Große und kleine Käfer, Heuschrecken, Motten, Tausendfüßer aus Papier und Pappe bevölkern nicht nur das Treppenhaus, sie begleiten die Besucher durch nahezu alle Räume des Kulturbahnhofs Ottensoos. Sie stehen in der neuen Kunstausstellung des Museums beispielhaft für die Gefährdung unserer Umwelt. Die Insekten lenken den Blick auf die Vielfalt der Schöpfung und machen deutlich, wie wichtig es ist, das Artensterben aufzuhalten. Die Künstlerin Renate Kirchhof-Stahlmann hat die vielbeinigen Protagonisten der Schau mit dem Titel »Ist’s vorbei mit der Käferkrabbelei?« erschaffen. »Insekten sind zwar die größte und vielgestaltigste Gruppe im Tierreich, gleichzeitig aber auch die am meisten gefährdete«, sagt sie mit Blick auf mehrere Studien, die den dramatischen Rückgang der Fluginsekten von 80 Prozent seit 1989 belegen.
»Das ist eine alarmierende Entwicklung, die durch den Zusammenbruch der Nahrungsketten die Artenvielfalt im gesamten Tierreich bedroht, am Ende auch die Ernährungsgrundlage für die Menschen«, sagt die Künstlerin, die auch mit 81 Jahren noch große Schaffenskraft und Energie ausstrahlt. Sie und ihr Mann Volker Stahlmann, der bis 2007 als Professor an der Fakultät Betriebswirtschaft an der Technischen Hochschule Georg Simon Ohm in Nürnberg lehrte, werben für den Schutz der Natur und unserer Lebensgrundlagen. Die Kunst fungiert dabei als Brücke. Ganz im Sinne der Nachhaltigkeit sind Käfer und Co. in der Ausstellung aus Papier- und Kartonresten oder alten Pet-Flaschen konstruiert. Renate Kirchhof-Stahlmann war es wichtig, auf keinen Fall neues Material zu verbrauchen. Schon seit 1980 beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Umwelt, in letzter Zeit baut sie Ihre Objekte in der Tradition der »arte povera« (Kunst mit einfachen Materialien wie Erde und Steine) vor allem aus Fundstücken – unter anderem auch aus Tierknochen und einem Hornissennest.
Die Kostbarkeiten der Umwelt schätzen lernen
Man kann entdecken und staunen, was daraus alles entstehen kann: So gibt es den »Baum des Lebens«, der viele Geschöpfe beherbergt und unbedingt bewahrt werden muss. Oder ein »Memento Mori« (Bedenke, dass Du sterblich bist) für die bereits ausgestorbenen Tier- und Pflanzenarten. »Man muss die Menschen auf der emotionalen Ebene für den Klima- und Artenschutz gewinnen, die entscheidend für das Überleben der Menschheit sind. Auf der intellektuellen Ebene nehmen sie es zwar auf, vergessen es aber ebenso schnell wieder«, sagt die Künstlerin, die an den Akademien in Nürnberg und München Malerei studiert hat, lange als Kunsterzieherin, in der Erwachsenenbildung und freischaffend tätig war. In der Ausstellung im Nürnberger Land sind viele Zeichnungen von Renate Kirchhof-Stahlmann zu sehen, die die Schönheit der Natur in den Mittelpunkt rücken, etwa die Blütenstände von Wilder Möhre und Wegwarte. Es geht der 81-Jährigen darum, die Beziehungen wieder herzustellen: »Die Menschen sollen die Kostbarkeiten unserer Umwelt kennen und hoffentlich schätzen lernen.«
Ein Stück Eisenbahngeschichte
Renate Kirchhof-Stahlmann und ihr Mann haben den Bahnhof Ottensoos im Jahr 2009 gekauft. Er war einst im Zuge des Ausbaus der Strecke Nürnberg – Amberg eröffnet worden. Um die Wende zum 20. Jahrhundert kamen Hunderte von Ausflüglern, für die Ottensoos Ausgangspunkt für Wanderungen und Übernachtungen war. 1984 wurde der Schalterbetrieb eingestellt, das Gebäude teilweise zum Wohnen genutzt. Den Haltepunkt verlegte man anlässlich des S-Bahn-Baus Richtung Hartmannshof rund 100 Meter nach Osten. Das Ehepaar Stahlmann baute das Stationsgebäude schließlich zu einem Museum und einem Forum für Nachhaltigkeit um. Hier ist neben der aktuellen Sonderausstellung auch das Hauptwerk der Künstlerin zu sehen: Die »Genesis« zeigt in einem großformatigen Zyklus die Erdgeschichte und die Entstehungsgeschichte der Menschheit, ein zweiter Schwerpunkt widmet sich dem Thema Zeit.
