Anzeige

Pflege: Dieser Berufsstand hat mehr verdient

Der Mindestlohn bringt starke Veränderungen in die Pflege. Die Pflegekommission, in der Vertreter von privaten, öffentlich-rechtlichen sowie kirchlichen Pflegeeinrichtungen sitzen, hat schon vor vier Jahren einen speziellen Mindestlohn für die Branche festgelegt, der jetzt zum Jahresende ausläuft. Nun soll dieser Mindestlohn weiter angehoben werden. Rund 780.000 Beschäftigte in bundesdeutschen Einrichtungen werden davon profitieren. Manche allerdings nehmen die neue Errungenschaft gar nicht an, wie ein Nürnberger Beispiel zeigt.

Der gesetzliche Mindestlohn würde Pflegehelferin Sabine Fierus finanziell schlechter stellen.
Der gesetzliche Mindestlohn würde Pflegehelferin Sabine Fierus finanziell schlechter stellen. Foto: Michael Matejka, NN-Archiv

Die engagierte Arbeit von Frauen und Männern im Pflegedienst muss gerade in Zeiten des Fachkräftemangels angemessen bezahlt werden, um Mitarbeiter weiter zu motivieren und zu halten. Deshalb hat die Pflegekommission, in der Vertreter von privaten, öffentlich-rechtlichen sowie kirchlichen Pflegeeinrichtungen sitzen, schon vor vier Jahren einen speziellen Mindestlohn für die Branche festgelegt, der jetzt zum Jahresende ausläuft. Vor kurzem hat man sich darauf geeinigt, diesen Mindestlohn weiter anzuheben. Rund 780.000 Beschäftigte in bundesdeutschen Einrichtungen werden davon profitieren. Manche allerdings nehmen die neue Errungenschaft gar nicht an, wie das Nürnberger Beispiel zeigt.
Sabine Fierus verzichtet auf den ihr zustehenden Pflege-Mindestlohn. Und das, obwohl er ab 1. Januar nächsten Jahres von 9,00 auf 9,40 Euro pro Stunde im Westen und von 8,00 auf 8,65 Euro im Osten Deutschlands ansteigen soll. “Mit dem beschlossenen Mindestlohn würde ich mich verschlechtern”, versichert die 47-jährige Pflegehelferin. Sie arbeitet im “Sozialzentrum der Diakonie Nürnberger Süden”, einer gemeinnützigen GmbH. Dort bezahlt man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nach den Vorgaben der Pflegekommission, sondern nach dem Tarif der Arbeitsvertragsrichtlinien von Caritas und Diakonie (AVR).
“Dieser Tarif liegt bei Pflegehelferinnen und -helfern schon heute bei umgerechnet 11,20 Euro pro Stunde”, erläutert der Geschäftsführer des Sozialzentrums, Bernd Michelberger. Ab Januar 2015 dürfte er nochmals auf etwa 11,35 Euro ansteigen. Das sind immerhin 1,95 Euro mehr als der gesetzliche Mindestlohn, der jetzt zum Januar 2015 in Kraft tritt und überall dort gilt, wo der Pflegemindestlohn nicht gezahlt wird, etwa bei der Pflege in Privathaushalten.
Vor zwölf Jahren hat der heute 55-jährige Michelberger mit dem Bau eines Alten- und Pflegeheims in der Barlachstraße in Nürnberg-Herpersdorf begonnen und 35 Mitarbeiter eingestellt. Heute umfasst das Sozialzentrum zwei Alten- und Pflegeheime, zwei ambulante Dienste, vier Kindergärten, einen Hort, den Lieferdienst “Essen auf Rädern” und 104 Wohnungen für “Betreutes Wohnen”. “Eben alles, was zur Kinder- und Seniorenversorgung gehört”, sagt der gelernte Sozialwirt. Aus dem Pionier-Team ist inzwischen ein Stab von 250 Mitarbeitern geworden.
 
