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Seine Zoobewohner lassen ihn nicht los

Helmut und Karin Mägdefrau nehmen sich viel Zeit für ihre exotischen Hausgenossen.

Wer das Wohnhaus in Lauf an der Pegnitz betritt, merkt ziemlich schnell: Hier lebt keiner, der einen knuddeligen Pudel hält. Bei Helmut Mägdefrau geht es deutlich exotischer zu. Auch wenn der frühere zoologische Leiter und stellvertretende Direktor des Nürnberger Tiergartens seit 2020 in Rente ist: Die Tiere lassen ihn nicht los.  

Schon in der Diele hört man die Heimchen zirpen – noch! Sie sind das Futter für eine ganze Reihe schuppiger Hausgenossen. Im Esszimmer am Fenster steht das erste Terrarium. Es beherbergt einen Scheltopusik, auch Panzerechse genannt. Diese großen Blindschleichen kommen unter anderem in Südosteuropa und Zentralasien vor. Ein paar Meter weiter befindet sich – raumhoch und gut zwei Meter breit – ein Einbauschrank mit Glasfront und Beleuchtung. Hier leben vier Grüne Baumeidechsen. Sie klettern auf den Pflanzen im Gehege herum. 

Und am Fenster neben der gemütlichen Sitzecke im Wohnzimmer steht ein Glaskasten mit zwei Exemplaren der sehr seltenen Chinesischen Krokodilschwanz-Höckerechsen. Sie sollen sich eigentlich fortpflanzen. »Aber im Moment können die zwei Stinkstiefel nicht viel miteinander anfangen. Sie sind wohl noch zu jung. Das kommt schon noch«, hofft Mägdefrau.

Im Nürnberger Tiergarten fand er seine Berufung

Er fängt das Männchen mit einem beherzten Griff heraus und zeigt den Bauch des Reptils. »Der ist auch so schön orangerot wie der seines Großvaters, den ich 1986 in einer Zoohandlung gekauft habe«, freut sich der 68-Jährige. Damals hatte der gebürtige Münchner in der bayerischen Landeshauptstadt Biologie studiert – bevor er 1991 im Nürnberger Tiergarten seine Berufung fand, erst als Kurator, ab 2000 als stellvertretender Direktor. Drei Jahrzehnte hatte der promovierte Wissenschaftler mit den seltensten, schönsten, größten und ungewöhnlichsten Geschöpfen zu tun, die unser Planet zu bieten hat – vom Nashorn bis zum Eisbärbaby. Eine 50-Stunden-Woche war die Regel, in Notfällen war Mägdefrau immer erreichbar. Wie hat er den Wechsel zum Privatmann erlebt? 

»Auf der einen Seite hat es mich entspannt, dass ich die Bürokratie, die zum Beispiel mit dem Personalwesen verbunden ist, nicht mehr machen musste«, sagt er und schiebt gleich hinterher: »Aber die Arbeit im Zoo, der Kontakt zu den Tieren und das Miteinander mit den Kollegen, das hat mir viel Spaß gemacht. Und das fehlt mir auch.« 

Immerhin war es ein langsamer Ausstieg: »Eigentlich dachte ich, ich arbeite bis zum letzten Tag und räume in zwei bis drei Tagen meine Sachen zusammen.« Doch daraus wurden drei Monate. So viele zoologische Bücher und wissenschaftliche Aufsätze hatte er gehortet. Das waren etliche Stapel, aber auch ein reicher Schatz an Informationen, der in Ruhe gesichtet werden wollte.

Freiberuflich erstellte er Naturschutz-Gutachten für Unternehmen oder Behörden 

Aber auch seit das erledigt ist, wird dem Rentner nicht langweilig. Gleich zu Anfang seiner neuen Lebensphase musste er für seine Frau Karin als »Chauffeur« einspringen, die freiberuflich Naturschutz-Gutachten für Unternehmen oder Behörden erstellt – etwa wenn Bauprojekte für Straßen und Windkraftanlagen anstehen und geprüft werden soll, ob und wie diese sich auf seltene Brutvögel, Amphibien und Insekten auswirken würden. 

Sie hatte sich eine Beinverletzung zugezogen. Er fuhr sie an die jeweiligen Einsatzorte, damit sie das Monitoring von Rotmilan, Schwarzstorch und Co. weiterführen konnte. Erst einmal vor Ort, hat der Vollblut-Biologe dann gleich bei der Kartierung mitgeholfen.

Außerdem hat er sein Haus in Lauf gedämmt, um Energie zu sparen und das Klima zu schonen. Sein handwerkliches Geschick spiegelt sich auch in den meisten Zimmern wider: Viele Möbel hat er selbst gebaut. Besonders eindrucksvoll ist der Couchtisch, dessen Platte aus einer mächtigen Baumscheibe besteht. Das Holz der Buche, die wegen mangelnder Standfestigkeit in Nürnberg-Erlenstegen gefällt werden musste, hat er gekonnt bearbeitet.

