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Neuanfang der Enkel wegen

Den Wabureks ist es wichtig, idabei zu sein, wen ihre Enkel groß werden. Foto: Cindric
Den Wabureks ist es wichtig, idabei zu sein, wen ihre Enkel groß werden. Foto: Cindric

Sohn oder Tochter sind schon seit Jahren aus dem Haus, haben sich irgendwo in der Ferne niedergelassen, eine Familie gegründet. Jetzt fragen sich viele Ältere: »Soll ich
meinen Kindern hinterherziehen?« Ein großer Schritt, der Zweifel weckt: Den eigenen Freundeskreis aufgeben und in einer anderen Stadt nochmal ganz neu anfangen. Manche gehen das Wagnis ein – andere entscheiden sich bewusst dagegen. Evelyn und Horst Beer* haben das verwirklicht, wovon viele alte Eltern träumen: Sie sind den Kindern mit Sack und Pack gefolgt. »Wir sind Familienmenschen«, beteuern die frischgebackenen Mittelfranken. Als das Ehepaar noch in Rheinland-Pfalz lebte, trafen sie sich mit ihren Jungen etwa vier Mal im Jahr. »Aber das war zu wenig! Vor  allem, weil die Enkelkinder noch klein sind. Die Zeit reichte nicht, um eine Beziehung aufzubauen. Unser Fynn wurde im Frühjahr vier und Frida ist noch nicht mal ein Jahr alt«, erzählen die Beers. Kaum war die gelernte Bankkauffrau Evelyn Beer im Vorruhestand, gab es kein Halten mehr. »Wenn die Kinder den Schritt nicht befürwortet hätten«, sagt Horst Beer, »hätten wir den Umzug mit Sicherheit bleiben lassen.«
Vor allem für ihn bedeutet der Umzug eine Mehrbelastung: Er ist als technischer Beamter beim Amt für Bundeseisenbahnvermögen (BEV) nach wie vor im Dienst. Sein Arbeitsplatz befindet sich aber in Mannheim, jetzt muss er pendeln, Woche für Woche und noch über Jahre hinweg. Seit 38 Jahren sind die Beers verheiratet, nun führen sie eine Wochenendehe. Gerade hat Horst Beer den Mietvertrag für eine kleine Wohnung in Mannheim unterschrieben, die er fortan von Montag bis Freitag bewohnt. Finanziell rechne sich das nicht, räumt er ein, und einsam sei er auch unter der Woche. Trotzdem sei die Entscheidung richtig gewesen. »Was hat man noch im Alter? Man hat alleserlebt. Man besitzt alles, was man braucht. Da muss man sich doch fragen: Wie wird man glücklich? Und die Antwort lautet: durch Kinder.« So sieht es Horst Beer.  »Wir sind nicht deshalb hergezogen, weil wir die Hoffnung haben, später gepflegt zu werden«, beteuert das Ehepaar. Ihr Haus in Baiersdorf im Landkreis Erlangen-Höchstadt ist gemietet. »Vielleicht ziehen wir sogar noch einmal um?«, überlegen die beiden laut. Berlin reizt sie sehr. »Aber jetzt sind wir erstmal hier. Und hier bleiben wir, solange die Kinder uns brauchen.« Im Moment ist die Schwiegertochter zwar noch bei den Kindern zu Hause, aber im Herbst will sie das unterbrochene Referendariat wieder aufnehmen. »Dann sollen die Kleinen nicht schon um sechs Uhr aus dem Schlaf gerissen werden«, findet die Oma. Nur wie oft sie ihre Enkel betreuen wird, an wie vielen Tagen pro Woche und für wie lange, das weiß sie noch nicht. Für die Großeltern von Fynn und Frida steht aber fest: »Ein eigenes Leben sollte man schon haben!«
Wir gehen uns nicht auf die Nerven. Das Experiment ist geglückt«, sagt fröhlich die vom Niederrhein stammende Hilde Prümm. Die 78-Jährige ist ihrer einzigen Tochter Barbara hinterhergezogen. Das war vor fünf Jahren. Seither lebt die ehemalige Verwaltungsangestellte und zweifache Großmutter in Nürnberg-Langwasser. »Ich bin inzwischen wirklich angekommen«, beteuert sie. Leicht war das nicht. Hilde Prümm war in Wesel zuhause. Dort war sie verwurzelt. »74 Jahre habe ich am selben Ort gelebt«,erzählt sie. »Ich hatte viele Freunde, erinnert sie sich. Auch von ihrer Schwester hat Hilde Prümm damals Abschied nehmen müssen. »Eigentlich hatte meine Tochter die Idee. Sie hatte schon lange damit geliebäugelt, dass ich zur ihr komme. Bis zu sechs Mal im Jahr habe ich Barbara, meinen Schwiegersohn Stephan und meine Enkel immer besucht. Auch, um mich nützlich zu machen.« Ihre Tochter habe sie nie gedrängt, den letzten Schritt auch noch zu tun und ganz umzuziehen. »Das sollte ich selbst entscheiden.« Eines Tages ging es nicht mehr anders. Hilde Prümm brach sich einen Lendenwirbel. Die Treppen zu ihrer Wohnung im dritten Stock konnte sie nicht mehr hochsteigen. Die 580 Kilometer weite Reise bis Nürnberg war ihr zu beschwerlich geworden. In der neuen Heimat wartete auf Hilde Prümm eine behindertengerecht gestaltete
