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Fünf Minuten Training halten die Nase fit

Hanns Hatt, Professor an der Ruhr-Universität Bochum, erforscht den Geruchssinn.

Ein Duft kann uns beglücken, ein Duft kann uns erschlagen. Lässt der Geruchssinn nach, merken wir, es schmeckt nicht mehr so wie früher. Denn so wie das Sehen und Hören mit dem Alter schwächeln, geht es mit dem Riechvermögen abwärts und folglich auch mit dem Geschmackssinn. Beides hängt eng miteinander zusammen. Hanns Hatt, der in der Wissenschaft als ein »Papst des Riechens« gilt, meidet das Wort Schmecken. Es greife viel zu kurz, denn weniger als auf die Zunge komme es auf die Nase an. Der Professor erklärt, warum die Nase unseren Verstand oft übertrumpft.

sechs+sechzig: Ihre jüngste Mail an mich zeichneten Sie mit Prof. Dr. Dr. Dr. med. habil. Hanns Hatt. Warum haben Sie den Doktor gleich in drei Fächern gemacht, in Biologie, Medizin und Physiologie? 

Hanns Hatt: Ganz einfach. Der Motor war Neugierde und Spaß.

Sie sind jetzt als emeritierter Professor 76 Jahre alt. Wie ist es um Ihre eigene Nase bestellt?

Ich gehe fast täglich ins Labor an der Ruhr-Universität Bochum, dort forschen wir über Riechzellen und Düfte, so dass ich besonders viel Übung habe. Riechen ist mein Job. 

Sie empfehlen auch anderen das Riechtraining. Wie kann das aussehen?

Zwei- oder dreimal am Tag für fünf Minuten mit geschlossenen Augen an Gewürzen, ätherischen Ölen, Gemüse oder Kosmetikprodukten schnuppern und versuchen, den Duft zu erkennen. Das Gehirn analysiert die Düfte nach komplexen Mustern. So lässt sich der Riechverlust im Alter hinausschieben. Die Zellen erneuern sich normalerweise alle vier Wochen. Einmal im Monat gibt’s also eine neue Nase. Das lässt aber ab dem 60. Lebensjahr nach.

Was passiert, wenn ein Duftmolekül auf Riechzellen stößt?

Das Riechen ist die einzige Sinneswahrnehmung, die schnurstracks ins Hirn geht. Die direkte Leitung von der Nase in den Riechkolben ist anatomisch so eingerichtet. Von dort laufen zwei Nervenkanäle  ins Gedächtniszentrum (Hippocampus) und ins Gefühlszentrum (Limbisches System). So kann ein Duft blitzschnell eine Entscheidung bewirken, noch bevor wir überhaupt zu denken beginnen. Die Hirnforschung konnte beweisen, dass zum Beispiel Kaufentscheidungen fallen, bevor der Verstand einsetzt. Oder wir können eine Person buchstäblich nicht riechen, wir lehnen sie ab, ohne zu verstehen, warum. Im besten Fall schwelgen wir dank eines Dufts in Erinnerungen an Großmutters  Apfelkuchen, im schlechtesten kann ein Rasierwasserduft Traumatisches wiedererwecken. 

Welche Rolle spielt die Nase bei der Partnerwahl?

Die Frau findet einen bestimmten Mann aufregend wegen seines Körpergeruchs. Jeder Mensch hat einen individuellen Duft, der von seinen Genen bestimmt wird. Unbewusst bevorzugt die Frau Partner, deren Erbanlagen sich sehr von ihren eigenen unterscheiden, damit sie den besten Vater für ihre Kinder auswählt. So hat die Natur das eingerichtet. Sie strebt starke Gendurchmischungen an und möchte Inzucht vermeiden. Bei Männern dagegen geht es darum, ihre Spermien so breit wie möglich zu streuen. Zuerst wurde dies an Mäusen gezeigt. 

Ein großer Durchbruch gelang Ihnen und Ihren Kollegen vor 20 Jahren beim Auffinden von Riechrezeptoren, und zwar nicht nur in Nase und Mund, sondern im ganzen Körper. Sie prägten Sätze wie »Der Mensch riecht auch mit dem Herzen gut«. Was fanden Sie selbst am aufregendsten?

Zuerst haben wir Riechrezeptoren in Spermien gefunden. Die Spermien schwimmen dem Geruch der Eizelle hinterher, wir konnten sie im Reagenzglas sogar umleiten. Aber auch Herzzellen besitzen Riechrezeptoren, zum Beispiel für Blutfette, die Frequenz und Kontraktion beeinflussen. Zudem konnten wir Fortschritte in der Krebsforschung bewirken, indem wir bewiesen, dass Tumorzellen  andere Riechrezeptoren erzeugen als gesunde. Das ist doch aufregend! Stichwort Aromatherapie: Es gibt Düfte, die Krebs eindämmen können, zum Beispiel hilft der Duft aus Liguster gegen Darmkrebs. 

Sie empfehlen auch, kein Parfum direkt auf die Haut zu sprühen. Warum nicht?

In Hautzellen fanden wir über 30 Riechrezeptoren. Die Aktivierung mit einem Sandelholzduft lässt Wunden schneller heilen, die Haut rascher regenerieren und Haare länger leben. Solange über die Wirkung der anderen Rezeptoren noch nichts bekannt ist, empfehle ich, ein Parfum nur auf die Kleidung zu sprühen. 

Hat sich nicht schon Kleopatra mit Rosenblättern und Jasmin eingerieben, um große Feldherren zu verführen?  

Damals nahmen die Menschen natürliche Essenzen. Heute sind es öfter synthetische Stoffe, manche davon sind ungesund. Weil zudem unser Wasser nicht die schlimmen Krankheitskeime enthält wie vor Hunderten von Jahren, haben wir es zum Glück nicht nötig, uns mit einem Liter Kölnischwasser zu übergießen, wie es angeblich Napoleon einst täglich tat.

Was müsste die Wissenschaft unbedingt in nächster Zukunft untersuchen?

Von den 350 menschlichen Riechrezeptoren kennen wir bisher erst von 30 Prozent den aktivierenden Duft. Hier hat die Forschung noch eine große Aufgabe, denn erst wenn man einen Rezeptor mit einem Duft aktivieren kann, ist erforschbar, welche Wirkung er auf die menschlichen Zellen hat.

Interview: Angela Giese
Foto: Institut für Zellphysiologie der Uni Bochum

Zum Weiterlesen:

Hanns Hatt, Regine Dee, »Die Lust am Duft: Wie Gerüche uns verführen und heilen«, Verlag Springer 2023, 17,99 Euro

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