
Der grausame Tod von Carla hat Wilfried Dietsch am nachhaltigsten berührt: Das 12-jährige Mädchen war am 22. Januar 1998 im Fürther Landkreis von einem Mann sexuell missbraucht und dann bewusstlos in einen Teich geworfen worden, in dem es ertrunken ist. »Wenn Menschen bei einem Gewaltverbrechen sterben, bewegt einen das immer. Aber wenn das einzige Kind einer alleinerziehenden Mutter auf dem Weg zur Schule getötet wird, macht das auch einen Profi wie mich besonders betroffen«, sagt der 79-jährige Fürther, der damals Chef der Fürther Polizei war.
Bis zur Aufklärung habe er keine einzige Nacht mehr durchgeschlafen. Er war deshalb für den reibungslosen Einsatz der 80-köpfigen »Soko Carla«, in der Mordermittler aller bayerischen Polizeipräsidien mitwirkten, verantwortlich. Alle Beteiligten absolvierten bis zur Aufklärung des Verbrechens 12.000 Überstunden und überprüften 13.000 Hinweise – darunter auch drei Zigarettenstummel, die die Spurensicherung 150 Meter vom Fundort in Wilhermsdorf entdeckt hatte.
Er muss jedes Mal an Carlas Schicksal denken
Unter anderem mit den daran gefundenen frischen DNA-Spuren konnte man den Täter überführen, einen 29-jährigen Fenstermonteur aus dem Ort. Der Mann hat nie ein Geständnis abgelegt, wurde aber aufgrund der starken Indizien verurteilt. Jedes Mal, wenn Dietsch an der Stelle vorbeifährt, an der Carla ihr Leben verloren hat, muss er an ihr Schicksal denken.
Als Wilfried Dietsch 2006 nach 40 Jahren Dienstjahren in Pension ging, ließen ihn das Thema Polizei, ihre Geschichte und Ermittlungsarbeit sowie die spektakulärsten Fälle in seiner Heimatstadt nicht los. Das mag auch daran liegen, dass es in seiner Familie wohl eine Art »Ordnungshüter-Gen« gibt. Sein Vater war bereits Polizist, sein Bruder war im Strafvollzug tätig und sein Sohn ist heute Leiter der Fürther Kriminalpolizei. So wurde Wilfried Dietsch eine treibende Kraft bei der Gründung des Fürther Kriminalmuseums vor 15 Jahren. Bis heute ist er – unterstützt von der städtischen Touristeninformation – für den laufenden Betrieb zuständig. Die Einrichtung ist einmalig in der Region, in Rothenburg gibt es zwar ebenfalls ein Kriminalmuseum, dieses ist aber auf das Mittelalter beschränkt. Zuerst war Dietsch aber skeptisch.
Start im ehemaligen Luftschutzkeller
»Als Stephan Popp, der Direktor des Fürther Amtsgerichts, ein Kriminalmuseum ins Leben rufen wollte, habe ich das erst als fixe Idee abgetan. Dann nahm das Ganze aber doch rasch Gestalt an«, erzählt Dietsch. Man gründete einen Trägerverein und fand ein Domizil im Keller des im klassizistischen Stil erbauten Rathauses – dabei handelte es sich um einen ehemaligen Luftschutzkeller – »und genau so sah es dort damals auch aus«, sagt Wilfried Dietsch lachend. »Es gab keine Beleuchtung, die Wände waren schwarz.«
Ohne Geld, aber mit viel Engagement haben die Initiatoren Ausstellungsräume daraus gemacht. Man trug Abzeichen und Urkunden, Waffen und historische Fotos sowie viele andere Exponate zusammen – auch Dietschs alter Gummi-Knüppel, der zur Ausrüstung jedes Polizisten gehört, ist darunter. Er ist unverkennbar – er hat nämlich von einem Einsatz eine Kerbe am Schaft.
Stadtpolizisten mit Armbinde und Holzknüppel
Hier im Untergeschoß wird heute die Geschichte der Fürther Polizei erzählt und auf Infotafeln erläutert. Ihre Anfänge gehen ins späte 18. Jahrhundert zurück. Zu Napoleons Zeiten gab es im sogenannten Ansbacher Amtshaus erstmals eine Institution, die Polizeicharakter hatte. »Vorher kannte man in der Stadt nur Nachtwächter, die für ein gewisses Maß an Sicherheit sorgten. Sie patrouillierten durch die Straßen, um Gewalttaten, Plünderungen sowie Brände zu verhindern«, so Dietsch. Im 19. Jahrhundert gab es eine kommunale Polizei, bis 1921 das Staatspolizeiamt Nürnberg Fürth entstand, nach der Machtergreifung Hitlers wurde dieses in die Reichspolizei eingegliedert.
Als die US-Army am 19. April 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg in Fürth einmarschierte, wurden die mit dem Nationalsozialismus verflochtenen Strukturen aufgelöst, die Polizisten festgenommen und einige in Internierungslager gebracht. In Städten mit mehr als 5000 Einwohnern erlaubte die amerikanische Militärregierung jedoch bald wieder kommunale Dienststellen. So wurden auch in Fürth die ersten »Stadtpolizisten« mit Armbinde und Holzknüppel ausgestattet. Sie seien quasi von der Straße »weggefangen« worden, so Dietsch, »es gab ja kaum Männer – die meisten waren gefallen, verwundet oder saßen in Kriegsgefangenschaft«. Die Hilfskräfte waren meist Handwerker oder hatten in der Rüstungsindustrie gearbeitet, nun sollten sie die Strafverfolgung übernehmen.
