Was gibt es bei Ihnen an Weihnachten zu essen? Nach einer Umfrage von »YouGov« aus dem vergangenen Jahr serviert mehr als ein Viertel der deutschen Haushalte an Heiligabend Kartoffelsalat mit Bockwurst. Der Klassiker Gänsebraten belegt immerhin Platz drei. Während der Festtage sind Entenbraten, Fondue und andere Traditionsgerichte fester Bestandteil der gemeinsamen Mahlzeiten. Vegetarisches oder Veganes kommt höchstens als Beilage auf den Tisch. Was aber, wenn ein Familienmitglied plötzlich genau darauf Wert legt?
Für Anna Heid Rocha, auf Kinder und Jugendliche spezialisierte Psychotherapeutin aus Nürnberg, entscheidet die richtige Kommunikation darüber, ob aus dem Fleischverzicht ein Drama wird oder nicht. Die 38-Jährige plädiert dafür, sich über das eigentliche Ziel gemeinsam verbrachter Weihnachtsfeiertage klarzuwerden. Die Beteiligten sollten sich die Frage stellen, warum sie mit der Familie zusammen sein möchten. Wenn das jeder für sich geklärt hat, ist es immer noch eine Herausforderung, die verschiedenen Wünsche unter einen Hut zu bringen.
Denn jede Generation hat ihre eigenen Vorstellungen davon, was sie in weihnachtliche Stimmung versetzt. Für die einen sind es der Geruch nach Plätzchen und Braten, für andere reicht der Tannenduft.
»Die Generation 60 plus verbindet mit einem festlichen Anlass auch ein Fleischgericht«, beobachtet Anna Heid Rocha. Denn früher »war Fleisch mit einem gewissen Wohlstand verbunden und somit etwas Besonderes«. Diese Sichtweise »kennen die 30- bis 40-Jährigen nicht, denn sie haben meist auf nichts verzichten müssen«, fügt die Psychotherapeutin hinzu. Diese Altersgruppe sei es gewohnt, dass alles – auch Fleisch und Wurst – bis 20 Uhr im Supermarkt verfügbar ist. Daher hat der Festtagsbraten für sie häufig weniger Bedeutung als für ihre Eltern und Großeltern.
Konflikte treten zutage
Selbstverständlich geht es bei der Gestaltung des Weihnachtsfests um mehr als nur das Menü. Auch wenn dieses in Internetforen meist in den Mittelpunkt gerückt wird. Tipps für vegane oder vegetarische Menüs gibt es reichlich. Aber ist es wirklich nur eine Geschmacksfrage? Am Essen scheiden sich nicht nur die Geister, sondern es kochen nicht selten unterdrückte Probleme hoch.
Es geht um Grundsätzliches, sagt Anna Heid Rocha: »Essen ist Erziehung.« In ihrer Praxis stellt sie fest, »dass die Essgewohnheiten aufbrechen«. Regeln, die für die Älteren selbstverständlich waren, »sind in Deutschland definitiv weniger geworden«. Früher saßen alle so lange am Tisch, bis der letzte aufgegessen hat. Das ist schon deswegen häufig überholt, weil die Zeit für eine gemeinsame Mahlzeit fehlt. Infolgedessen essen Kinder vor dem Fernseher oder Computer.
Laut der Psychotherapeutin hat sich in den jungen Familien die Beziehung zwischen Eltern und Kindern verändert. Die Erwachsenen wollen keine Autorität mehr sein, sie setzen mehr auf einen partnerschaftlichen Umgang mit dem Nachwuchs. »Die Kindermeinung wird mit der Erwachsenenmeinung gleichgesetzt«, berichtet die Expertin. Aber das Aushebeln der Generationen-Hierarchie tue den Kindern nicht gut, ist Heid Rocha überzeugt. Eltern müssten Orientierung geben, Grenzen setzen, Entscheidungen für ihre Kinder treffen und Konflikte aushalten. Aber all das gehe zunehmend verloren, »da die Eltern Angst davor haben, dass sie dadurch die Liebe ihrer Kinder verlieren«.
Diese Entwicklung ist für die ältere Generation kaum nachvollziehbar, da sie anders aufgewachsen ist. Was tun? »Auf jeden Fall nicht um des lieben Friedens willen auf alles verzichten«, rät die Psychotherapeutin. Sonst bleibt etwas auf der Strecke. Besser sei es, mit allen Familienmitgliedern etwa drei Wochen vor dem Fest zu sprechen, wie sich alte Rituale durch neue ersetzen lassen.
Hier bieten sich verschiedene Lösungen an. Jede Generation steuert beispielsweise einen Gang zum Festessen bei. Wenn es vegan sein soll, wird eine Extraportion vorbereitet.
Es wird zur Machtfrage
»Essen ist eine Art Abgrenzung und kann von Aggression begleitet sein«, macht Anna Heid Rocha auf einen weiteren Aspekt aufmerksam. Manchmal gehe es dabei um die »Durchsetzung eigener Wünsche, und es wird eine Machtfrage daraus«. Wer seine Nahrungsaufnahme kontrolliert, fühle sich sicherer und den aktuellen Krisen weniger ausgeliefert.
Selbst wenn alle diese Punkte im Hinterkopf präsent sind, fällt es bestimmt schwer, von den geliebten Plätzchen Abstand zu nehmen, weil sie von einigen Familienmitgliedern wegen der Zutaten wie Eier oder Butter verschmäht werden. Die Umstellung auf vegetarische oder vegane Weihnachtsbäckerei ist nicht immer ein gleichwertiger Ersatz. Das gilt für Hauptgerichte ebenso, auf die sich der eine oder die andere jedes Jahr schon freut. Aber manchmal hilft es, nicht alles auf die Feiertage zu konzentrieren, sondern sich mit dem Freundeskreis zum Gänsebraten zu treffen, die Plätzchen mit den Nachbarn zu naschen und beim Kartoffelsalat auf Mayonnaise zu verzichten. Ein paar vegane Würste sind schnell heiß gemacht.
So bleibt die ältere Generation nicht einsam unterm Weihnachtsbaum und hat vielleicht mehr Kontakte als jemals zuvor.
Text: Petra Nossek-Bock
Fotos: pexels.com; privat