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Thildas Geheimnis ist im Pfalzmuseum gelüftet

Das Bild von Thilda Pohl ist in der Ausstellung »Kennen wir uns?« zu sehen.

Kennen wir uns?«, scheinen all die Gesichter von längst verstorbenen Menschen auf den großformatigen Schwarz-weiß-Fotos dem Besucher zuzuflüstern und auf eine Antwort zu hoffen. Zu sehen sind Frauen, den modischen Bubikopf zur Kamera gerichtet, das Knie teils keck entblößt, andere haben den Blick scheu nach innen gekehrt, Männer sitzen kerzengerade in feinem Zwirn, die Brust voll Stolz gereckt, Buben und Mädchen mit festgezirkeltem Scheitel oder riesiger Schleife im Haar blicken die Betrachter an. 

»Kennen wir uns?« nennt sich die Ausstellung des Pfalzmuseums Forchheim, die mehr als hundert Jahre alte, eindrucksvolle Porträtaufnahmen zeigt und damit einen tief bewegenden Einblick in das Leben der Menschen in und um Forchheim vor rund 100 Jahren gewährt. In jeder Aufnahme liegt eine ganz eigene Lebensgeschichte verborgen und das große Rätsel: Wer sind all diese Menschen? 

Bei manchen wurde das Rätsel schon gelöst. Wie bei Else Harrer zum Beispiel, die verträumt in eine imaginäre Ferne zu blicken scheint, das Haar locker nach hinten gesteckt, der blütenweiße Spitzenkragen akkurat auf dem Kleid sitzend, und bei Fritz Prechtel, fesch mit Jackett, Weste, Hemd, Krawatte und Einstecktuch, die Brille auf der Nase. Ob die beiden damals, als die Fotos in den 1920 Jahren entstanden, wohl ahnten, dass sie einst ein Paar werden, dass Krieg und Gefangenschaft sie viele Jahre trennen und dass sie später einmal gemeinsam eines der bedeutendsten Forchheimer Traditionsgeschäfte führen würden?

Es war die Nachbarin

Wolfgang Prechtel, der Sohn von Else und Fritz, entdeckte seine beiden Eltern auf den Bildern des Forchheimer Pfalzmuseums wieder – und gab den Abgebildeten so ihre Identität zurück. Bei der Ausstellungseröffnung von »Kennen wir uns?«, erzählt Prechtel, habe er auf einem der Fotos sofort seine ehemalige Nachbarin erkannt, die mit ihrer Familie nur einen Straßenzug entfernt in Forchheim gewohnt hatte. »Wenn es Fotos von Thilda Pohl (der einstigen Nachbarin, Anm. d. Red.) gibt, existieren vielleicht auch welche meiner Eltern«, dachte er sich und fing an zu suchen. In der Ausstellung konnte jedoch nur ein Bruchteil all der fotografischen Schätze, die in einem Forchheimer Fotogeschäft entdeckt worden sind, ausgestellt werden. Viele weitere Porträtfotos sind in einer Online-Dauerpräsentation des Pfalzmuseums zu sehen: »Ich war total neugierig und habe im Netz gestöbert.« Der 82-jährige Prechtel klickte sich durch den Foto-Fundus und entdeckt tatsächlich auf einem Bild seinen Vater, Fritz Prechtel, und auf einem weiteren seine Mutter, Else Harrer.

Sein Vater, im Jahr 1907 geboren, seine Mutter ein Jahr später, wurden wohl mit Anfang 20 fotografiert. Ob sie sich einst im Fotostudio getroffen hatten? Damals waren sie noch kein Paar, geheiratet haben die beiden erst im Jahr 1934.

Die oft mehr als hundert Jahre alten Porträtaufnahmen geben einen bewegenden Einblick in das Leben der Menschen in und um Forchheim.

Viele Jahre im Krieg

Früh sei der Vater in die Verantwortung genommen worden. Er musste bereits mit 19 Jahren, ab dem Jahr 1926, zusammen mit der Mutter das Eisenwaren- und Hausratsgeschäft, das einst als Besen- und Bürstenbinderei im Jahr 1900 gegründet wurde, übernehmen, erzählt Prechtel. Viele Jahre im Krieg in Russland und erst 1945 zurückgekommen, habe der Vater jahrelang seiner Ehefrau jede Woche mit der Feldpost einen Brief nach Hause nach Forchheim geschrieben.

Und woher stammen all die historischen Porträt-Aufnahmen, die in der Online-Dauerausstellung des Pfalzmuseums präsentiert werden? Entstanden sind die Bilder in einem Fotostudio am Forchheimer Paradeplatz. Und man kann sich all die Porträtierten vorstellen, wie sie sich extra fein gemacht haben für den Fotografen Gustav Luthardt. Städter in feinem Zwirn sind dabei, Sportler, die ihre Muskeln zeigen, Hochzeitspaare, Kommunionkinder, aber auch Landbevölkerung, die wohl aus der Fränkischen Schweiz extra bis nach Forchheim fuhr, um sich ablichten zu lassen.

1700 Glasplatten–Negative lagerten unbemerkt im Dachboden  

»Ich bin total überrascht vom hervorragenden Zustand und der Qualität der Bilder und ihrer künstlerischen Gestaltung«, sagt Prechtel. Rund 1700 Glasplatten–Negative lagerten jahrelang unbemerkt am Dachboden des Fotogeschäfts Luthardt, das heute Frank Brinke, ebenfalls Fotograf, führt. Er hat den fotografischen Schatz quasi durch Zufall gehoben, als er in Zeiten des Lockdowns in der Corona-Phase den Schrank am Dachboden ausräumen wollte und auf das fotografische Vermächtnis stieß. Der Fund enthält technisch brillante und ästhetisch faszinierende Aufnahmen von Menschen aus allen Gesellschaftsschichten – festgehalten in Momenten voller Intimität, Stolz oder auch stiller Zurückhaltung. Susanne Fischer, Leiterin des Forchheimer Pfalzmuseums, ließ sich von der Entdeckerfreude anstecken und war für eine Ausstellung sofort Feuer und Flamme.

Wolfgang Prechtel hat sich von den Porträtfotografien seiner Eltern großformatige Abzüge machen lassen, die gerahmt werden und einen ganz besonderen Platz in seinem Wohnhaus bekommen werden. »Dann freuen sich auch meine Enkel, wenn ich ihnen die Geschichte ihrer Urgroßeltern Else und Fritz erzählen kann.«

Seit Ausstellungsbeginn haben bereits einige Besucher ihre Großeltern, Nachbarn und Verwandte auf den Bildern »identifiziert«. 

Eine Kontaktaufnahme zum Museum ist jederzeit möglich. Die Ausstellung »Kennen wir uns?« im Forchheimer Pfalzmuseum ist online als Dauerausstellung unter www.kaiserpfalz.forchheim.de bzw. unter www.kennen-wir-uns.net zu sehen.

Text: Birgit Herrnleben
Foto: Michael Matejka
AusstellungsRepros: Brinke_Stadt Forchheim Pfalzmuseum

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