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Du ahnst es nicht!

Als Walther Ruf im Jahr 1973 den Schritt ins Pensionärsdasein tat, war es kein Schritt ins Ungewisse; denn er wusste, wie er seine Zeit verbringen wollte. Und doch betrat er ein Feld voll Ungewissheiten, Überraschungen. Bis zu seinem Tod vor 20 Jahren betrieb der pensionierte evangelische Pfarrer Familienforschung. Ein aufwändiges Unterfangen, das Leidenschaft und Durchhaltevermögen verlangte.
Marie Schreimel und Edgar Hubrich von der Gesellschaft für Familienforschung recherchieren in Archiven. Foto: Michael Matejka

Als Walther Ruf im Jahr 1973 den Schritt ins Pensionärsdasein tat, war es kein Schritt ins Ungewisse; denn er wusste, wie er seine Zeit verbringen wollte. Und doch betrat er ein Feld voll Ungewissheiten, Überraschungen. Bis zu seinem Tod vor 20 Jahren betrieb der pensionierte evangelische Pfarrer Familienforschung. Ein aufwändiges Unterfangen, das Leidenschaft und Durchhaltevermögen verlangte.

Er durchforstete in Pfarrämtern alte Kirchenbücher, verbrachte ganze Tage in kirchlichen und staatlichen Archiven, fuhr mit der Bahn quer durch Deutschland und einen Teil Österreichs. Er korrespondierte mit Menschen, die in ihren Forschungen an irgendeiner Stelle die Linien seiner Vorfahren berührten.

Ruheständler auf Spurensuche
Es war ein aufregender »Fulltime-Job«. Die Ergebnisse, angereichert mit alten Fotografien, mit Kopien von Wappen und Originalen, abgeheftet in Dokumentenmappen, übergab er noch zu Lebzeiten seinen drei Kindern. Tochter Ursula Löbel, mit 75 Jahren heute selbst Großmutter von fünf Enkeln, bekennt: »Erst heute wissen wir eigentlich die Arbeit unseres Vaters richtig zu würdigen.«

Vergilbte Fotos wecken die Neugier. Foto: Michael Matejka

»Ja«, sagt Edgar Hubrich, »zur damaligen Zeit Familienforschung zu betreiben, war zeitaufwändig und auch nicht ganz billig. Man denke nur an die notwendigen Reisen, die man unternehmen musste, um vor Ort zu recherchieren.« Der 55-Jährige ist zweiter Vorsitzender der »Gesellschaft für Familienforschung in Franken« (GFF). Es sind auch heute vorwiegend Rentner und Pensionäre, denen braunstichige Fotos, die in der Ecke eines Zimmers an der Wand hängen, als Blick in die Familienhistorie nicht mehr genügen.

Gleichwohl möchten auch junge Zeitgenossen mehr über ihre Herkunft wissen als das, was sie durch Erzählungen von Oma und Opa erfahren. So zählt das jüngste Mitglied in der fränkischen Gesellschaft gerade mal 14 Jahre. »Fast jeder Mensch möchte einmal in seinem Leben erfahren, woher er kommt, woher seine Großeltern stammten«, meint Hubrich, der vor eineinhalb Jahren sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Seither berät er als Genealoge Interessierte, die in die Familienforschung einsteigen wollen.

Wo der Nürnberger Pfarrer Walther Ruf sich noch mühsam die einzelnen Daten zusammensuchte, können Familienforscher im 21. Jahrhundert über das elektronische weltweite Netz oftmals in Sekundenschnelle in das Leben ihrer Ahnen eindringen. Und sich in den sozialen Netzwerken mit Gleichgesinnten austauschen. Staatliche und kirchliche Archive haben sich daran gemacht, ihre Bestände zu digitalisieren. So sind im Portal »Archion« die evangelischen Landeskirchen in Deutschland zusammengeschlossen. Mit einem Monatspass für 19,90 Euro oder gleich einem Jahrespass für 178,80 Euro kann sich der oder die Interessierte durch fast alle Kirchenbücher evangelischer Pfarrämter klicken.

