Kunst erreicht die Seele« – da ist sich Nina Gremme ganz sicher. Auch wenn Demenz den Menschen manchmal sehr verändere, so bliebe doch eines immer gleich – die Neigung, gerne Musik zu hören und auch zu singen, weiß Gremme. Sie ist die Koordinatorin des Projekts »Dialog: Kultur & Demenz« der Gerontopsychiatrischen Fachkoordination (GeFa) Mittelfranken, die ihren Sitz im Nürnberger Gemeinschaftshaus Gostenhof hat. Ebenso könne bildende Kunst einen Menschen erreichen, den die Demenz verschlossen hat.
Als sich Nina Gremme verschiedene Projekte im Rahmen des Programms »Demenzfreundliche Kommune« anschaute, merkte sie, dass ein Bereich völlig fehlte: die Kultur. Und so begann sie vor zwei Jahren nach Partnern und Förderern zu suchen, um mit ihnen ihre Vorstellung von einem Kulturangebot für Menschen mit Demenz und deren Angehörige umzusetzen. Dabei konnte die engagierte Sozialpädagogin unter anderem auf die Erkenntnisse des Kölner Projekts »dementia+art« zurückgreifen, die bereits positive Erfahrungen auf diesem bisher sehr wenig
bekannten Feld machen konnten. Erklärtes Ziel von Nina Gremme: Eine Sensibilisierung von Kunst- und Kulturanbietern für das Thema Demenz.
Mittlerweile trägt ihre Arbeit Früchte. So zeigte beispielsweise das Nürnberger Kino Cinecitta in einer Sondervorstellung den einstündigen Film »Die neue Wildnis – ein atemberaubendes Naturspektakel«, der bei allen Besuchern auf große Resonanz stieß. Den ersten Kooperationspartner jedoch fand Gremme bei »Geschichte für alle«. Der Verein nahm für seine Stadtführer Gremmes Angebot zu zwei demenzspezifischen Schulungen an und setzte ein Konzept für Führungen für Menschen mit Demenz, Angehörige und Jedermann um. »In diesem Jahr stieg der Testballon mit einem Thema in Nürnbergs Hesperidengärten«, berichtet Katrin Kasparek, wissenschaftliche Mitarbeiterin und die treibende Kraft beim Verein. Als besonders gut empfand die Historikerin bei der ersten Führung das eingegrenzte und anschauliche Thema der Barocken Gartenkultur. Dazu verwendeten die Stadtführer Bilder, Duftproben und Kräuter, damit die Teilnehmer den Ort mit allen Sinnen erfahren konnten. Der einstündige Rundgang schloss mit Kaffee und Kuchen. So wurde das gemeinsame Erleben und Zusammensein noch mehr in den Vordergrund gerückt.
»Das kam als Gesamtkonzept gut an, sowohl bei den Menschen mit Demenz wie auch bei ihren Angehörigen«, berichtet Historikerin Kasparek. Mehr als ein Jahr hatte die Entwicklung des Angebots gedauert. Den Arbeitskreis hatte besonders beschäftigt, wie man den eingeübten »Stadtrundgang« an die speziellen Anforderungen der Menschen mit Demenz anpassen könne. Die Mitglieder des Arbeitskreises achteten darauf, die Inhalte anschaulich zu präsentieren, eine einfache Sprache zu verwenden, auf Fragen und Reaktionen der Besucher einzugehen und bewusst inhaltlich an den Lebensweltbezug der Teilnehmer anzuknüpfen. Mit persönlichen Geschichten und Erlebnissen rund um das Thema
Garten, Kräuter und Zitrusfrüchte wollte man erste Erfahrungen mit dem neuen Projekt sammeln.
