Ein Sturz ist schnell passiert: am Badewannenrand hängengeblieben, nach dem Duschen auf den nassen Fliesen ausgerutscht, über die Teppichkante gestolpert: Verletzungen oder Knochenbrüche sind nicht selten die Folge – und insbesondere für Senioren eine unter Umständen sogar lebensbedrohliche Angelegenheit.
Denn anders als jüngere Menschen benötigen sie nach solchen Unfällen eine spezielle medizinische Behandlung, die von Ärztinnen und Ärzten entsprechendes Know-how erfordert. Die sogenannte Alterstraumatologie als Teilbereich der Unfallchirurgie kümmert sich genau um solche Verletzungen und Wunden im Alter, und zwar in enger Zusammenarbeit mit verschiedenen anderen medizinischen Disziplinen.
Ein Sturz führt bei Älteren schnell zu einem Bruch
»Verletzungen bei älteren Menschen erfordern ganz andere, komplexere Versorgungsstrukturen als die gleichen Verletzungen bei Jüngeren«, verdeutlicht Privatdozent Dr. Andreas Mauerer, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Krankenhaus Martha-Maria St. Theresien in Nürnberg. Das liegt zum Beispiel daran, dass altersbedingt die Qualität der Knochenmasse nachlässt. Ein Sturz, den Jüngere ohne größere Blessuren wegstecken, führt bei Älteren schnell zu einem Bruch.
Als erstes entscheiden die Chirurgen, ob die Verletzung konservativ behandelt werden kann oder eine Operation nötig wird. »Es hängt vom Bruch ab, aber natürlich auch vom Allgemeinzustand des Patienten.« Kommt es zu einer Operation, müssen die Ärzte in jedem Einzelfall prüfen, ob und welche Platten, Schrauben oder Drähte sie verwenden können. »Bei einem hüftgelenksnahen Bruch etwa braucht ein 80-Jähriger sehr wahrscheinlich einen Gelenkersatz, während wir das bei einem 50-Jährigen gelenkerhaltend operieren können«, meint Mauerer.
Dazu kommen noch die Begleiterkrankungen der Verletzten. Osteoporose, Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen, Mangelernährung oder auch neurologische Erkrankungen wie Parkinson sorgen nicht nur für ein erhöhtes Sturzrisiko, sie müssen auch bei der Behandlung von den Spezialisten der Alterstraumatologie berücksichtigt werden. Deshalb ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit so wichtig,
Eine umgehende Mobilisierung steht auf der Prioritätenliste ganz oben. Denn mit jedem Tag im Bett verlieren über 80-Jährige verhältnismäßig viel ihrer Muskelmasse, die nur sehr langsam wieder aufgebaut werden kann. Mauerer: »Wenn möglich, verlegen wir die Patienten schon nach ein oder zwei Tagen in die Akut-Geriatrie unserer Klinik.«
Wie soll es weitergehen?
Physio- oder Ergotherapeuten werden ebenso ins Boot geholt wie das Team des Sozialdienstes. Denn es gilt schnell zu klären, wie es für den Patienten anschließend weitergeht. Profitiert er von der geriatrischen Reha, die ebenfalls in der Klinik angesiedelt ist? Braucht er anschließend dauerhaft oder zeitweise Hilfe daheim oder steht ein Wechsel in eine Pflegeeinrichtung an?
Manche betagte Betroffene, die sich die Schulter, das Becken, das Handgelenk oder auch Wirbelkörper gebrochen haben, unterschätzen die Konsequenzen. Sie hoffen, dass sie etwa mit einem neuen Hüftgelenk ihren Rollator nicht mehr brauchen. Doch maximal lässt sich nur der Zustand erreichen, wie er vor dem Unfall war. »Auch die Fünf-Jahres-Überlebensrate kann bei Sturzopfern geringer sein als bei Patienten mit bestimmten Krebserkrankungen«, gibt der Unfallchirurg zu bedenken. Bei hüftgelenksnahen Brüchen wie einem Oberschenkelhalsbruch versterben rund zehn Prozent der Betroffenen innerhalb der ersten 30 Tage. Oft liegt das an einer Thrombose oder einer Lungenentzündung. 20 Prozent verlieren nach dem Klinikaufenthalt ihre Selbstständigkeit.
Richtig hinfallen kann man lernen
Die Menschen werden immer älter, damit nehmen auch Stürze und Unfälle zu. Eine Erhebung des Bundesgesundheitsministeriums besagt, dass ein Drittel aller über 65-Jährigen einmal pro Jahr zuhause stürzt. Dabei könnte jeder selbst etwas tun, um Stürze mit schlimmeren Folgen zu vermeiden. Regelmäßige Bewegung, aber auch eine ausgewogene Ernährung helfen, die Muskelmasse zu erhalten. In der geriatrischen Reha lernen die Patienten kleine Übungsprogramme, die sie zuhause fortführen können. Damit wird die Muskelkraft gestärkt, die Balance geschult und das Reaktionsvermögen trainiert. Auch manche Sportvereine vermitteln in Prophylaxe-Kursen, wie man Stürze vermeidet oder »richtig« hinfällt.
Über ein barrierefreies Zuhause sollte man sich aber auch schon in jüngeren Jahren Gedanken machen. Mauerer hat mit Blick auf seine Patientinnen und Patienten den »Klassiker« vor Augen: Das schmale Reihenhaus aus den 70er Jahren mit einer steilen Treppe, der Küche im Erdgeschoss, der Toilette im ersten Stock und dem Schlafzimmer ganz oben. Aber wer denkt beim Einzug schon daran, wie gefährlich Wohnen im Alter werden kann – und wie ungern man sich von seinem gewohnten Zuhause trennt?
Text: Karin Winkler
Foto: Krankenhaus Martha-Maria St. Theresien