Anzeige

E-Patienten sind mächtig im Kommen

Seit einigen Jahren gibt es einen neuen Typus von Patienten: die sogenannten E-Patienten. Durch das Internet sind sie über ihre Erkrankungen bestens informiert, über Therapien und Medikamente ebenso. E-Patienten tauschen sich über das Netz mit ihren Leidensgenossen aus und bewerten Ärzte, Krankenhäuser und andere Einrichtungen der medizinischen Versorgung. Viele Akteure aus dem deutschen Gesundheitswesen haben jedoch Schwierigkeiten, sich auf E-Patienten einzustellen.

Falsche Dosierungen sind eines der Probleme, die sich besonders für E-Patienten stellen. Foto: Canstockphoto.com
Seit einigen Jahren gibt es einen neuen Typus von Patienten: die sogenannten E-Patienten. Durch das Internet sind sie über ihre Erkrankungen bestens informiert, über Therapien und Medikamente ebenso. E-Patienten tauschen sich über das Netz mit ihren Leidensgenossen aus und bewerten Ärzte, Krankenhäuser und andere Einrichtungen der medizinischen Versorgung. Viele Akteure aus dem deutschen Gesundheitswesen haben jedoch Schwierigkeiten, sich auf E-Patienten einzustellen. Alexander Schachinger, Referent bei der Konferenz „Health 2.0 Europe“, betreut die erste systematische und repräsentative Studie über E-Patienten. Diese sind noch weitgehend unerforschte Wesen, die bei Ärzten zuweilen für Stirnrunzeln sorgen, da die von ihnen ausgetauschten Informationen häufig nicht durch medizinische Erkenntnisse abgesichert sind. Dies sei jedoch kein Grund, das Wissen der E-Patienten weniger ernst zu nehmen, glaubt Schachinger. Mit Martin Schmucker von Avisomed.de sprach er unter anderem darüber, dass Ärzte heute nicht mehr die alleinigen Hüter des medizinischen Wissen seien.
Herr Schachinger, derzeit bereiten Sie eine Haushaltsbefragung zur Nutzung von Gesundheitsinformationen im Internet durch chronische Patienten vor. Worauf genau zielt die Studie ab?
Alexander Schachinger
In Deutschland wurde noch nie repräsentativ und basierend auf der internationalen E-Patientenforschung untersucht, wie sich die Nutzung von Gesundheitsinformationen durch Chroniker auf deren Wissen, ihre Einstellungen und ihr Verhalten auf dem Gesundheitsmarkt, also vor allem gegenüber Ärzten und Apothekern auswirkt. Hier wollen wir eine Forschungslücke schließen, denn das Thema „E-Patient“ ist in Deutschland bisher sträflich vernachlässigt worden. Unter anderem in Zusammenarbeit mit der KWHC GmbH haben wir bereits eine Online-Befragung mit 3.500 E-Patienten durchgeführt. Wir konnten zeigen, dass das Internet, der Austausch in Foren und ähnliches Auswirkungen auf die Patienten haben, insbesondere auf das Arztgespräch und auf die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Therapie.
Wie definieren Sie den „E-Patienten“?
Mit diesem Begriff meinen wir Patienten, die an chronischen Erkrankungen leiden, aber auch Akutpatienten, die das Internet zur Information über Gesundheitsthemen und zum Austausch nutzen. Wir verwenden einen sehr umfassenden Begriff, der auch die Angehörigen mit einbezieht, die sogenannten „Caregiver“, also Eltern, Kinder oder Ehepartner, die sich im Internet über Krankheiten von ihnen Nahestehenden informieren.
Nach welchen Informationen suchen E-Patienten?
