Leo Schuh hat es sich in der Ecke seines Sofas bequem gemacht. Ehefrau Charlotte, eine kleine, quirlige Person, kommt mit ihren Fundsachen ins Zimmer: vergilbten Fotos und Dokumenten aus einem langen Leben. Einem Leben, das geprägt war von zwei großen Leidenschaften: dem Theaterspielen und dem Gesang.
Der 87-jährige Leo und seine zwei Jahre jüngere Charlotte aus der Reichenberger Straße in Langenzenn waren von Anfang an dabei, als vor 50 Jahren die Langenzenner Hans-Sachs-Theatergruppe das Licht der Welt erblickte. Über vier Jahrzehnte führte Leo Regie. Am 7. Dezember 1963 fiel der Startschuss mit Hans Sachs’ »Das Kälberbrüten«. Prominenteste Besucherin im begeisterten Publikum: die damalige Quelle-Chefin Grete Schickedanz. Leo gab den Bauern, Charlotte die Bäuerin. Improvisation wurde damals großgeschrieben.
Charlotte Schuh erinnert sich: »Viele Jahre haben wir auf dem Dillenberg beim Druidenstein im Freien gespielt. Links und rechts ein paar Holzstangen, dazwischen gespanntes Sackleinen – das war die Kulisse.« Und Leo ergänzt: »Es hat ja auch keine Requisiten gegeben.« Also wurde in der Nachbarschaft und in den umliegenden Dörfern geschnorrt: Milchkannen, irgendwelches landwirtschaftliches Gerät, das zum Spiel passte, und alte Stoffe. »Und alle Kostüme wurden selbst genäht«, versichert Charlotte Schuh.
Sie kramt Fotos heraus, die ziemlich verschwommen etwas von der Atmosphäre ahnen lassen, die bei den Freilichtaufführungen auf dem Dillenberg herrschte. Zwischen den einzelnen Akten sang der Keidenzeller Gesangverein. Da hatten die wenigen Akteure etwas Zeit, sich hinter den aufgespannten Säcken umzuziehen, wenn nötig. Das Publikum kam aus fast allen 23 Langenzenner Nachbargemeinden. Die Erinnerung löst vor allem bei der 85-jährigen Charlotte einen Schwall der Begeisterung aus. Aufs Stichwort zitiert und rezitiert sie aus dem Effeff. Kein Zweifel: Hier erzählt eine Vollblutkomödiantin, eine urfränkische.
Inzwischen hat Leo die Regie abgegeben an Gaby Küffner. Und erster Vorsitzender ist nun Klaus Roscher, von dem beide Schuhs eine sehr hohe Meinung haben (»Der ist klasse.«). Charlotte indes kann’s nicht ganz lassen. So hat sie beim fränkischen »Jedermann« die Mutter gespielt. Zwei Seiten Text auswendig zu lernen, ist für sie immer noch kein Problem. Auch die Texte aus den frühen Jahren sind gespeichert und jederzeit abrufbar. »Hans Sachs passt auch 500 Jahre später in unsere Zeit«, sagt sie, »damals wurden die Leut’ beschissen, und heute auch.«
An die 30 Frauen und Männer gehören heute zur Hans-Sachs-Spielgruppe im Landkreis Fürth. Im Langenzenner Klosterhof führen sie jedes Jahr drei Stücke des dichtenden und singenden Schuhmachers Sachs auf. Gleichwohl wird nicht nur Sachs gespielt: Der »Brandner Kaspar« in fränkischer Mundart stand ebenso auf dem Programm wie der erwähnte »Jedermann«.
So kam es nicht von ungefähr, dass sich mit den Jahren doch einiges an Requisiten, Kostümen und größeren Geräten angehäuft hat und man nicht mehr wusste, wohin damit. Da traf es sich gut, dass eine Bäuerin aus dem Ortsteil Laubendorf ihre Scheune zum Verkauf anbot. Das war 1996. Preis: 23.000 Mark. Die »Sachser« sind heute noch stolz darauf, dass sie das zweistöckige Gebäude mit eigenen Mitteln erstanden haben. »Jeder, der konnte, gab 5.000 Mark und bekam dafür einen Schuldschein«, erläutert Leo Schuh. Und seine bessere Hälfte ergänzt: »Nach ein paar Jahren hatten wir den Kaufpreis eingespielt, und jeder bekam sein Darlehen wieder zurück.«
Das theaterbesessene Ehepaar Schuh schaut ein wenig wehmütig zurück auf diese ausgefüllten und erfüllten Jahre; aber auch auf die Zeit vor dem Start ins Langenzenner Schauspielerdasein. Die beiden sind bereits vor ihrer Eheschließung – in diesem Jahr sind sie 65 Jahre verheiratet – als Duo aufgetreten, in den Langenzenner Nachbardörfern. Nicht nur mit fränkischen Liedern, sondern auch mit Berliner Gassenhauern. »Einen Quetscher haben wir immer dabei gehabt«, erinnert sich Charlotte. Ohne die Begleitung eines Schifferklaviers ging es einfach nicht. Das war Ende der Vierziger, Anfang der Fünfziger Jahre. »Da war’n die Leute hungrig nach Abwechslung«, weiß Ehemann Leo, »nach dem Krieg.« Da zeigten sich auch die ersten Keime bundesdeutscher Reiselust. Anfang der Fünfziger fuhren auch die Schuhs auf ihrer Herkules zum ersten Mal nach Italien. »Abenteuerlich war das mit dem Koffer und der Frau hintendrauf«, schmunzelt Leo.
Heutzutage haben sie es mit dem Reisen nicht mehr. Aber das Singen und das gemeinsame Auftreten – das wollen sie noch nicht aufgeben. Einmal im Monat singen sie Fränkisches und Frühlingslieder im Altenheim, begleitet von ihrem »Quetscher«. Und zwischendurch trägt Charlotte Schuh heitere Gedichte vor. Auf Weihnachten freut sich die 85-Jährige schon jetzt. »Da sind wir in der Rossendorfer Kirche. Der Kinderchor singt, und ich lese eine Weihnachtsgeschichte vor.«
Günter Dehn
Fotos: Michael Matejka