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TSV-Gehfußballer sind Flachpasszauberer

Ein starkes Team: Die Gehfußballer vom TSV 1848 Schwabach halten nicht nur auf dem Rasen zusammen.

Total schön ist das, wie früher, als wir junge Fußballspieler waren.« Paul Winkler ist noch ganz verschwitzt, als er strahlend seinen »Jungbrunnen« verlässt, ein etwa 40 mal 20 Meter großes Rasenstück. Dort hat er zusammen mit anderen Senioren wieder eine knappe Stunde lang seinen Lieblingssport ausgeübt, aber so, wie es dem Alter entspricht. »Viel Spaß, kein Stress, und es geht nicht auf die Knochen«, bestätigt Winklers Mitspieler Richard Garhammer.

Geh-Fußball heißt diese Variante. Sie kam, wie sollte es anders sein, aus England nach Deutschland, als »Walking Football«. In Bayern hatte sie der 1. FCN als erster entdeckt. Ein Team des Bayerischen Rundfunks schaute sich ein Spiel an und berichtete im Februar 2022 in der Frankenschau darüber. Jochen Kleinhenz, Rentner aus Schwabach und Mitglied des Sportvereins TSV 1848, sah die Sendung und dachte spontan: »Was der Glubb kann, das kann mein Verein sicher auch.« 

Seit mehr als 30 Jahren erstmals wieder am Ball

Zweikämpfe sind eher die Ausnahme. Das Verletzungsrisiko ist im Gehfußball minimal.

Er konnte. Zusammen mit ein paar Vereinskameraden suchte Kleinhenz eine Mannschaft zusammen und rekrutierte, weil es für das Minimum von acht Mann noch nicht reichte, »drei oder vier Haudegen« vom benachbarten SV Penzendorf. Ein Mitstreiter »verkaufte die Idee beim Vorstand ideal«, lobt Kleinhenz, und so konnte am 12. April das erste Trainingsspiel auf einem Platz des TSV 1848 beginnen. »An diesem Tag habe ich zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren wieder an einen Ball hingehauen«,  sagt er. »Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich mit 68 überhaupt noch einen sauberen Doppelpass spielen kann.«

Etliche aus dem Rentner-Team waren nicht mehr so richtig im Training, andere hatten schon bei den Alten Herren gespielt, aber beim Geh-Fußball seien die Bewegungsabläufe ohnehin ganz anders, betont Kleinhenz. Und so ging es anfangs zwar nicht auf, aber gehörig in die Knochen. Nach dem ersten Spiel sei er selbst völlig platt gewesen und habe erst einmal zwei Stunden Schlaf gebraucht.

Jeden Dienstag wird trainiert

Mittlerweile haben die Schwabacher Geh-Fußballer, allesamt Rentner, keine Nachwuchssorgen mehr. Die Teams sind fit, auch wenn es manchmal hier und da ein wenig zwickt. Jeden Dienstag wird trainiert, sofern das Wetter mitmacht, im Winter soll es in der Halle weitergehen. Ein Spiel dauert vier mal zehn Minuten, mit je fünf Minuten Pause. Die Größe der Teams ist variabel, je sechs Mann sollten es sein, fünf sind auch gut, vier das Minimum. Einen Torhüter gibt es nicht, der fünf mal einen Meter große Torraum darf nicht betreten werden. Bisher treten die Schwabacher in ihren Spielen nur gegeneinander an. Aber sie haben freilich auch einen richtigen Gegener im Auge: die Geh-Fußballer vom 1. FC Nürnberg, bei denen auch bekannte ehemalige Profis mitspielen. 

