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Wie man dem Schicksalsschlag trotzt

Das Wetter ist schön, die Kurven schmiegen sich sanft in die Landschaft … alles ist perfekt. Und im nächsten Moment ist nichts mehr, wie es einmal war … Illustration: Wolfgang Gillitzer

Das Leben kann einem manchmal hart zusetzen. Aber es gibt Menschen, die sich nicht unterkriegen lassen, denen es auch nach harten Schicksalsschlägen gelingt, wieder Mut zu fassen und ihr Leben mit Optimismus und Freude zu gestalten. Unser Autor Günter Dehn berichtet von einem Fall, der Mut macht.

Ein milder, sonnenwarmer Septembertag. In den fränkischen Dörfern ist Kerwazeit. Für Heiner Hansen und seine Frau Margit (Namen geändert) ein guter Grund, das Motorrad aus der Garage zu holen. Schönes Wetter, gute Stimmung. Was will man mehr? »Sollen wir euch was mitbringen, Bratwürste?«, fragen sie vor der Abfahrt noch ihre Kinder. Dann starten sie.

Szenenwechsel: Heiner Hansen liegt in einem Bett. Es dauert Tage bis er realisiert, dass er in einem Krankenhausbett liegt. Er überlegt. »Hatte ich an einer medizinischen Testreihe teilgenommen, die jetzt beendet ist?! Und meine Frau wird mich jetzt abholen.« Er grübelt, überlegt. Die Wirklichkeit ist unfassbar.

Neun Wochen lang lag er im Koma, dann das langsame, schmerzhafte, quälende Erwachen. Und die Nachricht, die sein Leben in tausend Einzelteile zersprengt: Sie hatten einen Unfall und seine Frau ist tot. »Das Letzte«, sagt der 76-Jährige, »woran ich mich vor dem Unfall erinnere, ist, dass mich meine Frau auf dem Sozius auf ein Rudel Rehe am Waldrand aufmerksam machte.«

Wenige Minuten später ist Margit tot. In einer engen Kurve kommt es zur Kollision mit einem entgegenkommenden Pkw, man schrammt aneinander vorbei. Margit Hansen prallt gegen ein Verkehrsschild. Sie stirbt noch am Unfallort. Die Schuldfrage wurde nie geklärt. Es gab kein Verfahren.

Das Schicksal hatte Heiner Hansen und seine Frau bereits in jungen Jahren vor eine harte Probe gestellt: Die lange ersehnten Zwillinge starben zwei Tage nach der Geburt. Die Eltern schafften es nicht, über diesen Verlust miteinander zu sprechen. Jeder versuchte für sich allein, damit fertig zu werden. Heiner suchte das Gespräch mit Freunden, Verwandten, auch Kollegen. Und er nahm professionelle Hilfe bei einem Psychotherapeuten in Anspruch. »Das hat mir ungemein geholfen.« Und diese Erfahrung konnte er, der nach dem Unfall lange an seinen Verletzungen laborierte, jetzt wieder abrufen.

Resilienz nennen Psychologen die Fähigkeit von Menschen, ihre Widerstandsfähigkeit zu mobilisieren. Professor Klaus Rothermund von der Friedrich-Schiller-Universität in Jena nennt unter anderem die sozialen Beziehungen, die eine Person hat: »Wer viel Unterstützung erhält, etwa vom Partner, von den Kindern, von den Nachbarn, guten Freunden, Mitgliedern der Kirchengemeinde, auch von Arbeitskollegen, der kann Krisen sehr viel besser überstehen als eine Person, die wenig Unterstützung hat, sozial isoliert ist und keinen Trost bekommt.«

»Du musst selbst aktiv werden«

Es dauerte geraume Zeit, bis Heiner Hansen sich dazu aufraffen konnte, Freunde, Bekannte anzurufen. »Du musst selbst aktiv werden«, meint er, »der andere ist überfordert mit der Situation. Er weiß nicht, was er sagen soll. Er ist hilflos. Also musst du als der Betroffene die Initiative ergreifen.« Und das habe ihm geholfen.

Geholfen haben ihm auch seine Liebe zur Literatur, sein Hobby, kleine Ausstellungen zu organisieren, und die Liebe zur Musik. Die Freunde im Chor, in dem er schon seit Jahrzehnten und heute immer noch singt, sind ihm auch in den Zeiten, in denen wieder alles an die Oberfläche gespült wurde, beigestanden.

Prof. Klaus Rothermund: »Daher ist es so wichtig, in gute soziale Beziehungen zu investieren, sie zu pflegen, anderen zu helfen, wo und wann immer man kann. Denn nur so bleibt man eingebunden und erfährt im Gegenzug auch Unterstützung, wenn man sie braucht.« Dabei sollte man sich nicht unter Druck setzen, rät der Jenaer Psychologe. »Es braucht seine Zeit, bis man seinen Frieden mit einer Situation machen kann und eine neue Einstellung zum Leben gewonnen hat.«

Heiner Hansen hat nicht nur eine neue Einstellung zum Leben gewonnen. Er ist auch vor zehn Jahren, drei Jahre nach dem Unfall, eine neue Beziehung eingegangen. »Seit neun Jahren bin ich wieder verheiratet, glücklich verheiratet. Meine jetzige Frau war und ist mir eine wahrhaft verständnisvolle und einfühlsame Begleiterin.« Und nach einer langen Pause, in der ein leichtes Lächeln in seinem Gesicht aufscheint, sagt er: »Ja, ich schaue auch mit 76 Jahren noch getrost und mit großer Zuversicht in die Zukunft.«

Günter Dehn

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