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Karteln statt Daddeln: Schulfach Schafkopf

Eigentlich wollten wir bloß gemütlich im Café sitzen und ein bisschen plaudern. Aber mit Selma ist das selten zu machen, sie geht so gerne auf die Barrikaden. »Was sagst du dazu«, fragt sie aufgebracht, »Schafkopfen könnte jetzt an bayerischen Schulen Wahlfach werden!«– Nö, keine Ahnung, das ist an mir vorüber gerauscht. Selma kramt in ihrer Tasche und zieht einen älteren Zeitungsausschnitt hervor, den sie mir unter die Nase hält. Für mich klingt das zunächst nicht unseriös. Der Bayerische Philologenverband lässt wissen, »dass das Kartenspiel gerade in digitalen Zeiten wieder an Bedeutung gewinnt, auch in der Schule«. Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbandes und Direktor des Robert-Koch-Gymnasiums in Deggendorf, kann sich vorstellen, das traditionsreiche bayerische Kartenspiel in den Unterricht zu integrieren, als Wahlfach oder in Arbeitsgemeinschaften. Schafkopfen, um »unter anderem mathematische, soziale und strategische Kompetenzen zu erlernen«, pflichtet Sozial-Pädagogikprofessor Klaus Zierer bei. Ein Gegenmittel zum hirnlosen Rumgedaddel am Handy.

»Die Idee ist doch gar nicht so schlecht«, beruhige ich meine Freundin und weise sie auf einen zusätzlichen praktischen Nutzen hin. »Lass’ die Jungs wieder etwas Nützliches lernen! Denk mal an früher. Sonntagmorgens ging ein echtes Mannsbild zum Schafkopfen, und die Mutter kochte in aller Ruhe das Essen. Und die gemütlichen Abende, wenn der Vater zum Kar- teln beim Stammtisch war und die Familie mal durchatmen konnte. Jetzt hocken Männlein und Weiblein jeder für sich allein vor dem Handy und das ganze familiäre und gesellschaftliche Leben ist im Eimer.«

Mein Argument zieht nicht – mit Brauchtumspflege hat es Selma nicht so. Aber wenn schon Tradition, lästert sie, warum bloß für die Buben? Gerechterweise sollten dann auch die Mädchen zu alten Tugenden zurückgeführt werden. »Handarbeit als Wahlfach, wie wäre es damit? Mädchen werden schon in der Grundschule wie- der an den Umgang mit der Strickliesel gewöhnt, später lernen sie Kreuzstich, Hohlsaum und Häkeln. Das alles fördert Konzentration und Fingerfertigkeit und ist eine sinnvolle weibliche Beschäftigung für daheim, wenn Vater, Bruder oder Freund beim Schafkopfen sind.« Das finde ich nett. Schließlich können die kleinen geschickten Mädchen-Fingerchen danach um so müheloser die Tastatur ihres Handys bedienen – ach nein, was ist das nun wieder für ein Gedanke…? Und während also der fränkische Nachwuchs in den Schulräumen unter Aufsicht einer Lehrkraft bei Schafkopf und Näharbeit eifrig und traditions- mäßig beschäftigt ist, sprechen alle miteinander Dialekt, versteht sich – auch etwas, das offiziell gefördert und mancherorts in Wahlfächern wie- derbelebt werden soll.

Den Pädagogen, sind Selma und ich uns einig, eröffnen sich ganz neue Betätigungsfelder. Mor- gens sprechen sie Hochdeutsch und wursteln sich durch die digitale Unterrichtswelt, nach- mittags reden sie mit der Schülerschar Mund- art, spielen Karten und pflegen das Brauchtum. »Weil«, lästert die unverbesserliche Selma, »El- tern, die ihnen so etwas beibringen, haben die armen Kinder offenbar keine. Dafür gibt es die Lehrer. Die haben doch sowieso nur einen Halb- tagsjob und können gut und gern zusätzlich et- was leisten.«
BRIGITTE LEMBERGER / CARTOON: SEBASTIAN HAUG

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