Sie suchen nach Erklärungen für ihre Symptomatiken, aber auch nach Informationen über Therapien, Behandlungen und Medikamente. E-Patienten suchen häufig auch nach Empfehlungen und Bewertungen von Krankenhäusern und Ärzten. Als sehr wertvoll nehmen vor allem chronisch Kranke den Austausch mit Leidensgenossen in Foren wie med1.de , imedo.de oder netdoktor.de wahr – das Stichwort ist: „patients like me“. E-Patienten sind aber auch kritisch. Sie hinterfragen ärztliche Diagnosen und suchen nach Alternativen zu den vom Arzt vorgeschlagenen Therapien.
Diese Informationen stammen zumeist von Laien. Besteht hier nicht ein grundsätzlicher Konflikt zu professionell validierten Informationen? Wie kann die Qualität dieser Informationen gesichert werden?
An dieser Stelle muss ich provokativ werden: Eine solche Fragestellung entspringt einem traditionellen Denken im Gesundheitswesen, in dem der Arzt der alleinige Hüter des medizinischen Wissens ist. Themen wie Qualitätssicherung und Datenschutz werden vornehmlich im Modus der Bedrohung wahrgenommen – eine typische Reaktion und ein typischer Habitus im deutschen Gesundheitswesen. Der Großteil der Kommunikationen im Internet wird jedoch nicht von den üblichen Akteuren im Gesundheitswesen, sondern mehrheitlich von nicht-traditionellen Marktakteuren produziert. Vor allem Verlagshäuser und Start-Ups betreuen in Sachen Reichweite die mit Abstand führenden Gesundheitsportale und Communities. Informationen, die dort und in Patientenforen generiert werden, stehen überhaupt nicht im Widerspruch zu einer evidenzbasierten Medizin oder zu ärztlich verordneten Therapien. Sie wirken eher ergänzend, weil es den Akteuren des Gesundheitswesens nicht gelingt, relevante Inhalte für Chroniker und ihre konkreten Alltagsprobleme zu schaffen. Die Patientenperspektive und die Alltagsperspektive eines Chronikers werden oft nicht verstanden. Durch die gezielte Schulung von Ärzten zu Patienteninformationen könnten hier aber sicherlich einige Verbesserungen erzielt werden.
Worin liegen die Ursachen für das ärztliche Unverständnis der Patientenperspektive?
Es gibt ein Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Patienten wollen konkrete Hilfe zu konkreten Alltagsproblemen. Das trifft auf nahezu allen Indikationen zu. Wenn diese Hilfe von ärztlicher Seite nicht bereitgestellt wird, dann helfen sich die Patienten selbst. Ähnliche Patienten mit ähnlichen Problemen reden die gleiche Sprache und suchen ähnliche Lösungen. In der Netzwerkforschung nennt man dieses Phänomen auch „effektive Praktikgemeinschaften“. Es gibt aber auch ein strukturelles Problem: Ärzte sind an Regularien und an gesundheitsökonomische Rahmenbedingungen gebunden. Nicht zuletzt aus Gründen der Bürokratie bleibt ihnen wenig Zeit, mit ihren Patienten zu reden, nämlich fünf Minuten pro Quartal und Patient. Ein Diabetespatient ist aber 24 Stunden pro Tag krank. In einem Forum kann er jederzeit und von überall auf der Welt seine Fragen stellen. Wir haben ermittelt: Im Durchschnitt werden in Foren gestellte Fragen von sieben Patienten und nach nur 17 Stunden beantwortet. Das sind phänomenale Werte, die in der Face-to-Face-Interaktion zwischen Ärzten und Patienten niemals erreicht werden könnten.
Welches sind für Sie die wichtigsten Entwicklungen im Bereich der digitalen Gesundheit? Welche Anwendungen und Software-Lösungen weisen den Weg in Richtung Zukunft?
