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Was Ältere für ein gutes Leben brauchen

Mareen Bähr ist für Quartiersentwicklung und Stadtteilnetzwerke zuständig.

Allzu oft werden betagte Menschen als Problem gesehen. Wer soll deren Renten bezahlen, wer soll die Alten pflegen? Die Nürnberger Seniorennetzwerke zeichnen ein anderes Bild von den späten Lebensjahren. Wer alt ist, soll möglichst lange im gewohnten Umfeld selbstbestimmt leben und aktiv am Geschehen in seiner Nachbarschaft teilhaben. Offenbar eine gute Idee, denn das Projekt wächst: In diesem Jahr ist für die Altstadt und die Marienvorstadt das 20. Seniorennetzwerk gestartet.

»Die Nürnberger Seniorennetzwerke sind ein preisgekröntes Unikat«, sagt Mareen Bähr vom Amt für Senioren und Generationenfragen. Bis zum Jahr 2006 war der Austausch über die Bedürfnisse alter Menschen an großen Stammtischen mit bis zu 200 Teilnehmern und Teilnehmerinnen gepflegt worden. Unter dem früheren Sozialreferenten Reiner Prölß sei die Idee umgesetzt worden, die Dinge künftig anders, dezentral anzugehen.

»Alte Beine, kurze Wege« beschreibt Mareen Bähr, Leiterin des Fachbereichs Quartiersentwicklung und Seniorennetzwerke, den Grundgedanken. Alte Menschen sollten gut erreichbar alles finden, was sie für ein selbstbestimmtes Leben brauchen. Also sei das Stadtgebiet in möglichst homogene Quartiere aufgeteilt worden. Die Leitung der jeweiligen Netzwerke sei Projektpartnern – allesamt gemeinnützige Organisationen wie AWO, BRK, Diakonie, Malteser, Stadtmission, Nachbarschaftstreff der wbg oder der NOA – übertragen worden. 19 Frauen und ein Mann erkunden heute die Bedürfnisse im jeweiligen Viertel und organisieren die Runden Tische, an denen einmal pro Quartal alle Akteure der Seniorenarbeit zusammenkommen. Die Tätigkeit der professionellen Koordinatorinnen und des Koordinators wird von der Stadt bezuschusst. Auch viele Ehrenamtliche wirken mit.

Nürnberg ist vielfältig

Das Konzept der dezentralen Netzwerke habe sich als richtig erwiesen, versichert Mareen Bähr. Nürnberg sei total unterschiedlich, entsprechend divers sei die Nachfrage nach Angeboten. Werde in der Südstadt der gemeinsame Mittagstisch besonders gerne angenommen, kommt in Ziegelstein/Buchenbühl ein breites Sport-Angebot sehr gut an. In St. Leonhard/Schweinau treffen sich Senioren, die türkisch und russisch sprechen. Die Kulturläden sind wichtige Orte der Begegnung, herausragende Standorte für die kommunale Altenarbeit sind der Seniorentreff Bleiweiß und das Nachbarschaftshaus Gostenhof.

Ein übergreifendes Thema ist digitale Kompetenz. Hierzu gibt es in mehreren Netzwerken Service- und Fortbildungsangebote. Mareen Bähr hält dies für wichtig. Denn ohne Internet seien die Teilhabe am öffentlichen Leben oder das Nutzen von Dienstleistungen immer weniger möglich.

Die Partner im jeweiligen Netzwerk profitieren vom Mitmachen. Für ihre Angebote wird geworben. In der Broschüre für Eibach/Röthenbach etwa sind 29 Adressen für Senioren aufgeführt. Das beginnt bei einer Liste der ambulanten Dienste und endet beim Supermarkt, der an ältere Menschen im Stadtteil liefert. In Laufamholz wiederum hat sich gezeigt, dass ein sozialer Treffpunkt reicht. Und in Gebersdorf wurde kein Netzwerk gewünscht. Angebote für Seniorinnen und Senioren gibt es dort gleichwohl.

»Wir drängen uns nicht auf«, sagt Mareen Bähr. Es werde versucht, Informationen über die Netzwerke an die Zielgruppe zu bringen, und sei es mit dem Verteilen von Flugblättern vor einem Supermarkt. Aber wer sich gar nicht bewege, werde auch nicht erreicht. »Ein bisschen Eigeninitiative muss schon sein«, sagt Bähr.

Einsamkeit erschwert die Arbeit

Renate Backhaus, die Koordinatorin des Seniorennetzwerkes Altstadt, in der Cafeteria Heilig-Geist.

