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Die Sehnsucht nach Freiheithört nie auf

Das Ehepaar Soundso lässt kein Wochenende aus. Foto: Mile Cindric
Das Ehepaar Soundso lässt kein Wochenende aus. Foto: Mile Cindric

Natürlich fährt die Oma von Paul und Emil nicht im Hühnerstall Motorrad. Aber etwas Schöneres als Motorradfahren gibt es für die 58-jährige Angelika Arnold kaum. Das ist selten bei Großmüttern und überhaupt selten bei älteren Frauen. Angelika Arnolds Enkel könnten jedenfalls auch den Rest des Kinderliedes schmettern – nämlich den Refrain von der »ganz patenten Frau«.
»Manchmal ruft Angelika mich freitags an und fragt, ob ich nicht ein bisschen eher von der Arbeit heimkommen kann. Das Wetter sei so schön, ideal für eine Spritztour«, erzählt Helmut Arnold. Erst mit 41 hat der Erlanger den Motorradführerschein gemacht. »Ich durfte die Maschine unserer Tochter anlassen, aber nicht fahren. Das hat mich irgendwann genervt«, erklärt der gelernte Schriftsetzer. Trotzdem: Wenn seine Frau nicht gedrängt hätte, besäße er vielleicht immer noch kein eigenes Motorrad. »Ich hatte die Maschine unserer Tochter im Stand umgeworfen, worauf Angelika spontan meinte: ›Jetzt wird es Zeit!‹«
Die erste große Tour auf ihrer Suzuki 450 führte das Paar an den Gardasee. Inzwischen waren Angelika und Helmut Arnold bereits in der Toskana, in Apulien und Kalabrien, in diesem Sommer geht es mit einer 1200er Bandit auf Reisen. Und was den Komfort angehe – jeder habe einen Koffer für die Kleidung, immerhin! »Ich nehme halt nur Sachen mit, die ich schnell waschen kann und die auch schnell trocknen«, erklärt die flotte Großmutter.
Als der 76-jährige Georg Mauderer sich seine erste Maschine kaufte war er Mitte 50. Warum? »Ich hatte eine Baufirma, und unser Lieferant für Sägeblätter kam immer auf dem Motorrad. Der Mann war an die 75. Das hat mir imponiert.« Foto: Mile Cindric
Als der 76-jährige Georg Mauderer sich seine erste Maschine kaufte war er Mitte 50. Warum? »Ich hatte eine Baufirma, und unser Lieferant für Sägeblätter kam immer auf dem Motorrad. Der Mann war an die 75. Das hat mir imponiert.« Foto: Mile Cindric