Wir werden parallel zur Health 2.0-Konferenz eine Studie veröffentlichen, in der die 800 meistbesuchten Gesundheits-Websites analysiert werden. In Sachen Reichweite und Aktualität haben eindeutig die nicht-traditionellen Akteure, also Start-Ups und Verlagshäuser die Nase vorn. Es gibt darunter zahlreiche Dienste, die Therapien unterstützen und den Patienten echten Mehrwert bieten, wie Such- und Austauschfunktionen auf Webseiten, mobile Dienste für bestimmte Indikationen oder patientengenerierte Feedbacks, die aufzeigen, welche Therapie bei welcher Symptomatik am effektivsten geholfen hat und viele mehr. Es gibt kleinere Pilotprojekte bei Kliniken und Krankenkassen, aber das sind allenfalls bescheidene Ansätze. Von dem Ziel, die Versorgungsstrukturen der traditionellen Player mit digitalen Mehrwertdiensten zu verbinden, sind wir in Deutschland noch weit entfernt.
Warum hinken die traditionellen Player so stark hinterher?
Vielleicht hilft ein Vergleich: Früher haben die mittelalterlichen Mönche gegen die Druckerpresse gewettert, Microsoft Manager bezeichneten Open Source und Linux einmal als „Kommunismus“. Genauso werden Innovationen im Gesundheitswesen oftmals gesehen: Im Internet, so die landläufige Meinung, gebe es keine Qualität. Noch kritischer sind die Anreizstrukturen: Im Vergütungskatalog der Krankenkassen kommen digitale Dienstleistungen schlicht nicht vor. Gesundheits-Apps oder Patienten-Communities, in denen sich Betroffene über den Umgang mit ihrer Erkrankung austauschen, werden nicht bezahlt, obwohl sich dies nachweislich positiv auf Wissen und Adhärenz auswirken kann. Eine Klinik oder ein Pharmaunternehmen hat für so etwas keinen wirtschaftlichen Anreiz. Für Start-Ups bedeutet das, dass sie sich entweder über Werbung finanzieren müssen oder dass der Patient für den digitalen Dienst zahlen muss.
Bieten digitale Innovationen im Gesundheitswesen die Möglichkeit von Kostensenkungen?
Das Potenzial ist riesig. Allein für Deutschland werden die sogenannten Non-Compliance-Kosten, also diejenigen Kosten, die durch mangelnde Therapietreue entstehen, auf ca. 30 Mrd. Euro geschätzt. Beispielsweise können zugeschnittene digitale Dienste für Betreuung, Aufklärung und Patienten-Feedbacks dazu beitragen, die Versorgung zu optimieren, Kosten zu reduzieren und gleichzeitig die Evaluation verschiedener Behandlungen aus der Alltagssicht der Patienten fördern. Dieser Ansatz nennt sich “Information Therapy” – was bedeutet: die richtige Information zur richtigen Zeit an den richtigen Patienten zu bringen.
Zum Schluss noch einen Blick über den Tellerrand: Wo steht Deutschland im Bereich digitale Gesundheit international?
Kleinere Länder, vor allem in Europa, sind uns weit voraus. In Dänemark sind digitale Gesundheitsdienste schon landesweit implementiert, in der Schweiz sind die Planungen weit fortgeschritten. Dort gibt bereits elektronische Patientenakten, in denen alle Patienten online ihre Röntgenbilder, Arztbriefe und ähnliche Daten einsehen können. In Holland gibt es vorbildliche Kooperationen und Pilotprojekte zwischen Krankenhäusern, Universitäten und Patienten-Plattformen. Dort gibt es eine echte Online-Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten. Es spricht nichts dagegen, dass man diese Dinge auch hierzulande einführt. Besonders für Krankenhäuser, die sich hierzulande in einem starken Konkurrenzkampf befinden, bieten diese Dienste (z.B. drimpy.com ) große Chancen zur Marktpositionierung . Leider lautet aber die bisherige Diagnose: In Deutschland werden die Themen „Digitale Gesundheit“ und „Gesundheit im Internet“ von den traditionellen Akteuren fast schon systematisch vernachlässigt, und das, obwohl circa 40 Millionen Deutsche das Internet regelmäßig zu Gesundheitsthemen nutzen. Ich vermute, das wird sich dieses Land nicht mehr lange erlauben können.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Skip to content