Zuschuss für Kinderbetreuung
Was für Sabine Fierus, eine alleinerziehende Mutter einer 13-jährigen Tochter, und ihre Kolleginnen die Stelle so attraktiv macht, ist jedoch die Tatsache, dass zum Gehalt und zum Weihnachts- und Urlaubsgeld noch ein paar finanzielle Bonbons hinzukommen. So erhält sie von ihrem Arbeitgeber monatlich 50 Euro für ihr schulpflichtiges Kind, vom ersten bis zum letzten Schuljahr. Für jedes Kind einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters, das einen Kindergarten besucht, steuert das Zentrum 40 Euro im Monat bei. Wer sich durch Sport fit hält, bekommt 40 Euro Zuschuss zu seinem Beitrag für den Sportverein oder das Fitnessstudio. “Dass wir den Dienst zu ungünstigen Zeiten ebenso bezahlen wie den Bereitschaftsdienst, ist eine Selbstverständlichkeit”, betont Michelberger, ebenso wie die Tatsache, dass auch Dienste zu ungünstigen Zeiten oder Bereitschaftsdienste extra vergütet werden.
Ein Prozent der Bruttolohnsumme aller Gehälter stellt die Firma zusätzlich für familienorientierte Zwecke bereit, pro Jahr rund 40 000 Euro. Das brachte der Diakonie-Einrichtung, zu der neben den Ortsteilen Herpersdorf, Weiherhaus, Gaulnhofen, Kornburg, Worzeldorf, Pillenreuth und Roter Bühl auch Gerasmühle, Koppenhof, Krottenbach, Reichelsdorf und Mühlhof als Einzugsgebiet gehören, ein Zertifikat der bayerischen Staatsregierung als familienfreundliches Unternehmen ein.
Und diese soziale Haltung rechnet sich. Es herrscht kaum Fluktuation unter den Mitarbeiterinnen – 95 Prozent sind Frauen – und den Mitarbeitern. Michelberger: “Wir schreiben am Jahresende immer eine Schwarze Null.” Kein Wunder, bei einer hundertprozentigen Belegung der Einrichtungen.
Auch die Caritas zahlt wie die Diakonie bundesweit ihre Pflegekräfte und Pflegehilfskräfte nach AVR-Tarif, also über dem Niveau des speziellen Mindestlohns der Branche. Freilich sind solche finanziellen Gesten, wie sie im Sozialzentrum Süd des Mitarbeiters Herz und Budget erfreuen, die Ausnahme. Sabine Fierus, für die der Pflegeberuf auch ein ganzes Stück Berufung ist “»ich habe meiner Oma schon als Elfjährige mit Hingabe die Kompressionsstrümpfe angezogen”), macht es Freude, alte und pflegebedürftige Menschen zu umsorgen. Und dass auch sie sich wertgeschätzt sieht, dass das Miteinander auf Station gut ist und das Einkommen stimmt, das sind Kriterien, die sich in ihrem täglichen Dienst am Menschen positiv niederschlagen. “Mir macht meine Arbeit einfach Freude.”
Die Leistungen im Sozialzentrum Nürnberger Süden sind indes nicht die Regel. Der Nürnberger CSU-Politiker Hermann Imhof sieht als Patienten- und Pflegebeauftragter der Bayerischen Staatsregierung durchaus Verbesserungsbedarf. Für ihn geht es auch um einen “ethischen Maßstab”. “Wie gehen wir mit unseren alten und pflegebedürftigen Menschen um? Welche Wertschätzung erfahren diejenigen, die sich in den Dienst des Nächsten stellen?”, fragt der Landtagsabgeordnete.
“Wertschätzun”«, betont Imhof, “hat in unserer Gesellschaft jedoch auch sehr stark mit Bezahlung zu tun. Mitarbeiter in der Pflege müssen ihre Familien ernähren können.” Jemand, der in der Fachpflege arbeitet, muss nach Einschätzung des 61-jährigen Sozialpolitikers mindestens 3000 Euro brutto verdienen.
Dass die einen Arbeitgeber nach dem Tarif des Öffentlichen Dienstes, andere wie Diakonie und Caritas nach AVR, also tarifähnlichen Maßgaben, bezahlten, mache es nicht gerade einfach. Es gebe, so Imhof, immer noch Pflegeeinrichtungen, die “das Gehaltsniveau so stark unterlaufen, dass man ordnungspolitisch eingreifen muss. Es kann nicht sein, dass in einem Heim Mitarbeiter ordentlich entlohnt und wenige Kilometer entfernt bis zu 800 Euro weniger bezahlt werden”. Deshalb müsse es ein Anliegen der Politik sein, verbindlich ein einheitliches Lohnniveau zu schaffen.
 
