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In Büchenbacher Hochhäusern gedeiht die Nachbarschaftshilfe

Eine muntere Runde, die eine lebendige Nachbarschaft pflegt von links nach rechts: Kunibert Wittwer, Heidi Schubert-Wittwer, Sophie Wingert, Gertrud Meister, Lisa Gilardoni, Elfriede Rank, Brunhilde Koschatzky, Heinz Koschatzky, Ezio Gilardoni und Wilma Thomas bei einem Treffen in der Wohnung von Herrn Wittwer und Frau Schubert-Wittwer. Foto: Mile Cindric
Es hatte nach einer Kompromisslösung ausgesehen, als Karla Bald im Jahr 1993 in ein Hochhaus in Erlangen-Büchenbach zog. In einem Wohnturm mit so vielen Menschen zu leben – das war nicht unbedingt das Ziel der damals 52-Jährigen. Aber die Wohnung war für sie erschwinglich gewesen. Zudem könne es auch ganz nett sein, mit vielen Leuten zusammenzuleben, wenn man älter wird und nicht mehr so mobil ist wie in jungen Jahren, überlegte Bald. Sie erlebte rasch, dass eine ganze Reihe von Menschen in ihrem Umfeld ähnlich dachte. Sie traf sie im Aufzug, im Treppenhaus, beim Einkaufen, beim Spazierengehen am Kanal.
Es gehört Mut dazu, andere anzuschreiben
Neun Jahre nach dem Einzug in das schicke Zuhause am Europakanal fasste sie den Entschluss, eine Gruppe zu gründen mit Menschen ihrers Alters, die die Gemeinschaft suchen, vielleicht sogar Hilfe benötigen. »Es gehört allerdings schon etwas Mut dazu, fremden Menschen einen Brief zu schreiben und sie zu sich einzuladen«, sagt sie heute. Karla Bald hatte den Mut, auch wenn sie ein ganzes Jahr mit sich gerungen hatte. Doch dieser Mut hat sich gelohnt. Denn die zwölf Hochhaus-Nachbarn, die sie angeschrieben hatte, dachten und fühlten damals wie sie, elf kamen zum ersten Treffen. »Wir haben unsere Vorstellungen von Nachbarschaftshilfe und Wohnen im Alter erläutert, und dabei ist dann eine ganz wunderbare Seniorengemeinschaft entstanden«, berichtet Karla Bald.
Am Anfang sei man sich freilich etwas fremd gewesen, gesteht sie, doch bald habe man sich geduzt, gemeinsam Ausflüge gemacht, füreinander eingekauft. Eine alte Dame aus dem Hochhaus, die krank war, wurde bekocht, eine andere, Schwerkranke, hat die Gruppe sogar am Sterbebett begleitet und »die Zeit tropfen lassen«, wie es Karla Bald ausdrückt. Jetzt ist die Nachbarschaftshilfe im Umbruch. Zwei Ehepaare wollten nicht mehr an den Treffen teilnehmen, zwei ältere Bewohner verstarben, aber dafür sind fünf neue Nachbarn zur Gruppe gestoßen, die sich regelmäßig einmal im Monat trifft.
Das Engagement von Karla Bald ist inzwischen in größeren Wohneinheiten kein Einzelfall mehr. Nur wenige Meter entfernt, in einem der anderen Hochhäuser am Kanal, hat Heidi Schubert eine ähnliche Initiative ins Leben gerufen. Schon vor 20 Jahren, als Schubert hier einzog, begrüßte sie eine Nachbarin mit den Worten: »Herzlich willkommen im Paradies«. Schon damals traf sie sich mit Nachbarn in regelmäßigen Abständen. Später übernahm Kunibert Wittwer die Organisation der Gruppe, als er Heidi Schubert heiratete und bei ihr in Büchenbach einzog. Der katholische Pfarrer Wittwer hatte sich für die Frau entschieden, die er liebte, und damit ein neues Leben begonnen.
Unter Wittwers Regie wurden Regeln aufgestellt, zum Beispiel festgelegt, dass es bei den Treffen nur eine minimale Bewirtung und einfache Getränke geben soll. »Wir wollten einen Wettlauf der besten Küchen vermeiden«, begründet Kunibert Wittwer dies. Das entlaste diejenigen, die nicht so bewandert sind in der Gastgeberfunktion.
Es werden seitdem Ausflüge vorbereitet, gemeinsam Dias angeschaut, aber auch anstehende Fragen geklärt. Einige Gruppenmitglieder haben auch Gärten, in denen man sich manchmal trifft. Kurzum: Es gibt kein festes Programm, alles wird demokratisch und nach spontanen Wünschen entschieden. Zwar gehöre die Pflege von Gruppenmitgliedern nicht zur Aufgabe des Zusammenschlusses, sagt Wittwer, aber man könne sich vorstellen, gemeinsam eine Pflegerin zu beschäftigen oder mit einer Sozialstation zusammenzuarbeiten. »Schließlich werden wir alle älter.« Inzwischen kommen bereits Bewohner anderer Häuser am Europakanal zu den Treffen, und es sei »eine ganz besondere Nachbarschaft« entstanden, in der man sich auch gegenseitig bei allen nur denkbaren Arbeiten unterstützt.
In der Volkshochschule haben Wittwer und Karla Bald bereits einen Vortrag gehalten über die Möglichkeiten des Wohnens im Alter und über Nachbarschaftshilfe; und sie haben von ihren eigenen Erfahrungen berichtet. Dabei hat Pfarrer Wittwer aufgezeigt, warum Menschen Formen gemeinschaftlichen Lebens suchen sollten, wenn sie älter werden. Und er hat auch dazu ermutigt, darüber nachzudenken, ob man so nicht mehr Lebensqualität erreichen könne.
Der Vorteil einer solchen Wohnform sei, dass man auch im Alter in der gewohnten Umgebung bleiben, und man Nähe oder Distanz zu anderen selbst festlegen könne. Dadurch würden zusätzliche Kosten oder gar Erbstreitigkeiten vermieden.
Checkliste hilft weiter
Wittwer hat eine Checkliste erstellt, mit der Interessenten prüfen können, ob die Gegend, in der sie wohnen, für solche Formen des gemeinsamen Miteinanders geeignet sind. Karla Bald und Kunibert Wittwer betonen, dass nicht nur Hochhäuser dafür solche Modelle geeignet seien. Überall, wo viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, könnten Nachbarschaftsgruppen entstehen. Sogar in einer Reihenhaussiedlung sei das möglich, wenn der Wunsch bestehe, sich auszutauschen oder gegenseitig zu helfen. Kunibert Wittwer bietet an, bei der Gründung neuer Gruppen zu moderieren und auch aus den Erfahrungen in anderen Städten zu berichten. »Wir werden alle älter, und wir müssen rechtzeitig anfangen an das Leben im Alter zu denken«, mahnt er. Und Karla Bald fügt an: »Spätestens mit 70 muss ich wissen, was ich will.«
Klaus-Dieter Schreiter; Fotos: Mile Cindric

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