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Stammtisch für Schwule und Lesben im Bleiweiß

Die Parade zum Christopher Street Day Anfang August war in Nürnberg bunt und prächtig: Nach zwei Jahren Corona, in denen Veranstaltungen nur unter Pandemieauflagen oder virtuell möglich waren, gingen 2022 Lesben, Schwule, Bi-, Trans-, queere und Interpersonen für Gleichberechtigung wieder auf die Straße. Viele Jüngere und Junge waren darunter, aber auch Ältere. Anders als die jetzige und hoffentlich auch nachfolgende Generation, die trotz homophober Anfeindungen ihre sexuelle Identität selbstbewusster und offener auslebt, haben sich die heute über 60-Jährigen oft ein Leben lang verstellen und verstecken sowie unter Ausgrenzung leiden müssen. Und wie sieht es im Alter aus, wenn sie krank und pflegebedürftig werden? Könnte ihnen in Seniorentreffs, Krankenhäusern und Pflegeheimen erneut Isolation oder Ausgrenzung drohen?

Pride Walk 2022 CSD NŸrnberg.

Die Stadt Nürnberg will dieser Gefahr entgegenwirken – und hat ihren im Februar dieses Jahres vom Stadtrat verabschiedeten Aktionsplan »Queeres Leben« bewusst auch auf die Bereiche Senioren und Vielfalt im Alter ausgeweitet. Die rund 100 Maßnahmen, mit denen die Kommune die Bedürfnisse und Belange von Menschen aus der LSBTIQ-Community (also Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans-, Inter- und queere Menschen) besser berücksichtigen will, betreffen alle Lebensbereiche, von der Kindheit bis eben ins hohe Alter. Erarbeiten und umsetzen wird den Katalog in den nächsten Monaten und Jahren die Stabsstelle Menschenrechtsbüro und Gleichstellung, die für den Bereich Alter und Altern eng mit dem Seniorenamt zusammenarbeitet. Bei einer ersten gemeinsamen Veranstaltung im Treff Bleiweiß im Sommer gab es bereits viele Anregungen und Ideen, wie etwa Wohnen, Pflege oder auch Seniorenarbeit aussehen könnte und müsste, um Menschen aus der LSBTIQ-Szene im Alter eine bessere Integration zu ermöglichen.

Einen geschützten Ort schaffen

So gebe es in der Community den Wunsch nach einem eigenen Treffpunkt, berichtet Julius Leib, der den Treff Bleiweiß leitet und Mitarbeiter des Seniorenamtes ist. »Viele wünschen sich einen geschützten Ort, an dem man sich aufhalten kann, ohne dass man sich erklären und rechtfertigen muss und man genau weiß, dass man unter seinesgleichen ist.«

Die heutigen LSBTIQ-Seniorinnen und Senioren hätten in ihrem Leben oft (noch) Diskriminierung oder sogar Gewalt erfahren, sagt Leib. Manche hätten Hemmungen und auch Angst, an regulären Angeboten für Seniorinnen und Senioren teilzunehmen. »Wenn beim Seniorenstammtisch über Enkelkinder geredet wird, können sie oft nicht mitreden. Sie fühlen sich dann bei diesen Gesprächen außen vor.« Deshalb brauche es eigene Angebote, damit sich niemand ausgeschlossen fühlt.

Für Leib ist es daher wichtig, dass sich die Stadt um Räume kümmert, in denen sich die Senioren aus der LSBTQI-Szene treffen können, sie gleichzeitig aber geschützt sind. So soll es weitere Treffen mit Angehörigen aus der Community geben, um gemeinsam zu überlegen, wie eine regelmäßige Begegnung im Bleiweiß etabliert werden könnte. Zunächst nämlich soll ein Stammtisch in den Räumen in der Hinteren Bleiweißstraße stattfinden, es ist aber auch geplant, das Thema in weitere Seniorennetzwerke einzubringen und bei Bedarf auch in anderen Vierteln ähnliche Projekte und Programme in die Seniorenarbeit aufzunehmen. Mit einem festen Treffpunkt-Termin im Bleiweiß soll es Anfang 2023 losgehen.