Zwischen 7000 und 8000 Kilometer pro Jahr fahren die Arnolds auf zwei Rädern. »Zieht Regen auf, halten wir an«, sagt die pensionierte Erzieherin. So weit geht die Leidenschaft denn doch nicht, dass sie nass werden und frieren möchte. Von einem sind die Arnolds jedoch überzeugt. Sie sagen: »Wir genießen das Motorradfahren anders als junge Leute!«
Seit seiner Jugend fährt Fritz Biemann aus Möhrendorf bei Erlangen Motorrad. Jetzt ist er 53 Jahre alt, arbeitet als Werkstattleiter in einem Autohaus, fährt immer noch Motorrad und schwärmt: »Die Gerüche, den Wind, die Landschaft – alles kann man viel intensiver empfinden.« Oft steht er am Wochenende schon vor Tagesanbruch auf, um auf seiner 1200er BMW in den Morgen zu starten. Der Biker versucht, das Glücksgefühl zu beschreiben, das er dabei empfindet. Schließlich sagt er: »Es ist unglaublich schön, phänomenal!« Vom Rausch der Geschwindigkeit sagt er nichts. Er redet auch nicht von Abenteuer, geschweige denn vom Mythos Freiheit, wie das Harley-Fahrer gern tun. Fritz Biemann kommt stattdessen auf die Kehrseite zu sprechen: die Hitze im Sommer, die Kälte in den Bergen, der Regen. Zwischen 10 000 und 11 000 Kilometer im Jahr nimmt er unter die Reifen, obwohl nach 200, spätestens 300 Kilometern auch ihm der Hintern vom Sitzen weh tut. Trotzdem sagt er: »Ich werde fahren, so lange es gut geht.«
So wie Helmut Bälzer (58) aus Höchstadt geht es vielen: »Ich war 18 oder 19 Jahre alt, als ich den Führerschein fürs Motorrad gemacht habe. 80 Mark kostete das damals – aber gefahren bin ich danach nie.« Er habe ja kein Geld gehabt, sagt er. Erst wurde geheiratet, dann kamen die Kinder, dann wurde das Haus gebaut. Erst 1987, mit Mitte dreißig, konnte er sich sein erstes Motorrad kaufen. Es ist ein typisches »Phänomen der Szene«, dass Männer in den besten Jahren ihre Liebe zum Motorrad entdecken oder wiederentdecken. Der Harley-Käufer ist nicht zufällig im Schnitt 45,6 Jahre alt.
Mitte 50 war Georg Mauderer aus Nürnberg, heute 76, als er sich seine erste Maschine kaufte. Warum? »Ich hatte eine Baufirma, und unser Lieferant für Sägeblätter kam immer auf dem Motorrad. Der Mann war an die 75. Das hat mir imponiert.« Mittlerweile hat sich Mauderer schon das dritte »Moped« zugelegt, eine Yamaha Virago 535. Seine Frau ist nicht begeistert. »Sie meint, ich sei ein bissel zu alt. Dabei fühle ich mich noch fit«, findet der Diplom-Bauingenieur im Ruhestand. Seinen 77. Geburtstag im September möchte Georg Mauderer auf Sardinien feiern – auf Tour mit einer Gruppe alter Freaks.
66 Jahre alt war der älteste Wiedereinsteiger, der sich bei Fahrlehrer Franz Obermaier aufs Motorrad gesetzt hat. Zwar lasse die Reaktionsschnelligkeit im Alter nach, gibt der Nürnberger Fahrlehrer zu bedenken. Doch mit Erfahrung könne man das wettmachen. Älteren Fahrern und Wiedereinsteigern rät Franz Obermaier zu Sicherheits- bzw. Perfektionstraining. Aus gutem Grund: Bis zum 1. April 1980 bekam man den Schein schon nach drei, vier Stunden Ausbildung. »Danach konnte man das Motorrad lediglich bewegen. Heutzutage liegt der Schnitt bei 20 Stunden Praxis«, erläutert der Fachmann, der schon seit 35 Jahren im Beruf steht. »Mehr Training, mehr Sicherheit, mehr Fahrspaß«, lautet Obermaiers einfache Formel. Extra-Angebot seiner Fahrschule: ein in Nürnberg und Umgebung einmaliger Schräglagentrainer, auf dem das Bremsen ohne ABS ebenso wie die Schräglage in Kurven optimal geübt werden können.
Motorradfahren hält die Gehirnzellen fit
Apropos üben: Wer täglich Motorrad fährt, meint der britischer Psychologieprofessor Ian Robertson, fühlt sich jünger, lebt länger und verbessert seine Gedächtnisleistung sowie die Konzentrationsfähigkeit. Mentale Stimulation halte die Gehirnzellen fit. Robinson bezieht sich auf eine Studie mit 3000 Menschen, die zwischen 65 und 94 Jahre alt waren und stundenlang anspruchsvolle Computerspiele spielten. »Das Training hat die Teilnehmer kognitiv zehn Jahre verjüngt«, so Robertson, der glaubt, dass Motorradfahren den gleichen Effekt hat.
»Die Generation 50 plus verursacht keinesfalls mehr Unfälle als jüngere Motorradfahrer«, weiß die Nürnberger Polizeisprecherin Elke Schönwald. Abgesehen von der Tatsache, dass die Anzahl der Motorradunfälle in Mittelfranken generell rückläufig sei, seien gerade die Älteren diejenigen, die Vorsicht walten ließen. Und sie fahren leichtere Maschinen. » Im Regelfall wird Schutzkleidung benutzt, gar nicht zu reden von einem geeigneten Helm«, führt Elke Schönwald aus.
Unfallfrei seit 50 Jahren – das ist die Bilanz von Werner Höhn. Gerade hat sich der 70-Jährige aus Erlangen-Tennenlohe wieder eine neue Maschine gekauft, diesmal einen Suzuki-Chopper. »Ich habe ein kaputtes Knie. Nun sitze ich über 90 Grad, also besser als auf meiner alten BMW.« Dem schnellen Vorgänger trauert Werner Höhn nicht nach. »Ich könnte mit dem Chopper 160 km/h fahren, aber das ist mir zu gefährlich«, sagt er. Seine Frau wird dadurch nicht ruhiger. In all den Jahren sei sie noch nie zu ihm auf den Bock gestiegen, erzählt Werner Höhn. Nur bei schönem Wetter knattert er jetzt noch durch die Gegend. Über 50 Kilometer im Umkreis kommt der Biker nicht mehr hinaus. Egal. »Motorradfahren ist Hobby und Lebensgefühl, es ist beides«, so der 70-Jährige.
 	   Foto: Mile Cindric    Als der 76-jährige Georg Mauderer sich seine erste Maschine kaufte war er Mitte 50. Warum? »Ich hatte eine Baufirma, und unser Lieferant für Sägeblätter kam immer auf dem Motorrad. Der Mann war an die 75. Das hat mir imponiert.« Foto: Mile Cindric    Erst mit 41 hat der Erlanger Helmut Arnold den Motorradführerschein gemacht. »Ich durfte die Maschine unserer Tochter anlassen, aber nicht fahren. Das hat mich irgendwann genervt«, erklärt der gelernte Schriftsetzer. Trotzdem: Wenn seine Frau Angelika nicht gedrängt hätte, besäße er vielleicht immer noch kein eigenes Motorrad. Foto: Mile Cindric
Foto: Mile Cindric Als der 76-jährige Georg Mauderer sich seine erste Maschine kaufte war er Mitte 50. Warum? »Ich hatte eine Baufirma, und unser Lieferant für Sägeblätter kam immer auf dem Motorrad. Der Mann war an die 75. Das hat mir imponiert.« Foto: Mile Cindric Erst mit 41 hat der Erlanger Helmut Arnold den Motorradführerschein gemacht. »Ich durfte die Maschine unserer Tochter anlassen, aber nicht fahren. Das hat mich irgendwann genervt«, erklärt der gelernte Schriftsetzer. Trotzdem: Wenn seine Frau Angelika nicht gedrängt hätte, besäße er vielleicht immer noch kein eigenes Motorrad. Foto: Mile Cindric

Ute Fürböter


Eine Motorradtour auf Sardinien speziell für Senioren bietet Sarda Moto Tours in Nürnberg an. In geführten Gruppen mit maximal zehn Teilnehmern erkunden die älteren Biker im September die Mittelmeerinsel – und zwar auf der eigenen Maschine, die vom Reiseveranstalter an den Urlaubsort gebracht wird. Die Reise dauert eine Woche und beinhaltet u.a. tägliche Motorradtouren von 150 bis 180 Kilometern. Weitere Informationen gibt unter 0911 / 46 226 06 oder im Internet unter www.sarda-moto-tours.de

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