Junge Menschen sagen heute oft »Ich hasse das«. Der Spruch ist für sie gleichbedeutend mit »Ich mag das nicht« oder »Das gefällt mir nicht«. Für Ältere ist diese Ausdrucksweise oft unverständlich: »Hassen ist mir fremd. Meine Generation hat höchstens gesagt: Ich mag das oder denjenigen nicht. Und so rede ich noch immer«, meint zum Beispiel die 71-jährige Maria Greff.
Die systemische Therapeutin Sabine Eichmüller empfiehlt, sich Zeit zu nehmen »und genauer nachzufragen, welches Gefühl tatsächlich gemeint ist«, wenn Jugendliche sich so drastisch ausdrücken. Die Heranwachsenden meinten oft nur, dass sie etwas ablehnen. Sie sieht dennoch die Gefahr, dass durch die Ausdrucksweise möglicherweise trotzdem Aggressionen nach innen wirken und die Außenwelt als feindlich wahrgenommen wird.
Zerstörung und Vernichtung
Sie und ihr Mann Helmut Eichmüller, auch er Therapeut, plädieren dafür, hier deutlich zu unterscheiden. Hass bedeute Zerstörung und Vernichtung. Doch in der Regel hasse man niemanden, sagt Helmut Eichenmüller. »Höchstens bin ich wütend.«
Was passiert, wenn Begriffe wie Hass zur Normalität werden? Helmut Eichenmüller sieht die Gefahr, dass sich ein Sprecher damit selbst in einen Kampfmodus versetzt. Der Körper schüttet Botenstoffe aus, Muskeln spannen sich an, vielleicht sinkt auf die Dauer die Hemmschwelle zu Gewalttaten – besonders, wenn Gleichgesinnte einander mit Worten hochschaukeln. Mit der Sprache fange es oft an, wenn Gewalt eskaliert. Was Hassbotschaften bei den Empfängern auslösen können, beschreibt Sabine Eichenmüller so: »Die Person fühlt sich existenziell bedroht und zieht sich zurück, das kann bis zum Trauma führen.«
Erwartung bestimmt die Wahrnehmung
Hirnforscher gehen davon aus, dass Hassrede das Denken verändert. Rainer Rosenzweig leitet Kortizes das Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs und Veranstalter des jährlichen Hirnforschungssymposiums in Nürnberg. Seines Erachtens braucht man gar nicht ins Hirn zu schauen. »Da genügen wahrnehmungs- und kognitionspsychologische Ansätze. Wir nehmen die Welt immer aus der Perspektive unserer Vorerfahrungen und Erwartungen wahr. Wenn diese durch Hassrede beeinflusst oder getrübt sind, bestimmt es das, was wir wahrnehmen und denken«, sagt er. Die Erwartung bestimme die Wahrnehmung.
Zum Beleg verweist er auf Beispiele aus dem Nürnberger Turm der Sinne. »Hier nehmen wir zwei Klötzchen als schwerer wahr als ein einzelnes, wenn diese in bestimmter Weise konstruiert sind. Warum? Weil wir erwarten, dass beide aus dem gleichen Material sind, was sie aber nicht sind.« Ähnlich ist es, wenn Frauen, die ein Kind erwarten, plötzlich überall Schwangere sehen. Unser Denken ist also immer abhängig von dem, was wir bereits denken, wissen oder zu »wissen« glauben.
Manche ziehen sich zurück
Viele Menschen machen sich ebenso wie Maria Greff Sorgen wegen der zunehmenden Aggressivität im Internet. Welche Hassreden wuchern hier besonders? Das »Kompetenznetzwerk Hass im Netz« hat das wissenschaftlich untersuchen lassen. Die Studie trägt den Namen »Lauter Hass – leiser Rückzug«. Demnach fürchten drei Viertel der Befragten, dass durch Hass im Netz auch die Gewalt im Alltag zunimmt. Mehr als die Hälfte äußerte aus Angst seltener die eigene politische Meinung, beteiligte sich seltener an Diskussionen und formuliere Beiträge bewusst vorsichtiger. Die Folge: Rückzug aus demokratischen Diskursen.
Deshalb haben die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) und das Bayerische Justizministerium die Initiative »Justiz und Medien – konsequent gegen Hass« ins Leben gerufen. Sie soll allen Beteiligten ein einfaches und effizientes Verfahren für Strafanzeigen bieten. Über ein Online-Formular können Hasspostings direkt an die bayerische Justiz übermittelt werden. Beleidigungen, Bedrohungen oder gar volksverhetzende Kommentare sind kein Kavaliersdelikt.
Website: konsequent-gegen-hass.de
Text: Angela Giese
Cartoon: Sebastian Haug