Es geht um intimste Dinge

Doch Julius Leib möchte noch mehr erreichen: Auch beim Wohnen und bei der Pflege müsse es Fortbildungen für die Mitarbeitenden geben, damit auch dort, wo sich die Pflegekraft und der alte Mensch besonders nahe kommen – etwa bei der Körperpflege – sich die älteren Homosexuellen sicher und geschützt fühlen. Derartige Ängste treiben durchaus schon Jüngere um, weiß Josephine Taucher. Die 35-jährige Transfrau ist Sprecherin des Kreisverbandes der Linken für Erlangen/Erlangen-Höchstadt und Gleichstellungsbeauftragte ihrer Partei in Bayern. Zudem leitet sie die Selbsthilfegruppe des Trans-Ident e.V. Erlangen. Zu den regelmäßigen Treffen kommen auch ältere Menschen. Die Gesprächsrunden beschäftigten sich zum Beispiel häufiger mit dem Thema Pflege. »Hier geht es dann knallhart um die intimsten Dinge: die Genitalien.« Eine Pflegekraft sollte zum Beispiel nicht überrascht, verletzend oder ablehnend reagieren, wenn die ihr als »Frau Müller« vorgestellte Patientin einen Penis hat, beschreibt Josephine Taucher eine mögliche Situation.

Andersherum kennt Taucher mehrere Trans-Personen, die trotz ausreichender Qualifikation wegen ihrer sexuellen Orientierung nicht in einem Pflegeberuf eingestellt wurden – »und das in Zeiten des Personalmangels.« Der Bereich Wohnen im Alter spielt für die Gruppenmitglieder ebenfalls eine Rolle, berichtet die Erlanger Chemie-Ingenieurin, die verheiratet ist und ein Kind hat.  So werden Alten-WGs innerhalb der Community ein immer größeres Thema. »Man möchte im Leben auch irgendwann mal den Punkt erreicht haben, sich nicht vor jeder neuen pflegenden Person wieder outen und erklären zu müssen«, sagt Taucher.

Diskriminierung kann jeden treffen

Für das Magazin sechs+sechzig war die Versorgung von Homosexuellen im Alter schon vor Jahren ein wichtiges Thema.

Das alles komme zu den noch immer herrschenden Altersdiskriminierungen wie Nicht-Mehr-Ernstgenommen-werden dazu. Taucher spricht von  »Mehrfachdiskriminierung« und zählt auf, was alles zu Ablehnung führen kann: »alt, Frau, trans, homosexuell, mit Behinderung, mit Migrationshintergrund, ohne Ersparnisse, weil der Job verloren wurde nach dem Outing, und auch einsam, weil die Familie verloren ging nach dem Outing.« Die Selbsthilfegruppen-Leiterin verweist auf Studien, die zeigten: Je mehr dieser Punkte zutreffen, desto schlimmer wird es. »Das betrifft aber nicht nur LSBTIQ-Menschen«, sagt die Trans-Aktivistin, »sondern kann jeden treffen. Deswegen sollten wir als Gesellschaft darauf hinarbeiten, Diskriminierung für alle Menschen zu beenden.«

Das versucht das Klinikum Nürnberg in allen Bereichen so gut wie nur möglich. Das Thema Diversity mit allen Dimensionen wie Alter, Geschlecht, ethnische Herkunft, soziale Herkunft, sexuelle Orientierung, psychische und physische Fähigkeiten und auch Religion sei ein »Querschnittsthema« und werde nicht nur aus dem »Defizit-Blickwinkel« gesehen, sondern sei »eher positiv besetzt«, erläutert Andrea Nätscher, die Pflegerische Koordinatorin am Standort Nürnberg-Nord. Die Vermeidung von Diskriminierung und die Förderung von Chancengleichheit seien wichtige Ziele im Klinikum. Das gelte natürlich auch für Kranke aus der LSBTIQ-Community. »Wir versuchen unsere Patientinnen und Patienten während ihres Aufenthalts so individuell wie möglich zu versorgen. Das scheint mit Blick auf das Thema Diversity ganz gut zu klappen«, sagt Nätscher. Zwar sei explizit der Bereich LSBTIQ in der akuten Krankenhausversorgung tatsächlich kein sehr großes Thema, weil anders als in Pflegeeinrichtungen die Patientinnen und Patienten in der Regel nur einige Tage im Klinikum sind.

Die Bilanz ist positiv: Trotz eines sehr niederschwelligen Beschwerdemanagements wurden zum Thema LSBTIQ 2021 und bislang im laufenden Jahr keine Beschwerden registriert.

Text: SHARON CHAFFIN
FOTO: MILE CINDRIC

Information

Wer sich für Treffen älterer Menschen aus der LSBTIQ-Community interessiert, wendet sich bitte an Bleiweiß-Leiter Julius Leib, telefonisch unter 0911/231-6627 oder per E-Mail unter julius.leib@stadt.nuernberg.de

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