Anzeige

Hausverbot für Silbereisen & Co.?

Nie waren die Fernseher größer, und noch nie wurde länger davor gesessen als heute – Internet und Smartphone zum Trotz. Besonders die älteren Menschen lieben ihre Glotze: Mehr als fünf Stunden täglich sehen die über 65-Jährigen hierzulande fern – und damit länger als jede andere Altersgruppe.

Ein Fernseher kommt Ruth Wissmath nicht ins Haus! Foto: Mile Cindric
Nie waren die Fernseher größer, und noch nie wurde länger davor gesessen als heute – Internet und Smartphone zum Trotz. Besonders die älteren Menschen lieben ihre Glotze: Mehr als fünf Stunden täglich sehen die über 65-Jährigen hierzulande fern – und damit länger als jede andere Altersgruppe.
Der Durchschnitt der Bevölkerung lässt sich täglich etwa vier Stunden lang berieseln, wie die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung und die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg ermittelt haben. Am wenigsten sehen Kinder bis 13 Jahre fern – anderthalb Stunden, und das vermutlich auch deshalb, weil ihre Eltern den Fernsehkonsum begrenzen.
Eine, die den Schnitt der Älteren locker hebt, ist die 89-jährige Anna-Maria Hanke, die in einer Vier-Zimmer-Wohnung am Nürnberger Rosenau-Park lebt. »Zum Glück brauche ich nicht mehr so viel Schlaf«, sagt sie, »deshalb kann ich jetzt endlich die besten Sendungen sehen, die kommen ja immer sehr spät.« Einer ihrer Favoriten war lange Zeit die »Space Night«, das frühere Nachtprogramm des Bayerischen Fernsehens. Um zwei Uhr morgens konnte man da den Blick aus dem Weltall auf die Erde genießen. Heute sieht sie nachts schon mal die Wiederholungen von Sendungen, die sie unter Tags verpasst hat. Gegen drei Uhr morgens geht dann auch Anna-Maria Hanke meist schlafen – um schon um sieben Uhr wieder aufzustehen. Schließlich gelte es, einen Haushalt zu versehen.
Den ganzen Vormittag kümmert sie sich um die Belange des Alltags, freilich, ab und an wird schon »ein bisschen oberflächliches Zeug dazwischen geschaut«, gibt sie zu. Ansonsten geht die alte Dame mit ihrem Rucksack einkaufen; am Mittag wird gekocht, und nachmittags zieht es sie oft in die Stadt. Danach aber freut sie sich wieder aufs Fernsehen, acht Stunden kommen da zusammen vom frühen Abend bis in die späte Nacht hinein. Damit sie die Sendungen, die ihr wichtig sind, nicht verpasst, kreuzt Anna-Maria Hanke akribisch alles in ihrer Fernsehzeitung an: Opern und klassische Konzerte, die Sendungen Phönix-History, Planet Erde und Reportagen aus fernen Ländern. Zum täglichen Fernseh-Ritual gehören aber auch »Markus Lanz« und sonntags dann die Runde von Günther Jauch.
»Der Fernseher ist ein Fenster zur Welt. So wie Ältere früher zum Fenster rausgeschaut haben, um am Leben teilzunehmen, schauen sie heute auf den Bildschirm«, erklärt Clemens Schwender, Medienpsychologe an der Hochschule der populären Künste in Berlin, die Bedeutung des Fernsehens bei Älteren.
Manchen alten, einsamen Menschen ersetzen die Darsteller im Fernsehen regelrecht die sozialen Kontakte, die sie im wirklichen Leben nicht mehr haben, weil der Bekanntenkreis kleiner geworden ist oder sie nicht mehr so beweglich sind. »Para-soziale Interaktion nennt man das Phänomen, dass man am Leben der Medienfiguren teilnimmt. Diese Figuren müssen keine realen Menschen sein, auch Rollen in TV-Serien bieten sich an«, erklärt Medienpsychologe Schwender. Ältere Menschen bauen Beziehungen zu Figuren auf, »die regelmäßig zu ihnen kommen. Der Bildschirm bringt sie ins Haus. Und da man diese Figuren häufiger trifft, ihnen näher kommt und mehr von ihnen weiß als von der eigenen Verwandtschaft, nutzen Ältere auch die Gelegenheiten, diese Beziehungen aufrecht zu halten, indem sie regelmäßig einschalten.«
