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Ungewöhnliche Hilfsgemeinschaft im Forchheimer Land

Friederike Hluchy (rechts) beim Besuch von Frau S. (links). Beide verbindet eine ungewöhnliche Hilfsgemeinschaft. Foto: Mile Cindric
Friederike Hluchy (rechts) beim Besuch von Frau S. (links). Beide verbindet eine ungewöhnliche Hilfsgemeinschaft. Foto: Mile Cindric
Es ist ein Glücksfall«, sagt der 79-jährige Albert R.*. »Es ist ein Segen«, stimmt ihm seine Ehefrau Anna*, 81, zu und ergänzt: »Als Frau Böhm hierher kam, hat meine Genesung angefangen. Mir ist eine Last von den Schultern genommen worden, und meinen beiden Männern auch. Das hat mich seelisch wieder aufgebaut.«
Roswitha Böhm hört das dicke Lob des Ehepaares nicht. Dabei ist die 60-Jährige gerade in ihrem Haus unterwegs, um »das bisschen Haushalt« zu erledigen. Uneigennützig, wie Anna und Albert R. schwärmen, jede Woche, seit anderthalb Jahren schon. Der Fußboden glänzt, nirgends liegt ein Stäubchen. Nun wirbelt die Helferin durch die obere Etage, putzt Fenster, bügelt.
Ermöglicht hat die praktische Hilfe im Alltag die gemeinnützige Seniorenhilfe-Genossenschaft »Wir für uns« mit Sitz in Heroldsbach im Landkreis Forchheim. »Ich bin der Genossenschaft so dankbar«, bricht es aus Anna R. heraus, »aber noch dankbarer bin ich den Helfern. Sie opfern ihre Freizeit, um Alten und Gebrechlichen einen schönen Lebensabend zu bereiten. Ich glaube, dass ich daheim im eigenen Reich wohnen darf, hilft mir auch.«
Hätte ihr Sohn ihr nicht ins Gewissen geredet, hätte Anna R. ihr Zuhause in Hausen (Oberfranken) wohl verlassen und in ein Heim umziehen müssen. »Es muss etwas passieren! So geht es nicht mehr weiter, Mutti!«, hatte der 46-Jährige gesagt. Tatsächlich blieben sämtliche Hausarbeiten damals noch an ihrem Sohn, obgleich beruflich stark eingespannt und längst woanders lebend, und dem betagten Ehemann hängen. Denn Anna R. ist Osteoporose-Patientin und kann sich nur auf Krücken und unter Schmerzen bewegen – trotz zehn Operationen in nur zweieinhalb Jahren.
Inzwischen braucht der Sohn nur noch am Wochenende aus Forchheim zu kommen, um die Wäsche zu waschen und zu ko-chen, berichtet die frühere kaufmännische Angestellte. Den Rest der Hausarbeit erledigt jetzt für einen Stundensatz von acht Euro die Genossenschaft, an die sich das Ehepaar R. gewandt hatte.
Eine Lücke wurde geschlossen
»Wir für uns« wurde im September 2011 gegründet, nach einer rund zweijährigen Vorbereitungszeit. »Wir wollten eine Lücke schließen«, sagt Mathias Abbé (66), früherer Siemens-Mitarbeiter und einer der Gründerväter. »Benötigt jemand ambulante medizinische Pflege, übernehmen dies natürlich auch in Heroldsbach und Hausen die großen sozialen Hilfsorganisationen mit ihren mobilen Pflegediensten. Daneben bleiben aber viele alltägliche Aufgaben wie einkaufen, waschen, putzen, die ältere Menschen nicht immer allein bewältigen können. Oft können die Familie, Freunde oder Nachbarn helfen, aber häufig auch nicht, oder die Hilfe muss teuer gekauft werden,« so lauteten die Ausgangsüberlegungen der Aktivisten. An den Start ging die in Bayern beispiellose Seniorenhilfe-Genossenschaft mit 48 Mitgliedern, mittlerweile sind es 65 – darunter 28 aktive Helfer. Bisher wurde 40 Menschen Hilfe zuteil, zwanzig werden derzeit regelmäßig betreut – von sozial engagierten Leuten wie eben Roswitha Böhm.
Anruf genügt
»Es gab ein Schlüsselerlebnis mit meiner Mutter«, erinnert sich die 60-jährige Vorruheständlerin Böhm. Damals ging die Bekleidungstechnikerin noch arbeiten. Als sie eines Abends nach Hause kam, fand sie ihre Mutter im Schlafzimmer auf dem Bett sitzend. »Es war kalt, und sie war nicht angezogen!« Seit dem frühen Morgen hatte sie auf Hilfe gewartet. Die Mutter hatte geglaubt, Roswithas Sohn und ihre Schwiegertochter alarmiert zu haben. In Wirklichkeit hatte sie das vergessen. »
Mir wurde klar, dass damit der Tag gekommen war, von dem an wir Hilfe brauchten. Doch bis die entsprechende Maschinerie anlief – das dauerte!«, berichtet Böhm. Eine Nichte, die arbeitslos war, sprang zum Glück ein. »Fortan war sie drei Tage in der Früh für die Mutter da, und ich trug die Sorge in der restlichen Zeit. Das ging wunderbar. Auf diese Weise konnte ich es Mutter ermöglichen, zu Hause zu sterben – genau, wie ich es versprochen hatte.« Die Geschichte, sagt Roswitha Böhm, habe sie eines gelehrt: »Menschen, die Hilfe brauchen, brauchen sie schnell – ohne viel Bürokratie.«