Wer zum ersten Mal bei einem Trainingsspiel zuschaut, erkennt sofort, was mit »anderen Bewegungsabläufen« gemeint ist. Denn Geh-Fußball ist wörtlich zu nehmen: Laufen ist verboten, es muss – wie bei der Leichtathletik-Sportart Gehen – immer ein Fuß Kontakt mit dem Boden haben. Das sieht auf den ersten Blick etwas ungelenk aus. Aber man merkt auch schnell, dass es nicht so sehr auf die Schnelligkeit ankommt, sondern auf die Ballbehandlung und das kluge Stellungsspiel. »Ein tolles Gefühl, wenn der Ball nach so langer Zeit immer noch da ankommt, wo er hin soll«, sagt Kleinhenz. Den Begriff »Walking Football« mag er übrigens nicht besonders, weil es ein besseres deutsches Wort gibt und sich für ihn »Football« mit der sehr rauen amerikanischen Sportart verbindet, die absolut nichts mit Geh-Fußball zu tun hat, »auch nicht mit Fußball, denn das heißt in den USA soccer«.

Wer läuft, kassiert einen Pfiff

»Es ist anfangs wirklich schwer, dem Ball nicht nachzulaufen«, gibt Mitspieler Friedrich Kehrstephan zu, »aber dann geht es immer besser, und das ist ja auch für unser Alter ganz gut«. Wer dennoch läuft statt zu gehen, kassiert einen Pfiff des Schiedsrichters: Freistoß für den Gegner. Den gibt es auch, wenn eine weitere Regel nicht beachtet wird, die man in allen Lebensbereichen empfehlen könnte: Den Ball flach halten. »Wir sind«, sagt Kleinhenz, »jetzt schon Flachpass-Zauberer«. Fliegt die Kugel über einen Meter hoch, ist ein Freistoß fällig. Verboten sind auch körperliche Kontakte und erst recht das Reingrätschen. Grobe Fouls und eine Reihe anderer Unsportlichkeiten, aber auch das Betreten des Torraums, muss der Schiedsrichter mit einem Strafstoß ahnden – der von der Mittellinie aus aufs leere Tor ausgeführt wird. 

Klare Regeln, betont Jochen Kleinhenz, seien ein Garant dafür, dass es auf dem Rasen keinen Streit gibt, außerdem komme ja der Schiedsrichter aus den Reihen der Mitspieler, da geht Mannschaftsgeist vor enger Auslegung. Die Regeln sollen jedenfalls laufend aktualisiert und zum Beispiel gemeinsam mit dem 1. FCN-Team standardisiert werden – man lernt aus den praktischen Erfahrungen. Denn an oberster Stelle steht neben der sportlichen Betätigung der Spaß. 

Eine gesellige Truppe

Das merkt man den zwölf Spielern an, wenn sie nach den 40 Minuten Geh-Fußball verschwitzt an den Spielfeldrand kommen und sich anschließend noch im Vereinsheim zusammensetzen. Da wird nicht über individuelle Fehler und den Spielverlauf diskutiert, sondern eher darüber, wo man gute Fußballschuhe günstig bekommt. Das ist nicht leicht, denn alle haben festgestellt, dass die gängigen Modelle für ihre Füße zu schmal sind. »Uns fehlt einfach ein Sponsor«, meint einer unter viel Gelächter. »Wir haben eine sehr gute Kameradschaft«,  sagt Kleinhenz. »Wir sind eine gesellige Truppe, uns geht es um die sozialen Kontakte, nicht um Sieg oder Niederlage.« Wie ist eigentlich das Spiel an diesem Tag ausgegangen? »Fragen Sie den Schiedsrichter, der muss das wissen«, meint einer der Spieler. »Ich glaube, es war 11:8«, sagt ein anderer. Für wen? »Ist doch egal»«, denn wie auch immer: »Wir haben gewonnen.« 

Text: Herbert Fuehr
Fotos: Salvatore Giurdanella

Info: Der Link zum Video, das die Initialzündung für die Gründung der Schwabacher Flachpass-Zauberer gab: www.br.de/nachrichten/sport/walking-football-fussball-in-einer-anderen-gangart,Sy6QiaC

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