Nicht nur die Werke, auch das denkmalgeschützte Gebäude selbst ist mehr als sehenswert. Es spiegelt – wie ein Fenster in die Vergangenheit – den Charme der zurückliegenden Bahngeschichte wider: Der frühere Dienstraum, in dem Bahnbeamte früher Pakete sortierten und Fahrkarten verkauften, ist kaum verändert, hier werden heute Vorträge gehalten. Das Weichenstell-Häuschen dient als Bistro. Stichwort Nachhaltigkeit: Die Theke hat das Ehepaar aus ausrangierten Waggonabdeckungen gebaut, auch das Geschirr hat man nicht neu angeschafft: »Nachbarn haben es gestiftet«, sagt Renate Kirchhof-Stadelmann und stellt vorsichtig ein paar Tassen zurück ins Regal. Sie sei nicht sicher, wie es mit der Menschheit weitergeht. Aber die Hoffnung hat sie noch nicht aufgegeben. »Wir müssen immer wieder Anstöße zum Schutz der Umwelt geben.«
Text: Alexandra Voigt
Fotos: Mile Cindric
Information
Die Sonderausstellung »Ist’s vorbei mit der Krabbelei?« im Kulturbahnhof Ottensoos wird von mehreren Vorträgen zum Thema begleitet: Am Mittwoch, 18. September, wird ab 19 Uhr das Gärtnern mit sogenannten Effektiven Mikroorganismen (EM) – also ohne chemische Stoffe – thematisiert. Den Vortrag hält Michael Winter (Schloss Taxis Dischingen). Er stellt Grundlagenwissen zu EM vor und erläutert unter anderem den Unterschied zwischen den mit EM und mit mineralischem Dünger hergestellten Nahrungsmitteln sowie die Herstellung von hochwertigem organischem Dünger aus Küchen- und Gartenabfällen. Am Donnerstag, 17. Oktober, ab 19 Uhr steht ein Vortrag von Kai Frobel mit dem Titel »Das Grüne Band – ein positives Beispiel für Artenschutz« auf dem Programm. Der »eiserne Vorhang« hatte bis 1989 Europa geteilt und war eine verbotene Zone für Menschen. Aus diesem Grund zieht sich heute auf diesem ehemaligen Sperrgebiet ein Verbund wertvollster Lebensräume von der Barentssee bis zur Adria und ans Schwarze Meer – auf einer Länge von über 12.500 Kilometern. Das Grüne Band ist ein wichtiger Rückzugsraum und eine Verbindungskette für viele gefährdete Tier- und Pflanzenarten. Die Ausstellung ist jeweils am Sonntag von 14 – 17 Uhr (und nach Vereinbahrung) zu besichtigen. Das Bistro ist zu den Besuchszeiten und Veranstaltungen geöffnet. Der Eintritt ist frei.
Kontakt und Anfahrt
Stiftung Kulturbahnhof Ottensoos
Bahnhofstraße 11, 91242 Ottensoos
Tel. 09123/6518
info@kulturbahnhof-ottensoos.de
www.kulturbahnhof-ottensoos.de
Anfahrt: Mit der S2 Nürnberg-Hartmannshof ist der Kulturbahnhof Ottensoos von Nürnberg aus in 20 Minuten zu erreichen. Von der Haltestelle Ottensoos ist man in fünf Minuten am Kulturbahnhof.