Tatsächlich genügt bei »Wir für uns« ein Anruf. Fünf Disponenten wechseln sich wochenweise ab, um montags bis freitags zwischen neun und zwölf Uhr Wünsche entgegenzunehmen und an den passenden Helfer weiterzugeben. »Wir helfen allen ab 60, die aus körperlichen, geistigen oder seelischen Gründen auf Hilfe angewiesen sind«, erzählt Mathias Abbé. Ganz im Sinne des Mottos: »Gemeinsam statt einsam«. Genossenschaftsmitglied müsse keiner der Senioren werden, versichert Vorstand Abbé. »Wir sind eine gemeinnützige Organisation.« Das Spektrum der Aufgaben reiche vom sporadischen Rasenmähen über Fahrt- und Begleitdienste bis hin zur stundenweisen Betreuung von Demenzkranken. Die praktische Alltagshilfe sei dabei stets nur das eine. Das Gefühl, nicht verloren zu sein, das andere. »Hier ist eine Genossenschaft entstanden, die sich auch um die seelischen Nöte kümmert«, sagt Abbé.
Die 85 Jahre alte Elfriede S.* würde zustimmen – wenn sie es könnte. Aber sie erinnert sich nicht einmal mehr genau, wer auf den Fotos abgebildet ist, die in ihrem gemütlichen Wohnzimmer in Heroldsbach hängen. Damit die Seniorin nicht von morgens bis abends allein ist, kommt Friederike Hluchy regelmäßig zu Besuch. Die Mutter dreier erwachsener Kinder ist eigentlich gelernte Hebamme, hat aber nach der Familienzeit noch einmal die Schulbank gedrückt und Altenpflegerin gelernt. Eine zehnjährige Tätigkeit in der Gerontopsychiatrie schloss sich an. »Ich musste bei der Arbeit immer gegen die Zeit anrennen. Erst jetzt in der Genossenschaft kann ich mich so kümmern, wie ich mir das vorgestellt habe«, sagt die 65-Jährige, die seit zwei Jahren in Rente ist. »Wir entlasten die Angehörigen zumindest für eine gewisse Zeit und erklären auch, warum die Mutter so ist, wie sie ist. Niemanden allein zu lassen, das ist meine Maxime.« Also besucht die dreifache Oma zwei weitere Damen für »Wir für uns«, begleitet neue Helfer bei der Ausbildung und steht zudem für Supervisionen zur Verfügung.
Gemeinsames Singen verbindet
Mit Elfriede S. singt die Ehrenamtliche gelegentlich, denn singen mochte die alte Frau schon als Kind sehr gern. Alte Volkslieder wie »Ännchen von Tharau«, »Am Brunnen vor dem Tore« oder »Sah ein Knab ein Röslein stehn« erklingen. Dazu spielt Friederike Hluchy auf der Vee-Harfe. »Wir singen immer quer Beet, nicht?«, sagt die Jüngere freundlich zu der Älteren. Die beiden sitzen nebeneinander auf dem Sofa. Für einen Moment rutscht die Hand der einen in die der anderen. Ein Satz von Albert R. passt dazu: »Unser größter Wunsch ist es, bis zum Ableben daheimbleiben zu können.
Ute Fürböter
Fotos: Mile Cindric
* Namen von der Redaktion geändert
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»Wir für uns« engagiert sich in den Gemeinden Heroldsbach und Hausen mit insgesamt 8500 Einwohnern. Damit sich niemand als Almosenempfänger empfindet, werden pro Stunde acht Euro berechnet. 75 Prozent des Endbetrags stehen dem Helfer/der Helferin als Aufwandsentschädigung zu. Dieses Geld können sie sich auszahlen lassen, der Genossenschaft spenden oder als Zeitguthaben anschreiben lassen. Für den Fall, dass sie eines Tages selbst Hilfe brauchen.
Weitere Informationen im Internet unter www.wir-für-uns-eg.de
Ehrenamtlicher Helfer Mathias Abbé beim Rasenmähen im Garten von Marianne Mirschberger (rechts) in Hausen. Foto: Mile Cindric
Ehrenamtlicher Helfer Mathias Abbé beim Rasenmähen im Garten von Marianne Mirschberger (rechts) in Hausen. Foto: Mile Cindric

Eine Antwort

  1. ich finde diese idee toll, denn die jetzige generation ist beim stichwort ehrenamt auch auf geldliche unterstützung angewiesen. und auch der gedanke des ZEITGUTHABENS welches ich für mich später verwenden könnte ist sehr gut. wir wollen in unseren wohnungen alt werden, außer satt und sauber rückt doch bei dieser und zukünftigen generation immer mehr auch GEISTIGE fitness in den vordergrund. denn wer geistig wach ist, hat auch lebensfreude und dadurch energie aus seinem schicksal das beste zu machen. wir brauchen auch vielmehr senioren-netzwerke in ALLEN stadtteilen, (hier wären auch die wohnbau-ges. gefragt) wer steigt schon mit seinem city-roller 2-oder 3x um, um nicht zu vereinsamen.

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