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Als ob Richolf aus Norenberc am PC säße

HC Traue hat eine große Leidenschaft für Schriften. Bei historischen Fonts kreiert er moderne Zeichen wie @ oder € hinzu.

Fast ein Jahrtausend ist es her, dass die Stadt Nürnberg zum ersten Mal urkundlich erwähnt wurde: auf der berühmten Sigena-Urkunde. Die Buchstaben des unbekannten Schreibmeisters auf dem historischen Pergament aus dem Jahr 1050 gibt es nun als Schriftsatz für den eigenen Computer. Ein Besuch im Studio HC Traue in der Hersbrucker Schweiz, 42 Kilometer östlich von Nürnberg.

HC Traue – lachende Augen, spöttischer Humor, sehr schlagfertig – empfängt uns am Gartentor, wo er noch schnell einer verirrten Touristin zurück auf den rechten Weg hilft (»Zum Freibad? Ganz falsch!«). Dann führt er uns durchs Haus: Wohnung, Werkstatt, Refugium, Lebensmittelpunkt – alles unter einem Dach und sympathisch gewachsen über eine lange Zeit hinweg.

Alte und die neue Techniken auf Augenhöhe

HC steht für Herbert Carl. Seit den 1970er Jahren lebt, wirkt und arbeitet der heute 87-Jährige im malerischen Hirschbach, als Graphiker (»mit ph – sehr wichtig!«) und Grafik-Designer (»das sind die, die am Computer rumspielen«). Am Computer rumspielen – das tut HC Traue, seit der erste Apple-Rechner auf den Markt kam. Die alten und die neuen Techniken, bei ihm waren und sind sie stets gleichberechtigt, stehen auf Augenhöhe nebeneinander. »Bei meiner Arbeit setze ich einfache Werkzeuge wie Schere und Klebstoff genauso ein, wie Digitalkamera und computergestützte Bildsysteme«, steht auf seiner Homepage zu lesen. »Dabei verwende ich die digitale Technologie fast täglich, versuche jedoch von ihr nicht allzu sehr vereinnahmt zu werden. Für ein Objekt wähle ich immer die angemessene Technik – ob nun Pinsel oder Computer – und konzentriere mich bei der Gestaltung auf den kreativen Prozess.«

Computerlabor, Malatelier, Druckwerkstatt … und dann nach hinten raus das »Kloster«, wie er es nennt: Der Wohnbereich mit Küche und einer schattigen Terrasse, wo es sich prima sitzen und sprechen lässt. Beim Rundgang vorbei an Bildern, Büchern und ironischen selbstgebastelten Schildern (»Achtung! Sie betreten das Eremitalkloster Hirschbach. Selbst die Aufforderung noch zu bleiben darf man nicht immer ernst nehmen«) grüßt Leonard Traue von der Wand herab – sein Großvater, Schneidermeister von Beruf, hier jedoch in Uniform des Ersten Weltkriegs abgelichtet, aus dem er zum Glück körperlich unversehrt heimkehrte. Ursprünglich stammen die Traues aus Bayreuth. 1978 ist HC Traue ins Hirschbachtal gezogen, 800 Meter in die Oberpfalz hinein, und hat die vordere Hälfte des langgestreckten Hauses am Adlersberg einem Bekannten abgekauft. Seine Frau wohnte bereits im anderen Teil.

Noch immer gibt es neue Projekte

Seit sieben Jahren ist HC Traue Witwer und allein und kommt, wie er sagt, mal besser und mal schlechter mit der Situation klar. Doch noch läuft sie ungebrochen, seine Graphische Anstalt (»Gegründet 1966, seriöse Preisgestaltung, Fernsprechapparat vorhanden!«). Und noch immer gibt es Träume und neue Projekte.

Am Computer ist auch die Sigena-Schrift entstanden, wegen der wir gekommen sind. Wie kam es dazu? »Ganz einfach eigentlich: Die Nürnberger Zeitungen haben immer wieder über die Sigena-Urkunde berichtet«, erzählt Traue. »Ich habe so viele Schriften in meinem Leben gemacht, unter anderem die von Albrecht Dürer. Da habe ich mir gedacht: Machste die Sigena halt auch noch – das ist doch originell.«

Das ist es, keine Frage. Was ein im geschichtlichen Rückblick namenlos gebliebener Schreiber am 16. Juli im Jahre des Herrn 1050 handschriftlich in lateinischer Sprache auf Pergament festgehalten hat, hat HC Traue nicht ganz 1000 Jahre später auf den Computer übertragen.

Inhaltlich geht es auf dieser Urkunde um keine große Sache: Einer Leibeigenen namens Sigena aus Norenberc wird offiziell die Freilassung gewährt. Besonders ist, dass Kaiser Heinrich III. das Dokument höchstpersönlich ausgestellt hat. Er war damals gerade vor Ort, machte auf dem Weg nach Burgund Station in Nürnberg und hielt bei dieser Gelegenheit gleich einen Hoftag ab, bei dem auch besagtes Denarialdiplom (Freilassungsurkunde) ausgestellt wurde. Interessant: Die Urkunde wurde seinerzeit vorgefertigt und der Platz für die Namen freigelassen. Die wurden erst vor Ort eingetragen: SIGENA, Richolf (ihr Herr), Norenberc. Zudem finden sich geheimnisvolle Kürzel auf der Urkunde. Und manch einen Buchstaben hat der Kollege seinerzeit einfach ausgelassen. »Die waren schon sehr sparsam damals, warum weiß niemand«, sagt Traue.

