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Ernährungsmythen: Was hilft wirklich gegen Übergewicht?

Prof. Dr. Matthias Blüher klärt über Ernährungsmythen auf und gibt Tipps gegen Übergewicht. Foto: Universität Leipzig

Ein Urlaub im Süden verheißt tropische Temperaturen. Doch bei diesen vergeht manchem die Lust auf warme Speisen und üppige Mahlzeiten. Außerdem locken jede Menge exotische Genüsse. Nach dem Urlaub wird dann der Gang auf die Waage oft zum Schockerlebnis. Aber auch zuhause stellen sich viele Fragen, wenn man mit Gewichtsproblemen zu kämpfen hat: Macht Essen am Abend wirklich dick? Wie gesund sind die Alternativen, zum Beispiel Obst? Und sind Übergewichtige selbst schuld an ihrem Gewicht?

„Nein“, sagt Prof. Dr. Matthias Blüher, Leiter der Adipositas-Ambulanz für Erwachsene am Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) der Leipziger Universitätsmedizin. Denn Adipositas sei eine Erkrankung, die von vielen Faktoren bestimmt wird. Im Interview spricht der Mediziner über Ernährungsmythen, vermeintliche gesunde Obst-Snacks und die Ursachenforschung bei Adipositas.

Ernährungsmythos Nr. 1: Im Sommer benötigen wir weniger Kalorien, weil der Körper für die Abkühlung weniger Energie verbraucht.

Prof. Dr. Matthias Blüher: Das stimmt nicht. In Situationen extremer Hitze oder Kälte ist der Energieverbrauch unseres Körpers generell erhöht: Sowohl beim Frieren als auch beim Abkühlen benötigen wir mehr Energie. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass man im Sommer oder im Winter unterschiedlich gute Chancen hat, abzunehmen. Der einzige Unterschied liegt tatsächlich im Ernährungsverhalten: Im Sommer nehmen viele typischerweise leichtere und kalorienärmere Mahlzeiten zu sich, im Winter legt man sich eher den klassischen Winterspeck zu.

Ernährungsmythos Nr. 2: Gerade bei heißen Temperaturen setzen viele auf Obst-Snacks. Davon kann man so viel essen, wie man will – Obst ist in jedem Fall gesund.

Blüher: Leider ist das nicht ganz richtig, denn auch beim Obst macht die Dosis das Gift. Früchte können auch eine ganze Menge an Kalorien und Kohlenhydraten enthalten. Ein aktuelles Beispiel aus der Forschung zeigt, dass gerade die Fruktose, die wir verstärkt in Obst finden, einen ganz wesentlichen Beitrag bei der Entstehung der Fettleber leisten kann.

Ernährungsmythos Nr. 3: Auch wenn sich die Temperaturen dann etwas abgekühlt haben: Abends essen macht dick.

Blüher: Das stimmt und stimmt auch nicht. Auch hier kommt es wieder darauf an, wie viel zum Abendessen auf den Tisch kommt. Man geht zwar davon aus, dass die Kalorien am Abend nicht gleich wieder verbrannt werden können, weil man dann ins Bett geht. Letztendlich gibt es aber keinen Beweis dafür, zu welcher Tageszeit Kalorien fürs Gewicht schädlicher sind – die Gesamtmenge, die man über den Tag verteilt zu sich nimmt, zählt. Vielen Menschen fällt es aber leichter, abends auf Essen zu verzichten, um ihr Gewicht zu reduzieren. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen, die regelmäßig frühstücken, eine höhere Chance haben, Gewicht zu verlieren.

Ernährungsmythos Nr. 4: Mit Light-Produkten hingegen nimmt man ab.

Blüher: Das stimmt leider nicht. In Light-Produkten wird Zucker oft durch Zuckerersatzstoffe ausgetauscht. Diese Ersatzstoffe können mehr Appetit machen oder direkt auf unsere Darmbakterien wirken. Light-Produkte können also indirekt dazu beitragen, dass man mehr Appetit hat und doch nicht abnehmen kann – auch wenn es der Name anders verspricht.

Ernährungsmythos Nr. 5: Übergewichtige und adipöse Menschen sind selber schuld an ihrem Übergewicht.

Blüher: Stimmt nicht. Wir wissen heute zum Beispiel, dass genetische Faktoren eine ganz große Rolle bei der Ausprägung von Übergewicht und Adipositas spielen. Auch hormonelle Aspekte und unser gesellschaftliches Umfeld bedingen die Entstehung von Übergewicht. All diese Faktoren kann der Einzelne nicht aktiv beeinflussen.

Ernährungsmythos Nr. 6: Übergewichtige müssen einfach weniger essen und mehr Sport treiben, dann nehmen sie schon ab.

Blüher: Eigentlich stimmt das. Leider muss man sagen, dass Abnehm-Konzepte, die nur darauf basieren weniger zu essen und sich mehr zu bewegen, langfristig versagt haben. Woran das liegt, wissen wir nur zum Teil. Es ist sehr wahrscheinlich, dass unser Körper ein einmal erreichtes Gewicht hervorragend verteidigen kann. Hier greifen verschiedene Mechanismen ineinander, die dazu führen, dass der Körper immer wieder zu seinem maximal erreichten Gewicht zurück möchte. Zu diesen Faktoren gehören beispielsweise die Ausschöpfung der aufgenommenen Kalorien aus der Nahrung sowie die Regulation von Grundumsatz, Appetit und Sättigung. Auch diese Faktoren können wir nicht bewusst kontrollieren.

Ernährungsmythos Nr. 7: Adipositas ist eine Erkrankung und die Ursachen der Adipositas sind der Wissenschaft in Gänze bekannt.

Blüher: Den ersten Teil der These kann ich bejahen. Wir sehen Adipositas als eine Erkrankung an und stehen damit nicht allein da – auch die Weltgesundheitsorganisation definiert Adipositas mittlerweile als eine Erkrankung. Den zweiten Teil der These muss ich verneinen: Wir sind immer noch bemüht, die Ursachen der Adipositas-Entstehung für den einzelnen Menschen und auf gesellschaftlicher Ebene komplett zu verstehen. Nur für wenige, einzelne Fälle können wir bislang einen klaren Zusammenhang etwa zwischen dem Defekt eines Gens und der Ausprägung von Adipositas herstellen.

Weitere Informationen finden Sie unter http://www.adipositas-verstehen.de

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