Dass es schwer sein kann, alte Menschen zu aktivieren, weiß auch Renate Backhaus. Kurz nachdem sie Anfang dieses Jahres als Koordinatorin des neuen Senioren-Netzwerkes für die Altstadt und die Marienvorstadt gestartet war, sei sie von einer älteren Frau angerufen worden. Sie suche jemanden zum Spazierengehen, lautete das Anliegen. Die Netzwerk-Koordinatorin schlug einen Termin vor, klingelte sogar an der Haustüre. Doch der Kontakt sei abgerissen. »Das große Problem ist die Einsamkeit«, meint Renate Backhaus. Wer sich in sein Schneckenhaus verkrochen hat, kommt nur schwer wieder heraus.

Backhaus arbeitet bei der gemeinnützigen WIN gGmbh. Diese Abkürzung steht für Wohnen und Integration im Stadtteil. Die Vorläufer-Organisation war 1924 als Nürnberger Nothilfe gegründet worden. Deren Schwerpunkt war Essen für arme Menschen. Doch 1999 wurde die Küche in der Flaschenhofstraße aufgegeben. Sie konnte nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden.

Auf der Suche nach neuen Aufgaben entdeckte der Verein den Bedarf für generationen-übergreifendes Wohnen. Er wurde Träger für ein Vorzeige-Projekt: In der Marthastraße entstand im Jahr 2014 eine Anlage mit 62 barrierefreien Wohnungen für alle Altersgruppen. Das Ziel, eine lebendige Gemeinschaft zu gestalten, wurde erreicht. Als Treffpunkt der Bewohner und Bewohnerinnen etablierte sich das von einem ehrenamtlichen Team geführte Martha-Café.

Marie 15 war der Anlass zum Berufswechsel

Dieser Erfolg beflügelte die WIN gGmbh: In der Marienstraße startete im Jahr 2022 das zweite Projekt, Marie 15. Auch hier gibt es gemeinsame Aktivität, gelebten Zusammenhalt und ein spannendes Programm im angeschlossenen Café. So etwa Jazz-Nachmittage an Sonntagen, aber auch ein solidarisches Projekt, in dem Migrantinnen und Migranten die deutsche Sprache und unsere kulturellen Eigenarten kennenlernen.

Für Renate Backhaus war Marie 15 der Anlass zum Berufswechsel. Die Diplomkauffrau und Betriebswirtin war 34 Jahre lang als Fachreferentin in der Verwaltung des Diakonischen Werkes Bayern beschäftigt. Und als das Altstadt-Seniorennetzwerk ausgeschrieben worden ist, habe sie sofort gewusst: »Das ist genau mein Ding.« Heute leistet sie je 20 Stunden für das Netzwerk sowie für die Quartiersarbeit in der Marienstraße.

Die Lorenzer und Sebalder Altstadt, die Marienvorstadt sowie der Stadtteil Himpfelshof sind der Arbeitsbereich von Renate Backhaus. Noch erforscht sie, welche Bedürfnisse die Leute in diesem Gebiet haben. Aber sie profitiert von der reichhaltigen Infrastruktur im Seniorenrathaus am Hans-Sachs-Platz. Es gibt das von 18 Ehrenamtlichen geführte Café mit Sitzplätzen im schönen Innenhof des Heilig-Geist-Spitals, der Pflegestützpunkt ist vor Ort, der Computerclub CCN 50 bietet seine Kurse an, die laut Backhaus immer stärker von Frauen genutzt werden.

Frische Impulse verspricht sich die Netzwerk-Koordinatorin vom Runden Tisch. Über ihre Arbeit spricht sie voller Freude und Zuversicht. In diesem Jahr feiert Renate Backhaus ihren 66. Geburtstag. Aber sie sagt: »Das bremst mich nicht. Zwei Jahre will ich auf jeden Fall noch machen.«

Bleibt die Frage nach dem Geld. Die Senioren-Netzwerke werden von der Stadt Nürnberg mit 750.000 Euro unterstützt. Es handelt sich um eine freiwillige Leistung, Kürzungen per Stadtrats-Beschluss sind also möglich. Mareen Bähr blickt gleichwohl optimistisch in die Zukunft, denn: »Wenn alte Menschen aktiv und selbstständig leben, sind die Kosten für Pflege geringer.« Oder anders gesagt: Man muss weniger über Probleme reden.

Text: Klaus Schrage
Fotos: Michael Matejka

Information

Alle Seniorennetzwerke sind auf der Website der Stadt Nürnberg unter nuernberg.de/internet/seniorenamt zu finden oder telefonisch über die Telefonnummer des Seniorenamtes: 0911 2316664.

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