfter gelacht.
Insgesamt elf Kampfsport-Schüler treffen sich hier, und alle elf sind schon im Ruhestand – 66 Jahre alt sind die jüngsten der Truppe, darunter zwei Paare. Die Frauen und Männer üben sich jeden Mittwoch für 90 Minuten in der Obermichelbacher Bürgerhalle im Senioren-Karate.
»Was, Oma, du machst Karate?«, hat Martina Feldmann zu hören bekommen. Die vierfache Großmutter lacht. »Alle meine Enkel sind sehr sportlich. Sie haben gestaunt, dass ich mein Herz ausgerechnet für diese Sportart entdeckt habe«, erzählt die Karateka. Die gelernte Drogistin ist mit 74 Jahren die Älteste. Sie erinnert sich: »Nach dem Tod meines Mannes habe ich mir gesagt: Zu Hause rumsitzen geht nicht, und Bewegung ist immer gut. Früher konnte ich Ski fahren und Tennis spielen, aber das entfällt, weil ich nun ein künstliches Kniegelenk habe.« Sie geht Schwimmen und spielt Golf. Doch Karate ist für sie etwas Besonderes. Sie ist seit gut einem Jahr dabei, heute fühlt sie sich fitter denn je. Denn: »Karate ist nicht nur Bewegung, sondern auch gut fürs Hirn!«
Gerade kommt das nächste Kommando des Trainers. »Die Hand zur Faust ballen, den rechten Unterarm ans linke Ohr führen, und umgekehrt den linken Unterarm ans rechte Ohr!«, diktiert Walter Dienstbier. »Mann oh Mann«, stöhnt einer seiner Schüler.
Sie müsse sich voll konzentrieren, sagt die 68-jährige Ursula Jacoby. »Trotzdem fällt es mir immer noch schwer, Kopf, Arme und Beine in Einklang zu bringen.« Es habe sogar einen Punkt gegeben, an dem sie am liebsten hingeworfen hätte, erzählt die vierfache Großmutter und frühere Hotelkauffrau. Auch ihr Mann Horst, ein ehemaliger Industrie-Backmeister, wollte aufhören. »Mein Mann wäre wie zuvor wieder nur kegeln gegangen«, erregt sich Ursula Jacoby noch heute.
Sie blieben beide und haben einmal mehr am eigenen Leib die alte Weisheit erfahren: Aller Anfang ist schwer! »Aber es ist zu schaffen, auch im Alter!«, sagt Ursula Jacoby.
»Nur Mut«, lautet denn auch der einmütige Rat der Jacobys. Denn gerade bei Karate bestehen oft falsche Vorstellungen. So hat der Sport nichts mit Bretterzerschlagen zu tun, wie oft geglaubt wird.
»Ich war skeptisch«, gesteht Wolfgang Müller. »Wieder was Neues! Wieder Zeit opfern!« Entschuldigend lächelt der einstige Rechtsanwalt (67) seine langjährige Partnerin an, die ehemalige Tierärztin Charlotte Heger (64). »Die Chefin hat nicht locker gelassen«, scherzt er. Und das war gut so! Wolfgang Müller schwärmt heute: »Nach dem Training fühlt man sich wie nach einer Massage.«
Tatsächlich scheint es sich bei Karate um eine Art Jungbrunnen zu handeln – eine Art Anti-Aging auf Japanisch. Das belegt eine Studie der Universität Regensburg aus dem Jahr 2011. Dr. Katharina Dahmen-Zimmer vom Institut für experimentelle Psychologie war daran maßgeblich beteiligt. »Wir haben untersucht, wie sich Karate auf die körperliche Fitness, die Kognitionsleistung und die emotionale Befindlichkeit von Senioren auswirkt«, berichtet die Wissenschaftlerin. Die Resultate verblüfften selbst die Forscher. Bereits nach einem halben Jahr Training besaßen die 13 Karate-Spätstarter der Forschungsgruppe – die älteste Teilnehmerin war 81 Jahre alt – eine verbesserte Merkleistung. Hier ging, anders als in den Vergleichsgruppen, auch die depressive Symptomatik am stärksten zurück.
Verantwortlich dafür ist nach Ansicht der Regensburger Wissenschaftler der gezielte Wechsel zwischen Spannung und Entspannung. »Bei Karate wird der ganze Körper gefordert, bis hin zur Atmung. Die Gedanken können nicht abschweifen. Man kann keine Probleme wälzen, wenn man 65 Bewegungen hintereinander ausführen muss, wie zum Beispiel beim Schattenkampf«, erläutert Dahmen-Zimmer.
»Speziell auf das Kurzzeitgedächtnis scheint sich das sehr gut auszuwirken. Es bleibt fit oder wird sogar noch geschult.« Dahmen-Zimmer plädiert aber dafür, vorab den Hausarzt zu konsultieren. »Karate befördert den Kreislauf, deshalb sollten gesundheitliche Risiken und Altersbeschwerden abgecheckt werden.«
Nicht nur die Schüler, auch ihr Übungsleiter Walter Dienstbier hat mit dem Kurs Neuland betreten. »Das Training mit den Senioren war auch für mich eine Herausforderung«, bekennt er. Zu Jahresbeginn hatte der 57-jährige Industriekaufmann im vorzeitigen Ruhestand mit neuen Spät-Anfängern starten wollen. »Körperliche Fitness, Ganzkörpergymnastik, Koordinationstraining, mentale Ausgeglichenheit und Selbstverteidigung und vieles mehr bietet die Kampfkunst auch im fortgeschrittenen Alter«, verkündete die Einladung. Nur: Niemand war gekommen, nicht mal zum Schnuppern. Also machte der Sensei (Lehrer) aus der Not eine Tugend und trainierte seine bisherige Gruppe weiter: »Von sechs bis 99 kann jeder einsteigen«, wirbt Walter Dienstbier jetzt. Was für Voraussetzungen sollte man mitbringen? »Keine«, antwortet der Meister und Träger des schwarzen Gürtels lapidar, »man muss vorher nicht mal Sport getrieben haben. Karate ist ein Perfektionssport. Geduld ist das A und O. Wenn man mit sich selbst keine Geduld hat, tut man sich schwer!«
Immerhin 400 Vereine gehören dem Bayerischen Karate Bund e.V. an, doch nach Auskunft der Münchner Geschäftsstelle »trainieren die wenigsten explizit Senioren«. Schade eigentlich. Denn wie betont Übungsleiter Walter Dienstbier: »Karate macht Senioren glücklich.«
Text: Ute Fürböter
Fotos: Mile Cindric

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