Die finanziellen Bedingungen müssen stimmen
Gleichzeitig will Imhof das ehrenamtliche Engagement weiterhin gestärkt wissen. Hand in Hand mit Fachkräften sollte ein Netzwerk entstehen, das auch pflegende Angehörige, die mal zum Friseur oder einfach mal ausspannen wollten, auffängt. Zwei Drittel aller Pflegebedürftigen werden zu Hause von Angehörigen gepflegt. “Sie sind die wahren Heldinnen und Helden unserer Gesellschaft.” Als Beispiel berichtet Imhof von einer 35-Jährigen, die oft zehn Mal in der Nacht aufstehe, um ihre demente Mutter zu versorgen.
Hermann Imhof ist sich sicher, dass nicht wenige junge Menschen sich für den Beruf der Krankenschwester oder der Altenpflegerin entscheiden würden, wenn auch die finanziellen Bedingungen stimmten. Das gelte auch für junge Männer. Die Bereitschaft, einen Pflegeberuf zu ergreifen, sei durchaus vorhanden.
Im Nürnberger Süden will man sich nicht auf staatlichen Zertifikaten und lobenden Urkunden ausruhen. Bernd Michelberger, der auch als Dozent am Berufsbildungszentrum der Bayerischen Wirtschaft Vorlesungen hält, weiß, dass von den Mitarbeitern in der Pflege eine ganze Menge verlangt wird. Für ihn steht aber auch fest, dass sie es deshalb nicht für “Gotteslohn” tun müssen.
Die Pflegehelferin Sabine Fierus freut sich derweil schon auf Weihnachten. Warum? “Da gibt es wieder eine Ente. Zusätzlich zur Grati.”
 
Günter Dehn

 
Mit Weiterbildung gegen den Pflegekräfte-Engpass
Es gibt wohl kaum eine Berufsgruppe, deren Zukunft so stark vom demographischen Wandel geprägt wird, wie die Altenpfleger. Während auf der einen Seite die Zahl der Patienten, die auf professionelle Pflege angewiesen sind, deutlich ansteigen wird, sinkt auf der anderen Seite die Zahl der Erwerbspersonen. Das Ringen um Pflegekräfte wird also zunehmen. »Die Beschaffung, Gewinnung und das Halten von Fachkräften wird wichtiger«, sagt Alexander Kubis vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufs-forschung (IAB) in Nürnberg.
Bisher gebe es grundsätzlich keinen flächendeckenden Fachkräftemangel in der Altenpflege, so Kubis. Allerdings gibt es durchaus regionale Unterschiede. Bis eine freie Stelle in den »medizinischen und nichtmedizinischen Gesundheitsberufen« wieder besetzt ist, vergehen in den alten Bundesländern 99 Tage, im Osten sind es sogar 125. Auch sei es schwierig, qualifi-ziertes Personal zu bekommen. Von insgesamt 20.000 sofort zu besetzenden Stellen im 4. Quartal 2013 geht das IAB aus. »Die Engpässe sind da«, sagt Kubis. Und das, obwohl die Zahl der Altenpflegerinnen und -pfleger im Jahr 2013 sogar um 5,7 Prozent gestiegen ist.
Für die Arbeitgeber bedeutet diese Entwicklung, dass sie sich künftig verstärkt ins Zeug legen müssen, um ihren Fachkräftebedarf zu decken. Die Frage nach einer adäquaten Entlohnung für die körperlich harte, durch Maschinen nicht zu ersetzende Arbeit wird daher immer wichtiger. Allein durch Zuwanderung aus dem Ausland wird sich der Mangel nicht beheben lassen, denn die Sprachbarriere ist speziell im Pflegeberuf ein echtes Hemmnis.
In der Weiterbildung sieht Kubis den wichtigsten Weg, den Engpass zu beseitigen. Viele Arbeitslose können sich eine Beschäftigung in diesem Bereich vorstellen, so der Wissenschaftler.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Skip to content