Dokument ist überraschend klein

Bedeutend ist die Sigena-Urkunde, weil sie das älteste heute noch erhaltene Schriftstück ist, auf dem der Name Nürnberg urkundlich erwähnt ist – und damit der älteste schriftliche Nachweis, dass die Stadt im Jahr 1050 bereits existiert hat. HC Traue hat das historische Dokument studiert. Klein ist es, gerade mal 27 auf 27 Zentimeter groß. Und: »Jeder Buchstabe ist anders. Ich hab mir die Schönsten rausgesucht und die Schrift um eine zeitgemäße Zeichenbelegung erweitert.«

Umlaute gab es damals noch nicht, dito kein scharfes ß. Auch die Buchstaben x, y, z und w kamen in der Urkunde nicht vor, die hat er ebenfalls erfunden oder besser: der Schrift der Urkunde nachempfunden. Das @ hat er aus dem a gebastelt, hat den Bogen rüberwachsen lassen. Das Ergebnis: Eine moderne Schrift auf der Höhe der Zeit, die aber eigentlich aus dem Mittelalter stammt.

Auf Tastendruck erscheinen statt Buchstaben Bilder und Grafiken

In die Welt der Schriften (Fonts) ist HC Traue von selbst und ganz langsam reingerutscht. 100 bis 150 Schriften hat er in all den Jahren gemacht, viele davon waren Auftragsarbeiten – etwa, wenn es um digitalisierte Handschriften ging. Daneben hat er aber immer auch eigene Fonts entwickelt, am liebsten Picture Fonts, wo auf Tastendruck statt Buchstaben kleine Bilder und Grafiken erscheinen. Die hat er oft und gerne nach historischen Vorlagen gezeichnet und ergänzt, wie bei seiner Schrift »Railway«, die Szenen von der ersten Eisenbahnfahrt zwischen Nürnberg und Fürth zeigt, oder beim Font »Dracula«, für die er sich bei historischen Bildern aus dem Mittelalter rund um den berühmten Blutsauger-Fürsten bedient hat. Im dem Schriftsatz »BigTown« geht es um eine Großstadt, bei »x-mas« selbstredend um Weihnachten.

Jeder Buchstabe wird als eigene Vektor-Grafik angelegt. Spezialprogramme wie FontLab und TypoTools helfen dabei. Werbung für seine Schriften macht Traue keine – wo auch? Wer einen Font möchte, kann ihn direkt bei ihm erwerben. Große Umsätze sind da nicht zu erwarten – die Sache mit den Schriften bleibt eine Liebhaberei.

Vielseitiges Werk

Schräg und im besten Sinne ein bisschen schrullig sind Traues graphische Arbeiten.

Mindestens einen ganzen Tag lang sitzt er an einer Schrift, am liebsten, wenn das Wetter draußen schlecht ist. »Ich kann ja nix anderes«, sagt Traue unverhofft, doch spätestens das fällt dann wirklich unter Kokettieren. Denn schon im nächsten Moment bringt er freudig »Das Portfolio des Traue« an den Tisch: Eine Mappe mit einer Sammlung beziehungsweise Auswahl von Arbeiten aus den Jahren 1977 bis 2021, alle ursprünglich analog als Chromogravur oder Ätzradierung entstanden und nun sauber digitalisiert, repariert und überarbeitet. Denn die Typografie ist nur eine Disziplin – auch, was Zeichnungen, Malerei, Illustrationen und Druckgraphiken angeht, macht HC Traue, Generalkünstler alter Schule, eine tadellose Figur. Weil er die klassischen Gattungen der bildenden Kunst und die damit einhergehenden alten Techniken – Radierung, Holzschnitt, Hochdruck oder auch das Aufbringen von trockenen oder feuchten Farben auf einen Malgrund – ja alle noch gelernt hat und bis heute beherrscht.

Schräg und im besten Sinne schrullig kommen seine Arbeiten daher, immer ein wenig gegen den Strich gebürstet und den Geist und den Humor einer anderen Zeit atmend. Oft und gerne schwingt da auch Kritik mit, oder es wird ein wenig politisch, allerdings nie mit dem Holzhammer.

»Traue, merken Sie sich eines«, gab ihm Andreas Gering, sein Lehrer an der Berufsoberschule Nürnberg (heute: FH), einst mit: »Ein Graphiker muss ein toller Hund sein! Schwarzes Hemd, rote Krawatte und gelbe Schuhe.« Zumindest inhaltlich hat sich Traue – an diesem heißen Sommertag leger in Hawaii-Hemd und Caprihose unterwegs – stets an diesen Ratschlag gehalten. 

Aktuell bastelt er an einer weiteren Dürer-Schrift: Seine »Duerer Antique« basiert auf jener Buchschrift, in der der Meister zu Lebzeiten alle Texte geschrieben hat – »Buchdruck gab es ja damals schon.« Hat HC Traue eine Lieblingsschrift? »Bembo«, kommt die Antwort direkt. »Eine alte Antiqua-Schrift aus England, Ende der 1920er Jahre.«

Text: Stefan Gnad
Fotos: Michael Matejka

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