Durch Spanien und Marokko

Was in der Rente endlich möglich ist: längere Reisen. So war er gerade mit seiner Frau auf einer sechswöchigen Tour durch Spanien und Marokko. Mithilfe des CO2-Rechners hat Mägdefrau vorher recherchiert, ob es verträglicher ist zu fliegen oder mit dem Auto zu fahren. Das Ergebnis: Bei letzterem werden nur 40 Prozent dessen an Kohlendioxid ausgestoßen, was bei der Flugreise anfällt. 

Schlafen im Zelt, Essen machen auf dem Gaskocher – das spartanische Leben als Camper macht ihm nichts aus. Der 68-jährige ist abenteuer-erprobt. In Zusammenarbeit mit der Zoologischen Staatssammlung München waren er und seine Frau in früheren Jahren auf Expedition in Venezuela, um Reptilien und Amphibien in den dortigen Tafelbergen zu studieren.

Von dort hat er auch Schädel und Haut einer hochgiftigen Puffotter mitgebracht, die Einheimische erlegt hatten. Angebraten, mit Knoblauch, Salz und Pfeffer gewürzt, hat Mägdefrau das Fleisch der Schlange gegessen. »Der Geschmack erinnert ein bisschen an Hähnchen«, meint er.

Sammelsurium exotischer Fundstücke

In einem Glasschrank hortet Helmut Mägdefrau exotische Fundstücke.

Die Relikte der Schlange befinden sich heute in einem Glasschrank, in dem der Biologe ein Sammelsurium exotischer Fundstücke hortet – darunter fällt auch das Haus einer Kegelschnecke mit dem lateinischen Namen Conus textile, die zu den giftigsten Tieren der Welt gehört, sowie der Schädel einer großen Wasserschildkröte. 

In seiner beruflichen Zeit war Mägdefrau manchmal ein bisschen neidisch, wenn Zoobesucher den ganzen Tag die Tiere am Schmausenbuck beobachten konnten und er wieder an die Arbeit gehen musste. Jetzt hat er selbst Zeit, den Gorillakindern im Affenhaus beim Spielen zuschauen. Dass er am Ende seiner Laufbahn noch die Geburt des kleinen Kato erleben konnte, war ein Highlight für ihn.

Flocke wirkt noch nach

Am emotionalsten, aber auch am zeitaufwendigsten war die Sorge um das Eisbärmädchen Flocke im Jahr 2007, verbunden mit einem beispiellosen Besucher- und Medienandrang. Man hatte sich entschieden, das Jungtier mit der Hand aufzuziehen, nachdem die Mutter es nicht angenommen hatte. »Wer hätte gedacht, dass wir einmal vor Journalisten über die Verdauung eines kleinen Bären referieren würden«, sagt Mägdefrau, der unumwunden zugibt: Auch er – eigentlich ein rationaler Wissenschaftler – sei dem Charme des pummeligen, weißen Knäuels mit den schwarzen Knopfaugen verfallen wie alle anderen.

Auf traurige Weise einschneidend war für ihn auch ein Vorfall im Jahr 2000, als die Eisbären nach einem bis heute nicht aufgeklärten Sabotageakt aus dem Gehege entkamen. Er musste sie nach vergeblichen Fangversuchen erschießen, um zu verhindern, dass sie in den Reichswald entkommen. »Damit muss man erst einmal mental klarkommen, dass man bedrohte Tiere töten muss, die man eigentlich schützen will«, sagt Mägdefrau.

Keine Hemmungen, heikle Themen anzusprechen

Doch er stellte sich immer wieder unbequemen Situationen, sein Credo: »Fakten auf den Tisch.« So hatte er auch keine Hemmungen, heikle Themen anzusprechen wie etwa die Tatsache, dass im Zoo Tiere aus den Gehegen geschossen und verfüttert werden, wenn die Kapazitätsgrenze erreicht ist und auch andere Einrichtungen sie nicht aufnehmen können.

Auch im Ruhestand recherchiert er weiter zu biologischen Themen und schickt dem Zoo-Team aufschlussreiches Material. Außerdem schreibt er für den Tiergarten wichtige Informationen aus seiner Arbeitszeit nieder, etwa zu den ebenso seltenen wie eindrucksvollen blauen Hyazinth-Aras, deren Zucht in Nürnberg schon geglückt ist. Einmischen will er sich auf keinen Fall. »Wenn ich gefragt werde, bin ich gerne mit einem Rat dabei. Aber ich will niemanden ins Handwerk pfuschen«, sagt Mägdefrau und wendet sich seinen Grünen Baumeidechsen im Wohnzimmer zu. Sie sind geselliger als die Höckerechsen und könnten, so seine Hoffnung, demnächst für Nachwuchs sorgen.

Text: Alexandra Voigt
Fotos: Michael Matejka

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