Zugriff auf Tauf-Daten erst nach 110 Jahren
Daniel Schönwald (37), stellvertretender Leiter des Landeskirchlichen Archivs in Nürnberg, kann auf die stolze Zahl von 8000 digitalisierten Kirchenbüchern verweisen. »Das bedeutet, dass die Originale geschont werden«, versichert er. Großen Wert legt die Evangelische Landeskirche auf die Einhaltung der Schutzfristen. So werden Taufeintragungen erst nach 110 Jahren, Trauungen und Konfirmationen nach 80 und Bestattungen nach 30 Jahren freigegeben.

Wie die Protestanten, so bietet auch die katholische Kirche auf ihrem Portal »Matricula« Zugang zu Daten aus Tauf-, Trauungs- und Sterbebüchern in Gemeinden in Deutschland, aber auch in Polen und Österreich an. Der Mitgliedsbeitrag beläuft sich hier auf 35 Euro im Jahr. Mit 25 Euro jährlich liegt die »Gesellschaft für Familienforschung in Franken« seit Jahren im unteren Bereich.

Die nach eigenen Angeben weltweit größte Plattform für Familienforschung ist »Ancestry«. Das aus den USA stammende Unternehmen digitalisiert und indexiert Archivmaterial weltweit. Hier soll man Zugriff auf rund 20 Milliarden historische Dokumente bekommen, allein 500 Millionen in Deutschland. Indes: Bei aller Euphorie über die Schnelligkeit des Internets können diejenigen, die Ahnenforschung betreiben, auf den Geruch und die Berührung alter Folianten und vergilbter Dokumente nicht verzichten. Hubrich: »Wir haben etwa 25.000 Bücher, vor allem genealogischer Natur, und die werden fleißig benutzt.«

Mit einem Telefonat fing es an
Etwa 80 Prozent aller Hobby-Ahnenforscher sind laut Hubrich Männer. Zur weiblichen Minderheit gehört Marie Schreimel. Bei ihr fing die Leidenschaft mit einem Telefonat an: »Ich hab’ einfach mal im Pfarramt in Roth angerufen«, erinnert sich die heute 70-Jährige. Sohn und Tochter waren erwachsen. In ihrem erlernten Beruf als Fremdsprachenkorrespondentin wieder Fuß zu fassen, war illusorisch. Also galt es, sich ein erfüllendes Hobby zu suchen. Seit 20 Jahren lässt sie das Abenteuer Familienforschung nicht mehr los. Zuerst war die eigene Familie dran: Mutterlinie, dann väterlicher Zweig. Bauern allesamt. Zwölf Generationen hat sie erforscht.

Dann widmete sie sich den Vorfahren ihres Mannes. Ebenfalls ein Bauerngeschlecht. Mittwochs war ihr genealogischer Tag. Den Vormittag verbrachte sie im Staatsarchiv, den Nachmittag im Landeskirchlichen Archiv. Die Erinnerung daran zaubert ein Strahlen in ihr Gesicht: »Allein die Bücher in die Hand zu nehmen, darin zu blättern, sie zu berühren, zu riechen, fündig zu werden, vorher die weißen Handschuhe anzuziehen, damit nichts beschädigt wird – es ist einfach grandios.« Zwar hat sie auch das Internet genutzt, aber dennoch war ihr das sinnliche Erleben wichtig: Vergangenheit in die Hand zu nehmen.

Es verwundert nicht, dass Marie Schreimel inzwischen als ehrenamtliche Mitarbeiterin bei der »Gesellschaft für Familienforschung in Franken« gelandet ist. Es überrascht auch nicht, dass sie bereits ein neues Projekt in Angriff genommen hat: die Erforschung des Nürnberger Ortsteils, in dem sie zu Hause ist: Gaulnhofen.

Gesellschaft für Familienforschung in Franken e.V.
Vordere Cramergasse 13, 90478 Nürnberg
www.gf-franken.de, info@gf-franken.de
jeden Mittwoch von 14 bis 18 Uhr geöffnet

Online-Portale
Archion: www.archion.de
Matricula: http://data.matricula-online.eu/de
Ancestry: www.ancestry.de

Text: Günter Dehn

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