Eigentumswohnung. »Die hatten meine Kinder für mich gekauft«, berichtet sie. Ins Haus der Tochter hätte sie nicht einziehen können. Allein schon wegen der Treppendort kam das nicht infrage. Heute ist Hilde Prümm wieder ganz gut auf den Beinen. Zwei Mal wöchentlich fährt sie hinüber nach Thon zu Kindern und Enkeln. »Es ist nicht so, dass ich mich nicht beschäftigen könnte. Ich lese zum Beispiel sehr gern«, stellt sie klar. Aber ebenso gern bekocht sie auch die Enkel Niklas und Matthias, inzwischen junge Männer von 19 und 14 Jahren. Hilde Prümm selbst sieht es so: »Ich habe noch eine Aufgabe! Und wenn ich Hilfe brauche, stehen die Kinder bei mir auf der Matte.«
Soweit ist Britta Heger* noch nicht. Obwohl die Nürnbergerin eigentlich längst in Italien sein wollte, dort, wo die Tochter im Süden lebt, wo später dann die Enkelin geboren wurde, die nun schon selbst Kinder hat. »Es war immer so geplant«, berichtet die attraktive Urgroßmutter, »mein Mann und ich wollten beide den Kindern hinterherziehen. Aber es hat nicht geklappt.« Britta Heger brachte es nicht übers Herz, ihre 90-jährige Mutter allein zu lassen. Dann starb plötzlich ihr Ehemann. Viel Wasser ist inzwischen die Pegnitz hinabgeflossen. Italienisch spricht Britta Heger immer noch fließend, aber einiges sieht sie jetzt anders. »In Italien wäre ich die reinste Haushälterin. Ich müsste täglich kochen und mich um vier kleine Kinder kümmern. Das wäre sehr anstrengend. Natürlich ersetzt ein Au-pair-Mädchen keine Urgroßmutter, und natürlich plagen mich manchmal Schuldgefühle, aber hier führe ich so ein schönes Leben!« »Schön« bedeutet im Klartext: wöchentliches ehrenamtliches Engagement in mehreren Einrichtungen und Vereinen, neues Glück mit einem neuen Lebenspartner, viele Freundinnen, der Italienischkurs unter eigener Leitung sowie ein gerade frisch aus der Taufe gehobener Literaturzirkel. »All das müsste ich im Fall des Falles aufgeben«, sagt die 77-Jährige. Von ihrer Tochter, ihrem einzigen Kind, spricht sie voller Liebe. »Wir haben ein wunderbares Verhältnis! Ich mische mich allerdings auch in nichts ein. Aber wenn ich für immer dort wäre, würde ich schon einiges ändern wollen«, glaubt Britta Heger und fragt sich: »Was würde dann aus unserer Beziehung?« Sie sei, fasst sie zusammen, gespalten. »Mal will ich fort, mal nicht.« Daher hält Britta Heger es klugerweise wie gehabt: »Wenn mich die Sehnsucht packt, fahre ich einfach hin.«
Eigentlich war ich heilfroh, dass Mutter so weit weg war«, bekennt Elfi Schwarz*, »denn unser Verhältnis war nie besonders gut«. »Eine betrübliche Wahrheit«, räumt die 75-jährige Nürnbergerin ein, »aber man muss es realistisch sehen.« Wäre der Umzug der Mutter tatsächlich wie geplant vonstatten gegangen, hätte sie ihre alte Mutter, die zum Schluss dement geworden war, jeden Tag besucht. Aus purem Pflichtgefühl. So aber  habe sie »nur« mit ihrem schlechten Gewissen zurechtkommen müssen. Die gelernte Buchhändlerin, deren Mutter inzwischen gestorben ist, erinnert sich: »Wir hatten hier schon Einzimmerwohnungen angeschaut, aber letztlich hat sich Mutter dagegen entschieden. Sie wollte lieber im Rheinland bleiben. Wohnlich hatte sie sich bereits verkleinert, nachdem sie verwitwet war.« Damals fuhr Elfi Schwarz etwa zwei bis drei Mal im Jahr ins Rheinland. Das änderte sich jäh, als sich der Gesundheitszustand der Mutter drastisch verschlechterte, was
immer neue Krankenhausaufenthalte nach sich zog. »In Mutters letzten Lebensjahren habe ich immer auf gepackten Koffern gesessen, es war eine sehr unruhige Zeit«, berichtet Elfi Schwarz. Im Übrigen ist sie der Überzeugung, dass man alte Menschen genauso wie alte Bäume nicht verpflanzen soll. Und falls doch, dann nicht ohne vorherige klare Absprachen. Aus Erfahrung warnt sie jedoch vor die Kehrseite der Medaille: »Wenn du sagst, was du sagen willst, wirst du für herzlos gehalten.«
Text: Ute Fürböter
Foto: Mile Cindric
*Namen von der Redaktion geändert
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