Der Radius ist kleiner geworden
Die abnehmende Mobilität lässt auch Anna-Maria Hanke immer häufiger den Fernseher einschalten. »Ich bin immer noch sehr interessiert an allem, aber mein Radius wird langsam kleiner«, sagt die 89-Jährige, die gerade ein zweites künstliches Hüftgelenk bekommen hat. Früher habe sie ein Opern-Abonnement gehabt, vor vier Jahren dann ihre letzte große Reise nach Indien unternommen. Das Fernsehen erlaubt ihr jetzt, ihre kulturellen und geografischen Interessen weiter zu pflegen, auch wenn sie nicht mehr so mobil sei wie früher. Ihre jüngste Errungenschaft ist denn auch ein großer Flachbildfernseher, mit digitaler Technik und über 30 Programmen.
Der käme Ruth Wissmath, 84, sicher nie ins Haus. Das letzte Fernsehgerät in ihrer Familie schleppte 1952 ihr inzwischen verstorbener Ehemann an. Der Gynäkologe hatte es von einer zufriedenen Patientin geschenkt bekommen – zum Grauen von Ruth Wissmath. »Zwischen den Behandlungen kam er rüber in unser Wohnzimmer und schaltete das Gerät ein. Da habe ich gesagt: Das Ding kommt sofort wieder weg«, erinnert sie sich. Sie selbst hätte ihr ganzes Leben lang keine Zeit gehabt, fernzusehen, und das sei auch heute noch nicht anders.
»Hier, das ist mein Fernseher«, sagt sie und deutet auf die große Glasfront in ihrem Wohnzimmer, die den Blick wie eine Mattscheibe anzieht, ihn aber in einen großen Garten lenkt. Dort hinter ihrem Reihenhäuschen in der Nürnberger Südstadt stehen im Sommer die zehn Jahre alten Geranien, eine zählte heuer stolze 13 Blüten, und ihre Pflege ist Ruth Wissmaths ganze Leidenschaft. Wenn die Arbeit im Spätherbst weniger wird, hat Ruth Wissmath immer noch keine Zeit zum Fernsehen, dafür aber für die Musik. Sonntags singt sie mit ihrem Nachbarn, einem ehemaligen Opernsänger, »den ganzen Nachmittag durch«.
Vier Opern inszeniert
Statt des Konsums bewegter Bilder hat Ruth Wissmath ihre Abende in den vergangenen Jahrzehnten der Produktion von echten Kunststücken verschrieben: Sie hat nicht nur vier kleine Opern inszeniert und dafür Bühnenbild und Kostüme gefertigt, sondern zahllose Kinderbücher für ihre Söhne geschrieben und illustriert. Diesen reichen Schatz hegt und pflegt die vielseitig begabte Dame nun – wenn sie nicht endlich all die Bücher liest, die sie in vielen Jahren angeschafft hat, um sich ihnen zu widmen, wenn sie endlich Zeit hat. Bewegte Bilder dagegen sind ihr einfach nach wie vor suspekt, »das flimmert und ist dann gleich wieder weg, da bleibt nichts hängen«, sagt sie.
Die Tatsache, dass die meisten ihrer Altersgenossen dies ganz anders sehen, zeigt: Leben lässt es sich in jedem Alter mit oder ohne Fernseher. Und was von beidem nun besser ist, bleibt Ansichtssache. Da kann man es mit Dieter Hildebrandt halten (»Bildung kommt von Bildschirm und nicht von Buch, sonst hieße es ja Buchung.«) oder mit Hans-Joachim Kulenkampff: »Die Leute sind gar nicht so dumm, wie wir sie durchs Fernsehen noch machen werden.«
Alexandra Buba

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Skip to content