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Rudern beim Fernsehen macht fit

Weltweit bekannt geworden ist das Erlanger Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS), als dort in den 1980-er Jahren Wissenschaftler das Audiocodierverfahren MP3 entwickelt und damit die Art und Weise revolutioniert haben, mit der wir heute Musik speichern und hören. Doch die Forscher beschäftigen sich auch mit dem demographischen Wandel. Sechs+sechzig sprach mit Institutsleiter Prof. Albert Heuberger (55) über Technik für Ältere und welche Rolle sie künftig spielen wird.

Erlanger Fraunhofer-Institut hat intelligenten Wohnzimmer-Sessel entwickelt
Erlanger Fraunhofer-Institut hat intelligenten Wohnzimmer-Sessel entwickelt

Weltweit bekannt geworden ist das Erlanger Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS), als dort in den 1980-er Jahren Wissenschaftler das Audiocodierverfahren MP3 entwickelt und damit die Art und Weise revolutioniert haben, mit der wir heute Musik speichern und hören. Doch die Forscher beschäftigen sich auch mit dem demographischen Wandel. Sechs+sechzig sprach mit Institutsleiter Prof. Albert Heuberger (55) über Technik für Ältere und welche Rolle sie künftig spielen wird.
Interview: Ilona Hörath
sechs+sechzig: Herr Prof. Heuberger, wie wird aus einem herkömmlichen Fernsehsessel ein »intelligenter Fitnesstrainer«?
Heuberger: Sie meinen sicher den Sessel GEWOS (Gesund wohnen mit Stil, d. Red.), den wir als Fraunhofer IIS in einem Forschungsprojekt gemeinsam mit einem Möbelhersteller entwickelt haben. Ältere Menschen verbringen oft viel Zeit in einer klassischen Sitzposition, zum Beispiel vor dem Fernsehgerät. Die Idee war es, neue technische Möglichkeiten auszuprobieren und Menschen zu mobilisieren, in ihrem bevorzugten Sitzmöbel auch ein Trainingsprogramm zu absolvieren.
Wie soll das funktionieren?
Im Inneren des Sessels befinden sich Sensoren, Platinen und Mikrosystemtechnik, die in Sitzkissen, Rücken- und Armlehne eingebaut ist. So können Werte wie Herzfrequenz, Blutdruck oder Sauerstoffsättigung des Blutes gemessen werden. Liegen diese Werte nicht innerhalb eines vorgegeben Bereichs, empfiehlt der Gesundheitsassistent Bewegung. Bei dem Sessel lassen sich dann etwa die Armlehnen zurückklappen und in ein Rudergerät verwandeln: Der Sessel wird zum intelligenten Fitnesstrainer, der auch an ein TV-Gerät angeschlossen werden kann, um etwa Trainingsübungen abzurufen.
Mit welchen anderen Entwicklungen, die für die Älteren wichtig sind, beschäftigen Sie sich außerdem?
Bereits vor über fünf Jahren haben wir ein Fitness-Shirt entwickelt, in das leitfähige textile Elektroden eingearbeitet sind, um etwa ein EKG zu erfassen. Herz- und Atemfunktion können also überwacht werden und im Notfall gemeldet werden. Das Shirt kann aber auch für andere Gruppen verwendet werden, denn es trägt dazu bei, bei kritischen Rettungs- und Löscheinsätzen die Gesundheit der Feuerwehrleute zu kontrollieren. Als Medizinprodukt ist es aber noch nicht zugelassen.
Ein anderes Beispiel ist das aktuelle Forschungsprojekt Insyde. Hier arbeiten wir im Verbund mit mehreren Partnern an einem intelligenten Pflegesystem für die Prävention und Behandlung von Wunden, wie sie bei bettlägerigen Patienten oder Pflegebedürftigen häufig auftreten. Es geht darum, das Wundliegen zu vermeiden. Daher entwickeln wir eine spezielle Matratze, in die Sensoren eingebaut sind. Diese messen die Druckverteilung und erkennen die Liegeposition und schlagen eine entlastende Position vor.
Sie kooperieren unter anderem auch mit dem Nürnberger ZAD, dem Zentrum für alternsgerechte Dienstleistungen. Eine der jüngsten Veranstaltungen drehte sich um das Thema »Wissen, was ältere Menschen wollen«. Was wollen ältere Menschen?
In der Kooperation mit dem ZAD beschäftigen wir uns sehr intensiv damit, inwiefern Technik generell akzeptiert und welche technische Unterstützung tatsächlich benötigt wird. Technik muss funktionieren und bedienbar sein, und sie muss Senioren einen Mehrwert bieten. Das ZAD trägt mit seiner psychogerontologischen Expertise dazu bei, herauszufinden, wie man die ältere Generation erreicht und wie man Dienstleistungen und Produkte auslegt, damit sie ihnen nützlich sind. Unser Ziel als Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen ist es letztendlich, angewandte Forschung zu betreiben, neue Technologien auszuprobieren und Technik zu entwickeln, die in Produkte umsetzbar ist und den Menschen hilft.
Nicht alle Senioren sind vom Technikeinsatz hellauf begeistert, weil sie sich zum Beispiel nicht bevormunden lassen möchten oder weil sie einen »Stigmatisierungseffekt« sehen: Niemand soll erfahren, dass man auf spezielle Unterstützung angewiesen ist. Was geschieht, um mögliche Vorurteile abzubauen?
Studien haben gezeigt, dass ältere Menschen das »Online only« nicht wünschen, das heißt, dass bei ihnen das Bedürfnis nach sozialer Interaktion deutlich ausgeprägter ist. In klassischen Workshops oder auch in unserem Seniorenbeirat können sich Ältere einbringen und an Innovationen mitwirken. Es gilt, das kreative Potenzial der Nutzer zu erschließen. Senioren haben einen speziellen Blick auf Dinge, an die vorher möglicherweise niemand gedacht hat, wie zum Beispiel der Griff eines Gehstocks gestaltet werden könnte. Solche Fragen thematisieren wir im Rahmen eines »Open Innovation«-Konzepts.
Wie sieht Ihr Blick in die Zukunft aus? Welche Rolle wird die Technik für Ältere spielen?
Zukünftig werden sie wesentlich mehr technische Hilfe in Anspruch nehmen, da sie den Umgang mit Technik, zum Beispiel mit Smartphones und dem Internet, gelernt haben und über eine technische Grundaffinität verfügen. Die Technik wird besser und preiswerter werden und auch flächendeckend eingesetzt werden, etwa, um im ländlichen Raum häusliche Pflege mit Hilfe von IT-Unterstützung zu verbessern.

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