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Was macht Glühwein aus Nürnberg aus?

Glühwein ist beliebt und wärmt so schön von innen. Foto: Michael Matejka

Er schleicht sich quasi durch die Hintertür herein, wenn sich draußen der Sommer gerade ein letztes Mal aufbäumt und so tut, als wolle er nie zu Ende gehen. Doch der nasse Herbst und vor allem der lange kalte Winter, das ist seine große Zeit. Wenn im Supermarkt unverhofft die ersten Glühweinflaschen auftauchen, ohne großes Brimborium eines schönen Tages von emsigen Händen kommentarlos in und palettenweise zwischen die Regale gehievt, dann ist das ein untrügliches Zeichen, dass die warme Jahreszeit vorüber ist – nicht von jetzt auf gleich, doch zumindest schon mal angezählt. Auch, wenn man sich das zu diesem Zeitpunkt weder vorstellen noch als Tatsache wahrhaben mag.

Gibt es eigentlich im Sommer Glühwein? Wahrscheinlich. Man müsste mal nachfragen, doch wenn, dann dürften sich die Umsätze im überschaubaren Rahmen halten. Denn in Mitteleuropa ist das alkoholhaltige Heißgetränk untrennbar mit der kalten Jahreszeit verbunden. Genau genommen mit dem Advent: Rund 50 Millionen Liter des beliebten alkoholhaltigen Gebräus werden pro Saison (24 Tage) landauf landab auf den Weihnachtsmärkten, aber auch zu Hause in der heimischen Stube aus Tassen und Bechern geschlürft und genippt. Zum Vergleich: Auf dem Münchner Oktoberfest sind es rund 7,4 Millionen Liter Bier in 16 Tagen.
Dabei wurde der Glühwein ursprünglich kalt getrunken, heiß wurde es spätestens im 19. Jahrhundert. Der Augsburger Kaufmann Rudolf Kunzmann ist schuld, dass es Glühwein heute in Flaschen als fertiges Produkt gibt. 1956 füllte er in seiner Mikro-Weinkellerei im bayrisch-schwäbischen Dörfchen Pfersee erstmals mit Zucker und Gewürzen versetzten Wein in Flaschen ab, verkaufte ihn als Glühwein – und handelte sich prompt vom Marktamt der Stadt Augsburg einen Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen das Weinrecht ein. Kunzmann hatte seinen Wein mit Zucker versetzt, was damals noch verboten war.

Wasser und Säfte sind nicht zulässig

Heute ist das Erzeugnis Glühwein rechtlich exakt definiert: Als aromatisiertes weinhaltiges Getränk, welches ausschließlich aus rotem oder weißem Wein hergestellt und hauptsächlich mit Zimt und Gewürznelken, gerne aber auch mit Sternanis und Zitronenschale gewürzt wird. Es darf nicht mit Wasser oder Säften gestreckt werden.

Auch Brüssel redet ein Wörtchen mit. Die Europäische Union hat eine Glühwein-Verordnung erlassen, nach der ein so benanntes Heißgetränk mindestens sieben Prozent Alkohol enthalten muss und maximal 14,5 Prozent enthalten darf.
Was in der Praxis jedoch tatsächlich genau drin ist im Glühwein, bleibt trotzdem oft ein großes Rätsel. Stichproben der Verbraucherzentrale Bayern haben in den letzten Jahren ergeben, dass es mit der Kennzeichnung schlecht aussieht. Oft sind es billige Weine, die mit »Gewürzauszügen« versetzt und dann stark gezuckert werden, um die niedere Qualität zu kaschieren – was die flüssige Leckerei zu einer wahren Kalorienbombe macht. Faustregel: Je schlechter die Qualität des Grundweines, desto mehr wird mit Zucker nachgeholfen.

Nachgefragt, was drin ist, wird laut den Verkäufern am Christkindlesmarkt selten bis nie, dafür soll manch einer angeblich noch nachsüßen. Selbstredend ist Nürnberg ein Hotspot und Hauptumschlagsplatz in Sachen Glühwein – nicht nur wegen des berühmten Weihnachtsmarkts, sondern auch in Sachen Produktion: Die Gerstacker Weinkellerei mit Sitz im Nürnberger Hafen ist einer der Big Player im Geschäft, ihr Anteil am gesamten deutschen Glühweinmarkt soll über 90 Prozent betragen.
Natürlich kann man Glühwein ohne Probleme auch selbst zu Hause ansetzen. Ein beliebter Fehler allerdings ist, den Glühwein zum Kochen zu bringen. Ab 78 Grad Celsius verdampft jedoch der im Glühwein enthaltene Alkohol, und die Gewürze können den Geschmack nachteilig verändern – weshalb man das Getränk nur sanft erhitzen sollte.

Gab es früher nur wahlweise Glühwein (mit Alkohol) oder Kinderglühwein (erhitzter aromatisierter Fruchtsaft), so hat der Dauerbrenner über die Jahre jede Menge Konkurrenz bekommen. Neben weißem Glühwein oder der meist ein wenig teureren Geschmacksvariante mit Heidelbeeren erfreute sich in den letzten Jahren die Feuerzangenbowle großer Beliebtheit, vor allem bei der jungen Generation (wahrscheinlich, weil sie dank Rumzusatz noch mehr knallt).

Besuch am Hauptmarkt

Doch bislang hat der klassische Glühwein noch jeden Mitbewerber überlebt – sei es Grog oder Glögg, Punsch, besagte Feuerzangenbowle oder Absonderlichkeiten wie einen flüssigen Apfelstrudel. In der Praxis sieht es zumindest in Nürnberg noch immer so aus, dass man irgendwann in der Vorweihnachtszeit nach der Arbeit mit Freunden oder Bekannten an einem Glühweinstand in Nähe des Hauptmarktes landet, idealerweise bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Der Magen ist leer, doch der heiße Saft läuft, und ehe man sich versieht, hat man schon wieder drei Glühwein drin und schön einen im Tee – frei nach Harald Juhnke, der seinen Idealzustand im Leben mal als »leicht einen sitzen und keine Termine mehr« umschrieb.
Dass Alkohol – medizinisch gesehen – gar nicht wärmt, sondern im Gegenteil die Blutgefäße in der Haut erweitert und unsere Körpertemperatur sinken lässt, will am Weihnachtsmarkt oder nach einer langen Schneewanderung keiner hören. Und auch die oft kolportierte Warnung, dass das Zuckerabbauprodukt Hydroxymethylfurfural unter dem Verdacht steht, krebserregend zu sein, ficht den Verbraucher nicht an. Die Dosis macht bekanntlich das Gift.
Ansonsten gilt die alte fränkische Weisheit »Wos nix kost’, taugt nix« natürlich auch für unser Lieblings-Wintergetränk: Billig ist auch hier nur in den seltensten Fällen sexy.

Stefan Gnad
Foto: Michael Matejka

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