Insgesamt, so urteilt Kasparek, sei das ein Angebot geworden, das die Nürnberger Bildungslandschaft bereichert. Es ermögliche einer bislang ausgegrenzten Gruppe einen ganz spezifischen Zugang zum Stadt-Erleben und zur Stadtgeschichte. Und deshalb wird »Geschichte für alle« auch 2016 solche Führungen anbieten. Auch Gruppen können die Rundgänge buchen. Die Termine werden über die Angehörigenberatung, über die Internetseite der Gerontopsychiatrischen Fachkoordination und über die Tageszeitungen veröffentlich. Zudem überlegt der Verein, das Angebot auch auf andere Themen und Regionen – unter anderem auch auf Fürth – auszudehnen.
Weitere Gehversuche, Kunst und Kultur auch für Demente sinnlich erlebbar zu machen, unternimmt seit Kurzem auch das Germanische Nationalmuseum. Ebenfalls nach einer ausführlichen Schulung haben sich etliche Kunstpädagogen der Aufgabe gestellt, diesem besonderen Personenkreis mit einem kleinen Rundgang die Schätze ihres Hauses näher zu bringen.
»Das Leben mit der Kultur und die Teilhabe daran dürfen für Menschen mit Demenz nicht verloren gehen. Es ist sehr wichtig, die Erkrankten und ihre Angehörigen wieder in den öffentlichen Raum zu bringen, sie aus ihrer Isolation zu befreien«, sagt Nina Gremme. Man merkt, dass sie mit Herzblut an »ihrem« Projekt hängt. Sie will Lichtblicke in das dunkle Thema Demenz bringen und freut sich über jede Organisation, die sie dabei unterstützt und fördert – wie etwa die Nürnberger Symphoniker, die im Februar 2016 ein Konzert in der Meistersingerhalle anbieten. Unter der Leitung der Konzertmeisterin Anna Reszniak stehen Werke von Mozart, Tschaikowsky und Grieg auf dem Programm.
»Studien zeigen, dass Kunst und Musik häufig als Medium dienen, selbst zurückgezogene Menschen mit Demenz emotional zu erreichen. So können auch die dazugehörigen Erinnerungen aktiviert werden«, erläutert Eva Adorf, Diplom-Psychogerontologin und ebenfalls Mitarbeiterin der Gerontopsychiatrischen Fachkoordination.
Überhaupt sei Musik der »Königsweg« für Demente. Sie könne im kranken Menschen »Erinnerungsinseln« wachrufen, biografische Emotionen wecken. Aber Betreuer und Angehörige von dementen Menschen werden umdenken müssen: Nicht mehr »Lili Marleen« gehört zum Standardrepertoire gemeinsamer Singstunden. Inzwischen tragen eher Songs von den Beatles und den Rolling Stones dazu bei, alte Erinnerungen hochkommen zu lassen. »The Times They Are A-Changin« stellte schon Bob Dylan 1964 fest.
Gremme und Adorf hoffen, dass künftig nicht nur die Sonder-Konzerte der Symphoniker zum festen Bestandteil ihres Jahresprogramms gehören. Das Projekt »Dialog: Kultur und Demenz« soll vielmehr in die unterschiedlichsten Richtungen ausgebaut werden. Nur so könne man einen »dialogischen Prozess« zwischen Menschen mit Demenz, ihren Angehörigen und der Gesellschaft in Gang setzen.
Die Voraussetzungen, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht, sind geschaffen. Bleibt der Apell an alle Kulturschaffenden in der Metropolregion, dieses Angebot nach Kräften zu unterstützen. Schließlich hat der Großraum Nürnberg in Sachen Kunst und Kultur viel zu bieten. Museumsbesuche, inklusive Konzerte, Stadtführungen und passgenaue Kinobesuche können ein Stück mehr Lebensqualität in die betroffenen Familien bringen. Und dafür lohnt sich der Aufwand allemal, denn »das Herz wird nie dement«, wie es im Flugblatt zum Projekt hoffnungsvoll heißt.
Karin Jungkunz; Fotos: Mile Cindric
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