Anzeige

Da komme ich als Dilettant rüber: Der alte Dürer wehrt sich

Wenn der alte Meister sprechen könnte, würde er sich über die Glorifizierung seines Frühwerks beschweren, meint unser Magazin 66-Autor. Foto: oh
Um Vergebung bitte ich zunächst, werte Leser des Magazins sechs+sechzig, dass ich nicht einmal das Alter dieses Titels erreicht habe. Ich, Albrecht Dürer, bin keine 57 geworden, erst recht nicht 66. Aber das war damals so. Gegen die Malaria gab es kein Mittel. Daher der frühe Tod.
Vergeben Sie weiterhin, dass ich mich erst so spät in diesem »Jahr der Kunst« an Sie wende, das mich nach Strich und Faden durchgewalkt und bis zum letzten Farbtröpflein ausgepresst hat. Nun jedoch habe ich den Überblick über die vielfältigen Missbräuche meiner Person gewonnen. Also wendet sich gleichsam der »späte Dürer« an Sie. Der frühe ist schließlich total ausgelutscht.
Aber war ich denn so früh wirklich so gut? Ich weiß, den Nürnbergern gilt jede Kritzelei von mir als Meisterwerk. Jeden Schmierzettel jubeln sie zur Genie-Leistung hoch. Doch erinnern Sie sich nur an diese »Haller Madonna«, welche die unglücklichen Kuratoren des Germanischen Museums gar zum Plakatmotiv ihrer Ausplünderung meiner Lehrjahre gewählt hatten. Sie hing in der ganzen Stadt und in der halben Welt, und ich habe mich dafür ein bisschen geschämt. Die Armhaltung des Jesuskindes ist völlig unnatürlich. Da stimmt nichts. Da komme ich als Dilettant rüber. Und das verletzt meine Eitelkeit, die ich durchaus pflege, wie man an meinen Selbstbildnissen ablesen kann.
Warum denn nicht der späte, der wirklich gute Dürer: die »Melencolia«, die »Vier Apostel«, meinetwegen sogar die Proportionslehre. Die musste ich ja aufstellen, damit ich endlich Frauenkörper malen konnte. Die frühen sind fast alle misslungen. Die Brüste meiner »Eva« sind unmöglich. Aber sie wurden im Museum zur Schau gestellt. Was nützt mir die ganze Lobhudelei, wenn man sehen kann, wo ich nicht gut war? Offenbar haben meine Bilder diese Museums-Menschen nicht wirklich interessiert. Sie wollten sie nur durchleuchten, um festzustellen, wie es darunter aussieht. Röntgenaufnahmen von Dürer – mit lautem Brimborium angepriesen! Dazu ist der Aufbruch der Wissenschaften in meiner Renaissance im 21. Jahrhundert also verkommen!
Aber ich habe den Pfeffersäcken Nürnbergs immer misstraut. Daher war ich so froh, dass ich als »später Dürer« die richtigen Promi-Kontakte zu Kaiser Maximilian aufbauen konnte. Da floss die Leibrente. Da kamen die großen Propaganda-Aufträge: Triumphpforte und so. Aber mit Propaganda darf man in dieser Stadt aus bekannten Gründen nicht mehr prunken. Vielleicht auch deshalb die Fixierung auf meine Frühphase.
Wie auch immer: Nürnberg hat meinen Namen überall so erfolgreich verkauft, dass ich große Angst davor habe, bei der anstehenden Kampagne für den kränkelnden Christkindlesmarkt als Rauschgoldengel herhalten zu müssen. Sollte es so weit kommen, dann schreiten Sie, werte, weise Leser des Magazins sechs+sechzig, bitte ein und machen Sie dem Dürer-Wahn ein Ende!
AD-Protokoll: Herbert Heinzelmann
Albrecht Dürers Haller Madonna, Washington National Gallery of Art, Kress Collection

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Skip to content