Mit dem VW-Käfer zum Einsatz
Sie wurden geschult. Bald waren 250 städtische Polizisten im Dienst, wenig später waren es 350. Wilfried Dietsch war seit den 1960er Jahren einer von ihnen. Ihre Ausrüstung war sehr bescheiden. Wenn die Ordnungshüter von unterwegs Kollegen alarmieren wollten, hatten sie »nur ein paar Zehnerle in der Hosentasche«, um von einer Telefonzelle aus in der Wache anzurufen. »Erst Anfang der 1970er Jahre bekamen wir Funkgeräte«, erinnert sich der Fürther. Zum Einsatzort seien sie mit einem VW-Käfer gekommen, die Kollegen aus Nürnberg fuhren mit einem stattlichen Opel Kapitän vor. »Um einen Tatverdächtigen ins Fahrzeug zu verfrachten, mussten wir erst einen Sitz unseres Zweitürers nach vorne klappen. Das war erniedrigend.«
1974 wurde die Polizei verstaatlicht, im Rathauskeller zeugen noch viele nostalgische Fotos von der Zeit davor. Unter den Besuchern des Museums sind oft auch angehende Polizisten und Polizistinnen oder Ordnungshüter aus anderen Städten, für die Dietsch persönliche Führungen macht. Auch Schulklassen sind sehr willkommen, schließlich hat sich die Einrichtung der Aufklärung verschrieben.
Man beteiligt sich zudem an einem Projekt zur Kriminalprävention des »Staatlichen Beruflichen Schulzentrums Ansbach-Triesdorf«. An der Schule sind 42 Nationen in 14 Klassen vertreten. Es geht darum, die Integration in die Gesellschaft zu fördern und über demokratische Grundwerte des Rechtsstaats zu informieren.
Ein Drogenlabor und ein Tatort
In Vitrinen und bei Führungen wird zum Beispiel thematisiert, welche Parolen und Abzeichen gesetzeswidrig sind. Vielen, so der Polizist a. D., sei gar nicht bewusst, dass Sticker mit der Aufschrift »Unsere Ehre heißt Treue« ganz und gar nicht als Bekenntnis für einen Fußballverein geeignet sind. Das war einst der Wahlspruch der Waffen-SS, der heute verboten ist.
Neben einem »Drogenlabor« ist auch ein »Tatort« mit einem von der Visagistin des Fürther Stadttheaters präparierten Opfer und einem Spurenkoffer nachgestellt. Letzterer sei allerdings nicht mehr ganz »up to date«, räumt Dietsch ein. »Die Leute von der Spurensicherung fahren inzwischen mit einem rollenden Labor vor.«
In den verschiedenen Räumen gibt es immer wieder Neues zu entdecken, so etwa eine leuchtend türkise Uniform von 1972. Sie war für Polizisten entworfen worden, die bei der Olympiade in München im Einsatz waren. Man setzte auf fröhliche Farben, um sich von den – durch den Nationalsozialismus vereinnahmten – olympischen Spielen 1936 abzuheben.
Kultursendungen und Reiseberichte sind ihm lieber
Natürlich werden auch die spektakulärsten Kriminalfälle aus Fürth und Umgebung auf Schautafeln thematisiert. In seiner Zeit als Polizeichef in der Kleeblattstadt hatte es Dietsch mit so vielen Tötungsdelikten zu tun wie keiner zuvor oder danach. Ein Mann brachte im Fürther Westen seine Partnerin um, eine Mutter im Norden der Stadt ihr Kind, bevor sie sich ihre Pulsadern aufschnitt, drei Männer töteten brutal einen Taxifahrer und in Zirndorf richtete ein Vater seine Familie hin. Auch andere erschreckende Morde werden hier ausführlich dokumentiert. Heute gilt Fürth jedoch als eine der sichersten Großstädte Deutschlands.
Krimis im Fernsehen schaut Dietsch, abgesehen vom Frankentatort, nicht an – vor allem, weil er sich jedes Mal ärgert, wenn die fiktiven Ermittlungen mit der Realität bei der Polizei rein gar nichts zu tun haben. Er ist mehr für ein unblutiges Programm zu gewinnen. »Kultursendungen und Reiseberichte sind mir lieber als Geschichten über Verbrechen.«
Text: Alexandra Voigt
Fotos: Claus Felix

Information
Das Kriminalmuseum Fürth ist immer sonntags geöffnet (April bis September: 13 – 18 Uhr und Oktober bis März: 13 –17 Uhr). Der Eingang befindet sich an der Ecke Brandenburger/Ludwig-Erhard-Straße. In dem Gewölbekeller des Fürther Rathauses hält Wilfried Dietsch auch Vorträge zur Polizeigeschichte sowie Krimilesungen. Kontakt, Informationen und Termine unter www.kriminalmuseum-fuerth.de.





Eine Antwort
Hach, das Kriminalmuseum in Fürth! Ein wirklich einzigartiges Schauspiel. Man stößt ja auf die vergessenen Tage der Stadtpolizei, als die Männer mit Holzknüppeln und VW-Käfern unterwegs waren – eine Zeit, die man fast romantisch verklären könnte, wenn es nicht so ernst gewesen wäre. Wilfried Dietsch mit seinem markanten Knüppel, der Kerbe am Schaft – das ist ja fast schon eine Ikone! Und das Museum selbst, im klassizistischen Rathauskeller, erinnert an eine Zeit, als es keine Beleuchtung gab und man schwarz auf weiß die Geschichte der Polizei nachlesen musste. Manchmal frage ich mich, ob das Museum nicht auch eine Art Kriminalprävention durch Humor leistet, denn wer will schon als Tatverdächtiger im Käfer landen? Aber gut, dass es solche Orte gibt, wo man lacht und lernt – und vielleicht vermeidet, dass man selbst mal mit einem Zehnerle in der Hosentasche erwischt wird.